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# taz.de -- Debatte um Rabattkarte: Ist die Bahncard ein Bürgerrecht?
> Nächste Woche stellt die Bahn wohl ihre neuen Preispläne vor. Wenn sie
> die Bahncard antastet, geht stets ein Sturm der Entrüstung los. Zu Recht?
Bild: Zugfahren ist nicht gerade günstig. Deswegen wollen sich viele die Bahnc…
Ein Gefühl von Freiheit vermittelt eine Fahrt mit dem ICE. Ein Blick aus
dem Fenster, der Zug rast in Hochgeschwindigkeit durch die deutschen Lande.
Von der Bankenmetropole Frankfurt durch die hügelige Landschaft Hessens
quer durch das flache, grüne Niedersachsen bis zur Hauptstadt der
Bundesrepublik. Und das in vier Stunden. Eine entspannte Reise ohne dabei
im Stau stehen zu müssen oder im vollbesetzten Fernbus mit bescheidener
Beinfreiheit zu sitzen. Lesen im Bistro. Doch für viele Menschen ist diese
Form von Freiheit eine Illusion.
Für eine einfache Fahrt zum Normalpreis von Berlin nach Hamburg in weniger
als zwei Stunden werden 78 Euro fällig. Von Frankfurt am Main nach Berlin
sind es gar 123 Euro. Viele können sich so eine Fahrt nur leisten, wenn sie
eine Bahncard besitzen oder einen Supersparpreis ergattern.
Als im vergangenen Dezember Informationen des Hessischen Rundfunks zur
Abschaffung der Bahncard durchsickerten, war die öffentliche Wut groß.
Verkehrsminister Alexander Dobrindt hielt daraufhin fest, die Bahncard
gehöre zur deutschen Mobilitätskultur. Immerhin fünf Millionen Menschen in
Deutschland haben so eine Bahncard.
## „Fahre ich noch weniger Bahn“
In sozialen Netzwerken wie Twitter ließ sich die Wut besichtigen. Dort
schrieb @Awuensch: „Ohne Bahncard fahre ich noch weniger Bahn, ist oft zu
teuer im Vergleich zu Pkw mit Familie. „Das wars dann wohl mit der
Glaubwürdigkeit der Bahn“, ärgerte sich @ThomasMielke. Von einem
#Bahncardgate war die Rede. Unter dem Hashtag #Bahncard entludt sich einige
Empörung. Und anschließend noch mehr Empörungsberichterstattung. Als wäre
die Bahncard ein Bürgerrecht, das den Menschen gewaltsam genommen werden
soll.
Die Bahn, die die Pläne der Abschaffung wenig später dementiert hat, hat
schon einmal überlegt, die Bahncard abzuschaffen. In der Titelgeschichte
„Rabatt oder Rabatz“ in der [1][taz.am wochenende vom 14./15. März 2015]
erzählen die taz-Reporter Richard Rother und Daniel Kastner von dem ersten
gescheiterten Versuch der Abschaffung. Sie treffen nicht nur einen der
Erfinder der Bahncard, sondern auch den Bahnmanager Hans-Gustav Koch, der
die Rabattkarte 2002 mit abgeschafft hat – und darüber seinen Job verlor.
Er hält die Abschaffung nach wie vor für die richtige Idee. „Das ist
Preismanagement von vorgestern“, sagt der ehemalige Vorstand.
Begründet hat die Bahn ihr Vorgehen damals vor allem
betriebswirtschaftlich. Die Auslastung der Züge sollte erhöht werden. Und
auch jetzt will sie im Fernverkehr laut einem Bericht der
Aufsichtsratssitzung des Bahnvorstands vom 10. Dezember die Kosten bis 2019
um 1,5 Milliarden Euro senken. Der Umsatzverlust wegen der Konkurrenz durch
Fernbusse [2][beläuft sich demnach auf 240 Millionen Euro im Jahr.]
## Wie in Frankreich
Wie 2002 will die Bahn sich offenbar stärker am Preissystem von
Busunternehmen und Airlines orientieren und bessere Angebote für
Gelegenheitsfahrer machen. Zusätzlich soll die Bahncard „weiterentwickelt“
werden. Was genau das bedeutet, wird wohl im Lauf der kommenden Woche klar,
wenn die Bahn ihre neuen Pläne für den Fernverkehr vorstellt.
Die Fernbusse oder auch die französische Staatsbahn gehen nach dem
marktwirtschaftlichen Prinzip: Angebot und Nachfrage. Wenn man in
Frankreich einen Sitz für eine Zugfahrt buchen möchte, dann ist er umso
teurer, je mehr mitfahren möchten. Bei den Fernbussen läuft es ähnlich ab.
FlixBus hat mehrere Preisstufen. Ist der Bus nahezu ausgelastet, sinken die
Preise.
Die Freiheit für Bahncard-Besitzer wäre damit zwar eingeschränkt, aber nach
diesem Prinzip wäre es vielleicht auch für Menschen mit niedrigeren
Einkommen erschwinglicher, die Bahn zu nehmen. Bisher fahren sie laut einer
Studie des Verkehrsclubs Deutschland mit Bussen am günstigsten.
## „Der traurigste Tag, seit Bambis Mutter starb“
Manche sahen die vermeintlichen Abschaffungspläne in der Twitter-Community
denn auch deutlich gelassener. @test_signal schrieb: „Der Tag an dem die
Bahncard abgeschafft wurde ist der traurigste Tag, seit Bambis Mutter
starb“. Auch @SusannaMoguntia nahm die Nachricht gelassen. Sie schrieb:
„Wenn man Angst vor den Fernbussen hat, dann ist die Abschaffung der
Bahncard natürlich genau die richtige Strategie“. So schnell ging es dann
nun doch nicht.
Die taz.am wochenende hat ihre Leserinnen auf der Facebook-Kommune der taz
dazu befragt, wie wichtig ihnen ihre Bahncard ist. Könnte man preiswerten
Nahverkehr nicht sogar als Teil der Daseinsfürsorge betrachten. Schließlich
ist Mobilität ein Grundrecht. Und dazu gehört nun mal, dass es für alle
möglich ist. Es geht nicht nur darum, für einen Wochenendtrip nach München
zu fahren um im Englischen Garten bei Sonnenschein die Füße in den Eisbach
zu halten. Manchmal spielen auch familiäre Gründe eine Rolle, wie unsere
Leserin Sophie Mühlenberg schrieb. „Der Großvater einer Freundin von mir
ist vor kurzem verstorben und sie hätte nicht zur Beerdigung fahren können,
da sie die Bahn-Preise beim bestem Willen nicht bezahlen konnte.“
Für Leserin Sarah Berndt müsste das Bahnfahren tatsächlich zur staatlichen
Daseinsvorsorge gehören. „So wäre wenigstens gerechtfertigt, dass der
deutsche Staat seit Jahrzehnten ein Unternehmen am Leben hält, dass in der
freien Wirtschaft schon lange Insolvenz gemeldet hätte“. Anderen würde es
schon reichen, wenn die Bundesregierung ihrer gesetzlichen Verpflichtung
nachkäme. „In Artikel 87e des Grundgesetz steht, dass die Bundesregierung
ein Gesetz zum Betrieb des Fernverkehrs erlassen muss. Das hat sie bis
heute, also 21 Jahre nach Gründung der Deutschen Bahn AG, nicht geschafft“,
beklagt Michael Dittrich.
## Daseinsfürsorge wenig realistisch
Doch es gibt auch Leser, denen Bahnfahren als Daseinsfürsorge wenig
realistisch erscheint. „Es wird sicherlich nie gelingen, jeden Fahrtwunsch
leistbar zu machen. Das kann ich mir nicht vorstellen. Es sollte aber auch
nicht zu einem Luxusgut werden“, schreibt Leserin Cornelia Kirst. Johann
Fester meint: „Jemand, der einer regelmäßigen Arbeit nachgeht, soll sich
Bahnfahren auch leisten können. Bahnfahren als staatliche Daseinsfürsorge
geht mir dagegen zu weit“.
Die Konkurrenz der Bahn ist gewachsen. Wegen des Fernbusangebots. Und ein
Flug von Berlin nach Frankfurt ist teilweise günstiger als eine Fahrt mit
dem ICE.
Und nachdem Bahnchef Hartmut Mehdorn die abgeschaffte Bahncard 50 2003
wieder eingeführt hatte, wurde sie deutlich teurer. „Allein im Zeitraum
2007 bis 2013 sank die Zahl der BC-50-Besitzer von 1,73 auf 1,45
Millionen“, schreibt Bahnkritiker Winfried Wolf in der Wochenzeitung
Kontext. Für bessere Auslastung sorge die Bahn vor allem, [3][indem sie
Sitzplätze streiche.]
Warum regen sich so viele so sehr auf, wenn die Bahncard angerührt werden
soll?
## Weniger Arbeiter, mehr Politiker, Lobbyisten, Wissenschaftler
Zu den Nutzern der Bahncard 50, würde der ehemalige Bahn-Manager Koch
argumentieren, zählen eben weniger Arbeiter oder Verkäuferinnen an der
Kasse von Aldi. Es sind Politiker, Lobbyisten und Wissenschaftler.
„Letztlich ist es eine kleine, zahlungskräftige Tarifgruppe, die bevorzugt
wird“ sagt Koch.
Ist die Bahncard 50 eine teure Subvention für Wochenendpendler und
Menschen, die Fernbeziehungen führen? Denn für sie lohnt sich die
Rabattkarte ganz besonders. Und sie genießen damit die volle Freiheit.
Was meinen Sie? Ist die Bahncard ein Bürgerrecht? Diskutieren Sie mit!
Die Titelgeschichte „Rabatt oder Rabatz“ lesen Sie in der [4][taz.am
wochenende vom 14./15. März 2015].
13 Mar 2015
## LINKS
[1] /Ausgabe-vom-14/15-Maerz-2015/!156275/
[2] /!150665/
[3] http://www.kontextwochenzeitung.de/wirtschaft/199/die-bahncard-stoert-die-b…
[4] /Ausgabe-vom-14/15-Maerz-2015/!156275/
## AUTOREN
Stefan Simon
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