# taz.de -- Debatte Opposition in Venezuela: Regierung schachmatt | |
> Die Wirtschaft taumelt am Abgrund. Doch die Opposition ist keine | |
> Alternative, sie vertritt nur die weiße Oberschicht und neoliberale | |
> Interessen. | |
Bild: Präsident Maduro versucht, sich auf der Isla Margarita Gehör zu verscha… | |
Das größte Problem Venezuelas, erklärte mir einmal ein Bekannter – selbst | |
Anhänger der Opposition –, ist der Zustand seiner Opposition. Was er | |
meinte, erlebte ich zuletzt als Beobachter der Präsidentschaftswahlen im | |
April 2013. Dabei traf ich die Sprecherin des Oppositionsblocks, María | |
Corina Machado. Wir internationalen Beobachter machten uns Sorgen, weil ihr | |
Bündnis sich weigerte, das Wahlergebnis unabhängig von seinem Ausgang | |
anzuerkennen. Alle anderen der 20 beteiligten Parteien hatten dies in einer | |
schriftlichen Erklärung getan. Der Präsident des Parlaments, Diosdado | |
Cabello, ein Exmilitär und mit zahlreichen Korruptionsvorwürfen | |
konfrontierter Unsympath, unterstellte, Machado wolle sich für den Fall | |
einer knappen Niederlage die Möglichkeit offenhalten, mit gewalttätigen | |
Straßenaktionen das Ergebnis anzufechten. | |
Er sollte Recht behalten. Auf Nachfrage beruhigte uns Corina Machado | |
zunächst. Wir sollten uns keine Sorgen machen, immerhin habe die Opposition | |
das Ergebnis bisher immer anerkannt. Kaum war das äußerst knappe Resultat | |
am Sonntag verkündet, zweifelte sie es an und rief zu Straßenaktionen auf, | |
um Neuwahlen zu erzwingen. Bei den Aktionen der Opposition starben | |
mindestens 13 Menschen, fast ausnahmslos Unterstützer der Regierung, auf | |
die Unbekannte teilweise gezielt das Feuer eröffneten. | |
Bei der Kampagne zum Sturz der Regierung im vergangenen Jahr 2014 starben | |
über 40 Menschen. Corina Machado hatte mal wieder zu Protesten aufgerufen, | |
um die Regierung zu stürzen. Auf das Konto von Oppositionellen gingen dabei | |
mindestens 15 der Opfer. Zu den fünf Toten, die nachweislich von | |
Sicherheitskräften getötet wurden, eröffnete die Staatsanwaltschaft sofort | |
Verfahren. Die Beamten wurden aus dem Dienst entfernt und müssen sich nun | |
vor Gericht verantworten. Ein Novum in der venezolanischen Geschichte, das | |
anzeigt, dass die Zeiten der Straflosigkeit für uniformierte Gewalttäter | |
vorbei sind. | |
Warum skandalisiert die Opposition nun angebliche Repressalien? Weil sich | |
inzwischen auch Oppositionsanhänger für die von ihnen begangenen | |
Gewalttaten juristisch verantworten müssen. Für Vertreter der Opposition | |
bietet das nicht einfach einen willkommenen Anlass für eine ihrer | |
verlogenen Kampagnen. Vielmehr halten sich die Vertreter der weißen | |
Oberschicht, die Nachkommen von Sklavenhaltern, grundsätzlich für | |
unantastbar. Genau diese antidemokratische Haltung bringt auch eine Corina | |
Machado dazu, internationalen Wahlbeobachtern ins Gesicht zu lügen. | |
## Absurdes Währungssystem | |
Hat Präsident Nicolás Maduro also recht, wenn er der Opposition die | |
alleinige Schuld an der desolaten Lage des Landes zuschiebt? Mitnichten. | |
Zwar trifft es zu, dass der radikalere Teil der Opposition mit allen | |
Mitteln versucht, das Land zu destabilisieren. Dazu gehört auch | |
wirtschaftliche Sabotage und das Zurückhalten von Versorgungsgütern. Aber | |
die Regierung hat ihren Gegnern die wichtigste Waffe dafür selbst in die | |
Hand gegeben. Denn es gibt ein zweites großes Problem in Venezuela, und das | |
ist eine handlungsunfähige Regierung. Mit ihrer Währungspolitik hat sie | |
spätestens seit 2011 einen beispiellosen Anreiz für Betrug und Korruption | |
geschaffen. | |
Um es an einem Beispiel vorzurechnen: Wenn ich 6 Bolivar nehme und dafür | |
beim Staat 1 Dollar kaufe, kann ich diesen Dollar mit einer illegalen, aber | |
unkomplizierten Transaktion in 200 Bolivar verwandeln. Ich bekomme also das | |
33-Fache meiner Ausgangsinvestition. Unternehmer, denen diese Operation zu | |
riskant ist, bauen noch ein Schleife ein: Sie kaufen die Dollar für | |
Warenimporte beim Staat zum Kurs 6:1. Sie verkaufen die importierten | |
Produkte aber auf dem Schwarzmarkt oder in Kolumbien zum Verhältnis 1:200. | |
Fakt ist: Die grotesk überbewertete Landeswährung Bolivar macht nicht nur | |
jede inländische Produktion verglichen mit Importen viel zu teuer, sie | |
befeuert auch Betrug, Korruption und Warenknappheit. | |
Dass die Regierung es seit dem Tod von Hugo Chávez nicht schaffte, die | |
Landeswährung regelmäßig abzuwerten, liegt keinesfalls an fehlendem | |
Sachverstand. Vielmehr gelingt es seinem Nachfolger nicht, sich gegen | |
diejenigen in der Regierung durchzusetzen, die sich an dieser irrationalen | |
Wirtschaftspolitik illegal bereichern. In dieser Sache zeigen viele Finger | |
auf die Militärs um den oben genannten Parlamentspräsidenten Diosdado | |
Cabello. | |
## Was immer geht: Feindbild USA | |
Schlimmer noch: Alle Wirtschaftsfachleute, die wie Maduros ehemals engster | |
Berater Temir Porras eine Korrektur der makroökonomischen „Heterodoxie bis | |
zur Irrationalität“ forderten, sind inzwischen aus dem Kabinett verbannt. | |
In den letzten vier Jahren hat das Land seine Auslandsreserven an Devisen | |
komplett verbrannt. Die Ermittlungen gegen Wirtschaftsbetrüger, egal aus | |
welchem politischen Lager, kommen nicht ernsthaft voran. Die einzige | |
wirtschaftliche Rettung besteht in langfristigen Vereinbarungen über die | |
Lieferung von Erdöl an China und zahlreiche lateinamerikanische Länder, | |
welche durch einen Mindestpreis von 50 US-Dollar die Öleinnahmen | |
einigermaßen gegen den aktuellen Preisverfall an den Spotmärkten absichern. | |
Ist der Chavismus am Ende, wie manche Auslandskorrespondenten reportieren? | |
Wenn das Land über eine subjektiv ehrliche, soziale und demokratische | |
Opposition verfügen würde, wäre er vielleicht ernsthaft gefährdet. Solange | |
aber Neoliberale und Ewiggestrige aus einer weißen Oberschichtsblase den | |
Kurs der Opposition bestimmen, muss sich Nicolás Maduro keine Sorgen | |
machen. Schon gar nicht, wenn sich diese Opposition mit Sanktionen aus | |
Washington den schmalen Rücken stärken lässt. | |
Ein besseres Ticket für lateinamerikanische Solidarität gibt es gar nicht. | |
Jeder in Venezuela und Lateinamerika kann sich an die schwarzen 1980er und | |
1990er Jahre erinnern, als der Washington Consensus den Subkontinent ins | |
Elend stürzte. „Heute meckern diese Leute, weil es kein Klopapier gibt“, | |
lautet ein populäres Statement in den Warteschlangen vor venezolanischen | |
Läden, „aber als wir früher gehungert haben, hat das niemanden | |
interessiert.“ | |
2 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Malte Daniljuk | |
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