# taz.de -- Die Wahrheit: SOS: Kaviar ist alle! | |
> Erschütterndes Steuerflüchtlingsdrama in der Karibik: Unzählige | |
> Millionäre sind auf hoher See von ihrer Crew schnöde im Stich gelassen | |
> worden. | |
Bild: Hier ist die Steuerflüchtlingswelt auf der Emerald noch hübsch in Ordnu… | |
Den Männern der Coast Guard bot sich ein Bild des Schreckens, als ihr Boot | |
der sprit- und führerlos vor den Cayman-Inseln treibenden „Emerald“ zu | |
Hilfe eilte: Über vierzig Männer in teurer Freizeitkleidung drängten sich | |
auf dem Deck der Luxusjacht, laut stöhnend und nach dem Steward rufend. | |
Doch die Crew hatte das zwanzig Meter lange Schiff längst verlassen, und | |
die meisten der verwöhnten Passagiere mussten zum ersten Mal in ihrem Leben | |
allein mit einer Notlage zurechtkommen. | |
„Die Versorgungslage auf dem Boot war katastrophal“, berichtet Edwin | |
Bayles, ein Immobilienmakler aus London, der mit seinem Handy den Notruf | |
absetzen konnte, der schließlich zur Rettung führte. „Trinkwasser gab es | |
schon seit zwei Tagen nicht mehr. Und vom Champagner waren auch nur noch | |
drei Kisten von den schlechteren Jahrgängen vorhanden. Vom Essen ganz zu | |
schweigen – Kaviar war schon alle, es gab nur noch fünf Dosen mit | |
getrüffelter Gänseleberpastete und ein paar Packungen Cracker. Wie wollen | |
Sie so vierzig Mann mit Appetit verköstigen? Es hat nicht viel gefehlt, und | |
wir hätten die ersten Toten zu beklagen gehabt.“ | |
Nicht alle Passagiere sind so auskunftsbereit wie der Mann aus der Londoner | |
City, der auch berichtet, wie es zu der spektakulären Überfahrt von | |
Southampton in die Karibik kam. Als durch die Swiss-Leaks-Enthüllungen der | |
Fahndungsdruck auf vermögende europäische Steuervermeider stieg, | |
entschlossen sich vierzig Multimillionäre zur Flucht auf die Cayman-Inseln. | |
Eine legale Ausreise mit dem Flugzeug war zu diesem Zeitpunkt wegen der | |
verschärften Grenzkontrollen schon nicht mehr möglich – da kam das Angebot | |
eines belgischen Hedgefonds-Managers gerade recht, seine hochseetaugliche | |
Motorjacht für die Überfahrt zu nutzen. | |
## Geplatzter Traum | |
Der Plan war, in der karibischen Steueroase, unbehelligt von indiskreten | |
Nachforschungen kleinkarierter Steuerfahnder, den Lebensabend zwischen | |
Golfplatz, Briefkastenfirma und Pool möglichst angenehm ausklingen zu | |
lassen. Doch schon bald nach der Entscheidung zur Steuerflucht fingen die | |
Probleme an: Es musste in aller Eile eine Crew angeheuert werden. | |
In der Hektik der Vorbereitung vertraute man einer eingespielten | |
Schlepperbande aus Zypern die „Emerald“ an. Wie sich dann allerdings zu | |
spät herausstellte, hatten die zyprischen Seeleute zwar allerhand | |
Erfahrungen mit schrottreifen Fischkuttern und völlig überladenen | |
Seelenverkäufern auf der Mittelmeerroute gesammelt – mit der Steuerung des | |
High-Tech-Luxusspielzeugs waren sie aber heillos überfordert. | |
Fatale Folge ihres Unvermögens: Irgendwie schaffte der Kapitän es nie, den | |
rechtweisenden Kurs einzuhalten, was wiederum zu einem erhöhten | |
Treibstoffverbrauch führte. Als dann fünfzig Seemeilen vor den | |
Cayman-Inseln der Sprit zur Neige ging, setzte sich die Crew bei Nacht und | |
Nebel mit dem Beiboot ab und überließ die ahnungslosen Steuerflüchtlinge | |
ihrem ungnädigen Schicksal. | |
Keiner der Finanzjongleure war nach dem bösen Erwachen in der Lage, das | |
Schiff zu steuern oder auch nur das Funkgerät zu bedienen. Ein aufziehender | |
Sturm mit acht Meter hohen Wellen trug dann auch nicht gerade zur | |
Beruhigung der Lage bei. | |
## Wenig stressresistent | |
In der ungewohnten Situation erwiesen sich die Alphatiere als wenig | |
stressresistent. Zum Befehlen geboren waren alle, und so mochte sich keiner | |
dem Kommando des anderen unterordnen. So kam es, wie es kommen musste – | |
irgendwann war der letzte Tropfen Sprit verbraucht, die letzte Flasche | |
Roederer Cristal geleert und immer noch kein Land in Sicht. | |
Die Aussicht, in der sengenden Hitze zu verdursten und das klimatisierte | |
Büro der Briefkastenfirma nie mehr zu erreichen, trieb so manchen | |
Oligarchen in den Wahnsinn. Als die Küstenwache endlich an der „Emerald“ | |
beidrehte, fanden die caymanischen Offiziere ein verstörtes Häuflein wirr | |
redender Gestalten vor – doch immerhin waren sie gerettet. | |
Nicht ganz so glimpflich davongekommen sind 328 Steuerflüchtlinge, die mit | |
einem maroden Fischkutter vom französischen Festland nach Jersey übersetzen | |
wollte. Das Boot trieb drei Stunden mit Maschinenschaden im Ärmelkanal und | |
wurde schließlich von einem koreanischen Containerschiff gerammt. Hier kam | |
jede Hilfe zu spät. | |
20 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Rüdiger Kind | |
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