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# taz.de -- Regisseur Jacquot über Verführung: „Liebe annulliert die Zeit“
> Ein Finanzbeamter kann kein Womanizer sein? In Benoît Jacquots Film „3
> Herzen“ geht das durchaus. Ein Gespräch über Reize, Rollen und
> Erdbeertörtchen.
Bild: Chiara Mastroianni, Catherine Deneuve und Charlotte Gainsbourg in „3 He…
Ein Mann zwischen zwei Frauen: Das ist die Grundkonstellation in Benoît
Jacquots Film „3 Herzen“, der im September beim Filmfestival von Venedig
seine Premiere erlebte. Eine Dienstreise führt Marc, einen Steuerprüfer
(Benoît Poelvoorde), von Paris in eine Kleinstadt. Zufällig begegnet er
dort der Antiquitätenhändlerin Sylvie (Charlotte Gainsbourg). Eine Nacht
lang streifen sie ziellos durch die Stadt und beschließen im Morgengrauen
ein Wiedersehen in Paris.
Doch der Plan wird durchkreuzt, weil Marc kurz vor dem Rendezvous eine
Panikattacke erleidet. Sylvie beschließt, ihrem Ehemann nach Minneapolis zu
folgen. Bei einer neuerlichen Reise in die kleine Stadt lernt Marc Sophie
kennen (Chiara Mastroianni), er verliebt sich in sie, zieht in die Provinz,
die beiden heiraten und bekommen ein Kind. Dass Sophie und Sylvie
Schwestern sind, dämmert ihm erst nach und nach.
Jacquot inszeniert die Dreiecksgeschichte gewohnt souverän, besonders dort,
wo er den Fluss der Handlung mal überschießen lässt und ihn dann staut. Ob
das alles plausibel ist, ist kaum von Belang; gerade die Konstruiertheit
macht den Reiz von „3 Herzen“ aus. Poelvoordes Mischung aus grundsolidem
Beamtentum und Nervosität trägt zum Charme des Films bei, ebenso der
Soundscape, der sich in Momenten der Zuspitzung wie ein tollwütiges
Schiffshorn gebärdet.
Als ich ihn im Januar in Paris treffe, ist Benoît Jacquot in Plauderlaune
und selbstbewusst, nicht zuletzt, weil die Berlinale vor der Tür steht und
dort schon sein nächster Film läuft, „Journal d’une femme de chambre“,
diesmal wieder mit Léa Seydoux in der Hauptrolle.
taz: Herr Jacquot, am liebsten würde ich mich auf Fragen zum Casting
konzentrieren. Wie sind Sie auf Benoît Poelvoorde gestoßen? Und wie haben
Sie sich ihn in der Rolle vorgestellt?
Benoît Jacquot: Meine vorangegangenen Filme drehten sich um weibliche
Figuren und dementsprechend um Schauspielerinnen. Diesmal war es mein
Wunsch, endlich einmal eine männliche Figur im Zentrum zu haben. Schon als
ich das Drehbuch zu schreiben anfing, fragte ich mich, wer der Schauspieler
sein könnte, und während ich schrieb, recht schnell übrigens, drängten sich
mir die Figur, das Gesicht, die Präsenz von Benoît Poelvoorde auf, und zwar
so lebhaft, dass ich ihn fragte, ob es ihn interessierte.
Und das tat es?
Ja, ich wusste auch, dass er schon vor vielen Jahren Interesse bekundet
hat, mit mir einen Film zu drehen. Er ist einer der französischsprachigen
Schauspieler, die ich am meisten bewundere. Mich reizte es auch, mit
jemandem zu arbeiten, der nicht gerade für dramatische Figuren mit reichem
Innenleben bekannt ist. Um es kurz zu fassen: Es interessierte mich, einen
Clown zu fragen, eine dramatische Rolle zu übernehmen.
Manche Kritiker unkten, Poelvoorde sei kein würdiges Gegenüber für
Charlotte Gainsbourg und Chiara Mastroianni. Eine etwas oberflächliche
Sicht, wie ich finde. Allein schon deswegen, weil Poelvoorde viel
körperliche Nervosität ausstrahlt.
Diese Kritik richtet sich ja an zwei Männer, an Poelvoorde und an mich,
aber eigentlich hat sie auch etwas Frauenfeindliches, weil sie voraussetzt,
dass eine Frau sich nur von jemanden verführen lässt, der der Inbegriff von
Männlichkeit ist. Das ist falsch. Um ganz konkret zu werden: Ich kenne
keinen erfolgreicheren Verführer als Benoît Poelvoorde. Chiara Mastroianni
lebt mit ihm seit den Dreharbeiten zusammen.
Wie kamen Sie denn auf Chiara Mastroianni und Charlotte Gainsbourg?
Das war ein wenig verschlungen. Charlotte Gainsbourg stand als Erste fest,
für die Rolle der älteren Schwester Sylvie. Ich bewundere sie, und ich
wollte schon oft mit ihr drehen, ohne dass es je dazu gekommen wäre. Bei
der anderen Schwester dachte ich nicht sofort an Chiara, denn ich hatte
zunächst eine deutlich jüngere Schwester im Kopf und auch eine bestimmte
Schauspielerin. Aber sie sagte mir, sie könne es nicht machen.
Sie sprechen von Léa Seydoux, nicht wahr?
Ja. Ich dachte dann an viele Schauspielerinnen, die sofort zugesagt hätten,
eine Schwester in Léas Alter zu spielen. Aber jedes Mal, wenn ich Charlotte
einen Namen vorschlug, gab es etwas, was nicht passte. Denn für sie war es
wichtig, sich vorstellen zu können, wirklich die Schwester von einer von
ihnen zu sein. Mit Léa wäre es gegangen, aber mit den zwei, drei anderen,
die ich danach ins Spiel brachte, nicht. Ich fand also niemanden, und ich
war wirklich bedrückt. Und dann hat Catherine Deneuve auf sehr mütterliche
Weise gesagt: „Aber Chiara …“ Und so wurden aus der älteren und der
jüngeren Schwester beinahe Zwillinge.
Dem Film tut es gut, denn es geht um drei Herzen, also auch um die enge
Beziehung zwischen den beiden Schwestern.
Ja, und das hat sich erst nachträglich ergeben, der Umstände halber. Als
ich Charlotte erzählte, dass Catherine mir Chiara vorgeschlagen habe, war
sie begeistert. Sie hatte das Gefühl, Chiara sei eine mögliche Schwester.
Man versteht gut, warum: Beide haben eine Mutter, die eine berühmte
Schauspielerin ist, und beide haben einen Vater, der eine Ikone ist, aber
sehr früh aus ihrem Leben verschwand. Sie teilen also einiges.
Bei Schauspielern ist ja zum einen ihre Rolle im Film von Belang, ihr Platz
in der Handlung und im Gefüge der Figuren. Dann gibt es noch eine Ebene:
die Rollen, die sie zuvor gespielt haben, und der Hintergrund, bei
Gainsbourg und Mastroianni die berühmten Eltern. Beeinflusst Sie diese
zweite Ebene, wenn Sie einen Film konzipieren und wenn Sie casten?
Bei der Auswahl ja, aber während des Drehs überhaupt nicht. Da ist es fast
psychotisch, schizophren, denn ich will von diesem Hintergrund nichts mehr
wissen. Ich kann mit Chiara oder Charlotte nicht über ihre Rolle sprechen
und zugleich von ihren Vater oder ihrer Mutter reden, erst recht nicht,
wenn die Mutter anwesend ist.
Im Kino ist es gar nicht so leicht, eine glaubwürdige Familie
zusammenzustellen. Die Schauspieler haben ja nicht die Vertrautheit
miteinander, die eine Familie charakterisiert. In „3 Herzen“ ist das etwas
anders, weil Mutter und Tochter im Film auch in der Wirklichkeit Mutter und
Tochter sind.
Vieles hängt an der Persönlichkeit und am Charakter von Catherine Deneuve.
Lange war sie die ideale Geliebte der Franzosen. Heute ist sie eine ideale
Mama. Das ist seltsam, aber sie mag das, ich kenne sie schon lange. Und ich
glaube, sie fürchtete sich vor dem Moment, an dem sie nicht mehr die ideale
Geliebte aller Franzosen und dadurch in gewisser Weise ja auch die Feindin
aller Französinnen wäre. Aber sie ist dann sehr leicht darüber
hinweggekommen, ohne jede Bitterkeit. Bei mir spielt sie die Rolle der
besorgten Mutter, die alles beobachtet und im letzten Augenblick eingreift,
alles neu ordnet oder durcheinanderbringt.
Während der ganzen Dreharbeiten gehörte das Haus, in dem wir drehten, ihr.
Sie organisierte alles, sie bereitete zusammen mit der Ausstatterin die
Mahlzeiten zu – und es gibt viele Mahlzeiten in dem Film! Heute Braten,
morgen Erdbeertörtchen, sie kümmerte sich darum, sie umsorgte uns. Zwischen
den Takes aßen wir die Gerichte, die sie zubereitet hatten. Ich drehe eher
schnell, eine Einstellung nach der nächsten, ohne viel Wartezeit; es gab
fast so etwas wie eine Kontinuität zwischen den Augenblicken, in denen wir
drehten, und denen, in denen wir nicht drehten.
Was man auf Französisch „coup de foudre“ – wörtlich übersetzt: Blitzsc…
in übertragenem Sinn Liebe auf den ersten Blick – nennt, spielt eine
wesentliche Rolle in „3 Herzen“. Was interessiert Sie daran?
Auf Englisch würde man ja „love at first sight“ sagen. „Coup de foudre�…
viel definitiver, viel gewaltiger. Ein meteorologisches Phänomen. Und das
fesselt mich in zweierlei Hinsicht. Für mich gibt es zwei Rechtfertigungen
für den Umstand, dass ich existiere, zum einen das Filmen, zum anderen
diese Art, verliebt zu sein. Oft kommt es vor, dass für einen Regisseur das
Filmen und das Verliebtsein ineinanderfallen. Wenn ein Film von einem
solchen Ereignis ausgeht, ist das in kinematografischer Hinsicht schön,
weil ein Film in der Zeit abläuft, während die verliebte Begegnung die Zeit
annulliert. Das ist dann eine paradoxe Zeit, und eine fesselnde Gleichung.
19 Mar 2015
## AUTOREN
Cristina Nord
## TAGS
Charlotte Gainsbourg
Film
Spielfilm
Erbkrankheiten
Wim Wenders
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