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# taz.de -- Schwuler verklagt seine Familie: Eltern büßen für Homophobie
> Der heute 18-jährige Nasser El-A. wurde bedroht, entführt und sollte
> zwangsverheiratet werden. Weil er schwul ist. Er klagte gegen seine
> Familie – mit Erfolg.
Bild: Nasser El-A. vor dem Prozess am Donnerstag.
BERLIN taz | Für den 18-Jährigen mit dem dichten schwarzen Haar, den sanft
geschwungenen Lippen und dem regenbogenfarbenen Armband hat ein neues Leben
begonnen. „Ich habe das Kapitel abgeschlossen“, sagte Nasser El.-A. am
Donnerstag auf dem Flur des Moabiter Kriminalgerichts, umringt von
Dutzenden Journalisten.
„Das Kapitel“ – damit meint Nasser El-A. den Umgang seiner libanesischen
Familie mit seiner Homosexualität. Die El-A.s halten sie für eine Todsünde,
die sie nicht tolerieren. Lieber riskieren sie, ins Gefängnis zu kommen.
Nasser war 15 Jahre alt, als er sich gegenüber einigen Schulfreunden
outete. Es dauerte nicht lange, da wussten es seine Eltern. Seine Mutter
habe ihn als Schwuchtel beschimpft, sein Vater ihm gedroht, er werde ihm
ein Messer in den Hals rammen. Schon zuvor hatten seine Angehörigen
überlegt, dass Nasser homosexuell sein könnte. Sie sollen ihn quasi
vorsorglich mit massiver Gewalt überzogen haben, die Rede ist von
Auspeitschen und Übergießen [1][mit heißen sowie brennbaren Flüssigkeiten].
## Schlafmittel in der Cola
Der Junge wusste also, was ihm drohte und lief von zu Hause weg. Über
Umwege landete er beim Jugendamt, das den Eltern das Sorgerecht entzog,
Nasser El-A. bekam einen amtlichen Betreuer. Dennoch ließ er sich zwei
Monate später von seiner Mutter zu einem Familienbesuch überreden. Das war
am 10. Dezember 2012. Sein Vater und acht seiner Onkel hätten ihn in der
elterlichen Wohnung in Neukölln empfangen. Sie seien nett zu ihm gewesen,
er habe eine Cola getrunken. In dieser muss sich ein Schlafmittel befunden
haben. In der nächsten Szene, an die sich El-A. wieder erinnert, saß er mit
zwei seiner Onkel und seinem Vater in einem Auto.
Nasser El-A. erfuhr, dass die Reise in den Libanon gehen sollte. Er
fürchtete, dort getötet zu werden. Doch das Jugendamt hatte eine
Vermisstenmeldung herausgegeben, weil sich sein Pflegling nicht mehr wie
abgesprochen täglich meldete.
Die Fahndung nach dem Minderjährigen lief auch über Interpol. An der
rumänisch-bulgarischen Grenze endete die zweitägige Entführung, El-A. wurde
nach Berlin zurückgebracht. Gegen seine drei Verwandten wurde Anklage wegen
Freiheitsberaubung und Entziehung Minderjähriger erhoben.
Am Donnerstag sollte nun vor dem Amtsgericht Tiergarten in knapp zwei
Stunden darüber verhandelt werden, doch keiner der Angeklagten war
erschienen. Die Richterin entschied, gegen Daoud, Fadi und Khalil Kamel
El-A. einen Strafbefehl über jeweils 1.350 Euro zu verhängen, das
entspricht 90 Tagessätzen zu 15 Euro – die drei scheinen also von
Sozialleistungen zu leben. Sie sind auch nicht vorbestraft, sonst hätte man
diesen Weg nicht anbieten können, auch nicht diese geringe Strafe für
Delikte, die mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden können.
## Zahlen – oder absitzen
Wenn der Vater und die beiden Onkel nicht innerhalb einer Woche dem
Strafbefehl widersprechen, wird ihre Verurteilung rechtskräftig. Dann
können sie ihre Strafe entweder bezahlen oder abarbeiten. Tun sie beides
nicht, müssen sie die Strafe absitzen – drei Monate lang.
Nasser El-A. hatte damit gerechnet, dass sich seine Verwandten drücken
werden. Gegenüber der Presse sagte er mit klarer Stimme: „Ich habe es
wenigstens geschafft, dass es überhaupt vor Gericht gekommen ist. Viele
kommen gar nicht so weit.“
Mehrmals sprach El-A. davon, dass er in diesem Verfahren „all die Kraft
gezeigt habe“, die er hätte. Auch wenn er jetzt allein lebe, „bin ich immer
noch ein Familienmitglied von El-A.“, sagte der 18-Jährige. Ob es umgekehrt
genauso sei, wisse er nicht.
Ob er Angst hätte, wird der mutige junge Mann gefragt. „Nein, ich bin kein
Mensch, der sich versteckt. Ich bin ein Mensch, der für seine Rechte
kämpft. Ich möchte meine Sexualität nicht unterdrücken. Bei meinen Eltern
musste ich das – wegen der Ehre.“ Man schaut in das Gesicht von Nasser
El-A. und wünscht sich sehnlich, dass die Geschichte gut ausgehen möge.
12 Mar 2015
## LINKS
[1] /Zwangsverheiratungen-nehmen-zu-/!155369/
## AUTOREN
Uta Eisenhardt
## TAGS
Prozess
Berlin
Justiz
Homophobie
Galerie
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Homophobie
Homosexualität
Tötungsdelikte
Integration
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