| # taz.de -- Altersweisheiten von Martin Walser: „Feinde machen das Sterben le… | |
| > Martin Walser wird 88. Älter werden, sagt er, ist leichter als alt sein. | |
| > Der Schriftsteller über ein langes Leben in kurzen Sätzen. | |
| Bild: Vom Leben gelernt: Martin Walser gibt seine Weisheiten weiter. | |
| Erste Erinnerungen | |
| Die gibt es nicht. Ich müsste aus dem Schwall der Erinnerungen einige | |
| auswählen und zu ersten Erinnerungen machen. Das wäre Fälschung. | |
| Kindheit | |
| Davon lebt man lebenslänglich. | |
| Beichten | |
| Etwas, was man getan hat, so zu sagen, dass es klingt, als bereue man es. | |
| Die Elementarschule der Bewusstseinsbildung. | |
| Gasthaus und Kohlenhandlung | |
| Im Gasthaus das Dorfleben als Theater. Die Kohlenhandlung der Stolz des 12- | |
| bis 17-Jährigen auf seine Arbeitsleistung. | |
| Mutter-Sohn-Beziehung | |
| Die einzige Beziehung, die kein Warum braucht. | |
| Soldat in der Wehrmacht | |
| Mehr Glück als Verstand. | |
| „Instrumentalisierung des Holocaust“ | |
| Das wurde immer falsch zitiert, weil nie jüdische Überlebende gemeint | |
| waren, sondern immer heutige Intellektuelle und Politiker, wie Walter Jens, | |
| der sagte, die deutsche Teilung sei eine Strafe für Auschwitz, und Joschka | |
| Fischer, der sagte, wir müssen in Serbien bombardieren, das seien wir | |
| Auschwitz schuldig. | |
| Jiddisch | |
| Eine aus dem Mittelhochdeutsch stammende Mundart, die durch Schriftsteller | |
| wie Abramovitsch zur großen Literatursprache geworden ist. | |
| Schreiben | |
| Mir fällt ein, was mir fehlt. Dann aber: etwas so schön sagen, wie es nicht | |
| ist. | |
| Literarische Vorbilder | |
| Kafka, Proust. | |
| Überschätzte Autoren | |
| Gibt es nicht. | |
| Realität | |
| ist ein Wort, um das Wirkliche manipulierbar zu machen. | |
| Fiktion | |
| ist die Veränderung des Erfahrenen bis zur Erträglichkeit. | |
| Verlorenes Tagebuch | |
| Es kommt mir wertvoller vor, als es gewesen sein kann. | |
| Literaturkritiker | |
| sind Schriftsteller, die, um über sich selbst schreiben zu können, über | |
| andere Schriftsteller schreiben müssen. Das kann nicht immer angenehm sein. | |
| Vorwurf: „Der VW unter den deutschen Schriftstellern“ | |
| Wer das als Vorwurf gemeint hat, versteht nichts von Autos. | |
| Marcel Reich-Ranicki | |
| war ein miserabler Autofahrer, aber ein unendlich unterhaltsamer | |
| Schriftsteller. | |
| Heimat | |
| Bloch sagte, Heimat sei das, worin noch keiner sei. Ich sage, Heimat ist | |
| das, worin keiner mehr ist. | |
| Nation | |
| ist ein Wort, mit dem etwas bezeichnet werden sollte, was offenbar | |
| wünschenswert war. Als Wort diente es jedem nach seinem Bedürfnis. Man | |
| wollte stolz sein können auf den Verband, zu dem man gehörte. Die Folgen | |
| sind bekannt. Umso unverständlicher, dass manche mit dem Wort noch so | |
| umgehen, als hätten nicht zwei Weltkriege deswegen stattgefunden. | |
| „Der Islam gehört zu Deutschland“ | |
| Von mir aus. | |
| Europa | |
| war für uns Schriftsteller immer schon unser Vaterland. Ibsen, Strindberg, | |
| Flaubert und so weiter, das waren die Götter meiner Jugend von Anfang an. | |
| Nur die Politik tut sich schwer, das zu verwalten, was schon lange | |
| existiert. | |
| Schwimmen | |
| ist die liebste und älteste Bewegungsart. | |
| Rauchen | |
| Ich bin ein Raucher, der nicht raucht. | |
| Trinken | |
| Ich trinke, um es auszuhalten. | |
| Lotto | |
| Lotto ist von allen Spielarten übrig geblieben: zweimal pro Woche wird mir | |
| bewiesen, dass ich nicht gewinnen kann. | |
| Die Ehe | |
| macht Erzähler aus uns allen. | |
| Vater sein | |
| ist schwerer, als es zu werden. | |
| Frauen | |
| sind offenbar viel stärker. | |
| Männer | |
| Das ist ein Plural, der sinnvoller ist als der Singular. | |
| Schönheit | |
| Dass wir etwas schön finden können, ist unsere höchste Fähigkeit. | |
| Liebe | |
| ist ein anderes Wort für Poesie. | |
| Erotik | |
| ist ein Fremdwort. | |
| Sex | |
| ist eine Sportart, von der ich immer wieder höre. | |
| Seitensprung | |
| ist deutlich genug ein Wort für eine Nebensache. | |
| Geld | |
| ist umso wichtiger, je weniger man davon hat. | |
| Missgunst | |
| Missgunst ist ein missglücktes Wort. Ein Unwort. Ich meide es. | |
| Macht | |
| zu haben verdirbt jeden. | |
| Feminismus | |
| musste entstehen gegen männlichen Machtwahn. | |
| Kapitalismus | |
| Wie jeder -ismus: Übertreibung einer verständlichen Aktivität. | |
| Soziale Medien | |
| Kenne ich nicht. | |
| Edward Snowden | |
| Ich höre, dass wir abgehört werden. | |
| Angela Merkel | |
| ist für deutsche Verhältnisse ein Glücksfall. Und als Frau demonstriert | |
| sie, dass Schönheit einer Wesensart entspringt. | |
| Wladimir Putin | |
| Tut mir leid, er imponiert mir. | |
| Utopien | |
| Ohne Utopie ist das Dasein unerträglich. | |
| Humor | |
| Wer Humor hat, hat Reserven, die von privilegierter Herkunft stammen. | |
| Träume | |
| Wichtigstes Selbstgespräch. | |
| Ängste | |
| kenne ich nur im Singular, und ich hüte mich, darüber Auskunft zu geben. | |
| Recht haben müssen | |
| Das wollte ich mir allmählich abgewöhnen. Noch nicht geschafft. | |
| Feinde | |
| Die müssen wir lieben. Sie machen uns das Sterben leichter. | |
| Glück | |
| ist ein Wort wie Gott oder Unsterblichkeit. Ein Wort für etwas, was es | |
| nicht gibt, aber wir brauchen es! | |
| Luxus | |
| Es ist leichter, daran teilzuhaben, als sich dazu zu bekennen. | |
| Geheimnisse | |
| Geheimnisse, die uns verschlossen sind, zeigen uns, dass wir Ansprüche | |
| haben, die wir nicht haben dürfen. | |
| Lügen | |
| Meistens Leistungen zugunsten dessen, dem sie serviert werden. | |
| Hoffnungen | |
| Der Sauerstoff einer von Smog regierten Welt. | |
| Älterwerden | |
| ist leichter als alt sein. | |
| Glauben | |
| Wir glauben mehr, als wir wissen. | |
| Grabsteinspruch | |
| Von – bis. | |
| Gott | |
| Das ist der Triumph der Sprache über die Erfahrung. | |
| 23 Mar 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Alem Grabovac | |
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