# taz.de -- Warnstreiks in Kitas: „Wickeln schreckt ab“ | |
> Windeln wechseln, Gespräche führen und auf die Kinder aufpassen: Eine | |
> Erzieherin, ein Erzieher und eine Leiterin haben ihren Kita-Alltag | |
> protokolliert. | |
Bild: Diese Babys sind zwar süß, machen aber auch viel Arbeit. | |
## | |
„Einen Bildungsplan für die Kita gab es auch in der DDR schon. Der wurde | |
sehr stringent umgesetzt. War Mathematik dran – wir haben Mengenlehre | |
gesagt –, haben alle Kinder der Gruppe das Gleiche geübt. Der Kindergarten | |
war nötig, weil alle arbeiten gingen, aber in erster Linie war er auch eine | |
Bildungseinrichtung. | |
Nach der Wende hat sich die Gesellschaft verändert, und auch an der Kita | |
wurde vieles umstrukturiert. Der DDR-Bildungsplan galt nicht mehr. Die | |
Betreuung stand, wie in der Bundesrepublik üblich, im Vordergrund. | |
Mit der Einführung des Sächsischen Bildungsplans im Jahr 2006 hat sich die | |
gesellschaftliche Sicht auf den Beruf und auf das Kind erneut stark | |
verändert. | |
Wir gehen heute viel individueller vor, wir beobachten das Kind, was es für | |
Bedürfnisse, für Interessen und Themen hat. | |
Heute muss ich im gesamten Tageslauf viel mehr beobachten und | |
dokumentieren. Ich mache mir immer Stichpunkte und formuliere diese später | |
im Portfolio – so nennen wir die Mappen der Kinder – aus und schreibe | |
Lerngeschichten dazu. In der Kinderkrippe fotografieren wir viel und machen | |
oft Videobeobachtungen gerade in Vorbereitung auf die Elterngespräche. | |
Entwicklungsgespräche gab es früher auch, aber nicht so detailliert. Heute | |
fordern unsere Eltern das richtig ein. Wir haben sehr gut ausgebildete | |
Eltern. Das fordert uns auch. Ich muss mich auf die Gespräche gut | |
vorbereiten, um auf Augenhöhe kommunizieren zu können. | |
An den Öffnungszeiten hat sich wenig verändert, wir haben von halb sieben | |
bis halb sechs geöffnet. Wir lang gedienten Mitarbeiter haben uns hier in | |
Dresden erkämpft, dass wir unsere alten Arbeitsverträge mit 40 Stunden | |
behalten. Unsere neuen Mitarbeiter – und Dresden stellt massiv ein – werden | |
nur mit Teilzeitverträgen eingestellt. Die gehen im Monat mit etwa 1.000 | |
Euro nach Hause, und das nach einer fünfjährigen Ausbildung. Die freien | |
Träger haben zum Teil eigene Tarifverträge, da bekommen die Kollegen noch | |
bedeutend weniger.“ | |
** | |
## Lärm ist eine der größten Belastungen | |
„In unserer Kita hatte immer etwa die Hälfte der Kinder einen | |
Migrationshintergrund, aber heute hat sich die Klientel und deren | |
Anforderungen geändert. Den türkischen Eltern war es früher wichtig, dass | |
das Kind Deutsch lernt und gut isst, platt gesagt. Heute geht es nicht mehr | |
nur um Sprache – die ist nach wie vor sehr wichtig –, sondern auch um | |
Umgangsformen, um Bewegung, kognitive Inhalte – Bildung als Gesamtpaket | |
also. | |
Momentan ist das sehr belastend – auf der einen Seite die gestiegenen | |
Anforderungen, auf der anderen der Personalmangel. In einer Gruppe von 20 | |
Kindern von 2 bis 6 Jahren sind zwei Fachkräfte und eine halbe Kraft – ohne | |
Puffer für Fortbildungen, Urlaub oder Krankheit. | |
Massiv geändert hat sich die Gruppenzusammensetzung. Wir hatten früher 120 | |
Kinder in der Kita, und davon waren sieben unter drei Jahren. Heute sind | |
von 100 Kindern 40 jünger als drei. | |
Das ist ein ganz anderes Arbeiten. Jeden Tag müssen Räume zum Schlafen | |
hergerichtet werden, das heißt: Matratzen hinlegen, Bettchen machen und | |
danach wieder alles abbauen. Dann fehlen diese Räume, alles knubbelt sich | |
und es wird lauter in den Gruppenräumen. Lärm ist eine der größten | |
Belastungen in diesem Beruf. | |
Bei uns gab es immer drei bis vier männliche Erzieher. Ein Mitarbeiter der | |
KölnKitas hatte es sich auf die Fahnen geschrieben, mehr Männer in die | |
Kitas zu holen. Aber allein vom Reden passiert nichts. Die Entlohnung und | |
das Ansehen der Tätigkeit müssen sich ändern. | |
Ich kann mir zudem vorstellen, dass viele Männer durch die Vorstellung, | |
dass tägliches Wickeln und andere pflegerische Aufgaben einen nicht | |
unwesentlichen Teil der Tätigkeit ausmachen, abgeschreckt werden. Viele | |
Männer, und ich gehöre dazu, die haben kein Problem, ihren eigenen Sohn zu | |
wickeln. Wenn aber Wickeln zum täglichen Arbeitsablauf gehört, fühle ich | |
mich damit nicht mehr so wohl. Das mag eine klassische Sicht sein, aber ich | |
glaube, den meisten Männern geht es auch so.“ | |
** | |
## Der Markt ist leer | |
„Seit 36 Jahren leite ich diese Kita. Als ich anfing, kamen die Kinder erst | |
mit vier Jahren zu uns. Sie gingen mittags nach Hause, und einige kamen | |
noch mal von halb zwei bis vier wieder. | |
Heute sieht das vollkommen anders aus. Wir haben zurzeit 107 Kinder von 0 | |
bis 6 Jahren. Ich skizziere mal meinen gestrigen Arbeitstag: Ich fing um | |
sieben Uhr morgens an und nahm die ersten Kinder in Empfang. Um acht Uhr | |
wurde besprochen, wer am Mittagstisch dabei ist, wer das Schlafen betreut | |
und wer wann in die Pause geht. Um neun Uhr kam eine Mutter zum | |
Aufnahmegespräch. Um halb zehn habe ich mit der Küche den Einkauf | |
abgeklärt. Um zehn haben wir mit den Erzieherinnen besprochen, wer die | |
Exkursion der Kinder ins Theater begleitet. Um Viertel elf musste ich einen | |
Bericht verfassen für die Versicherung. Kinder hatten Steine über den Zaun | |
geworfen und ein Auto getroffen. Um elf habe ich eine Familie durch die | |
Kita geführt. | |
Zwischen zwölf und zwei bin ich damit beschäftigt, die Erzieherinnen zu | |
unterstützen, um die Mittagszeit abzudecken. Die ist naturgemäß dünn | |
besetzt. Es fehlt an Personal. Um drei haben wir das Gespräch mit dem | |
Bürgermeister der Gemeinde, die unser Träger ist, vorbereitet. Eine Stunde | |
später stand ein Bewerbungsgespräch mit einer zusätzlichen Küchenkraft an. | |
Dazwischen kamen Praktikanten mit Fragen, ein Handwerker, eine Firma mit | |
einem Kostenvoranschlag bezüglich eines Lagerraums und eine externe | |
Spielplatzkontrolle. Um sieben ging es in den Elternausschuss. Um halb zehn | |
hatte ich Feierabend. | |
Diese Dichte und Schnelligkeit sind bezeichnend geworden für die letzten | |
Jahre. Es gibt mehr Kitaplätze, aber nicht genügend qualifiziertes | |
Personal. Ich habe zurzeit drei offene Stellen und eine Langzeiterkrankung, | |
aber der Markt ist leer. Das aufzufangen ist eine Herausforderung. | |
Es geht nicht darum, irgendjemanden einzustellen, nach dem Motto | |
„Hauptsache, zwei Hände mehr“. Wenn wir nur betreuen sollen, wäre das etw… | |
anderes. Aber wir verstehen uns als Bildungseinrichtung.“ | |
23 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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