# taz.de -- Gesundheitsversorgung in Venezuela: Methoden wie in den 40er-Jahren | |
> Durch den niedrigen Ölpreis hat Venezuela kaum Geld für seine | |
> Krankenhäuser. Für Brustkrebspatientinnen hat das verheerende | |
> Konsequenzen. | |
Bild: Wenn die Geräte nicht mehr funktionieren, hilft nur noch Beten: Bild aus… | |
CARACAS ap | Gabriel Romero führt jedes Jahr Hunderte Operationen durch, | |
die Menschenleben retten. Aber Freude an seiner Arbeit hat der Onkologe | |
nicht mehr. Denn viele Eingriffe müssten nicht stattfinden, stünde dem | |
Gesundheitssystem in Venezuela mehr Geld zur Verfügung. Als Folge des | |
niedrigen Ölpreises nimmt die Regierung in Caracas zu wenig ein; das | |
bekommt die staatlich finanzierte medizinische Versorgung zu spüren. Es | |
fehlt an Geräten, Ersatzteile für viele notwendige Apparate können nicht | |
finanziert werden. | |
Romero behandelt Brustkrebspatientinnen. Viele Brustamputationen wären | |
überflüssig, wenn eine Bestrahlung durchgeführt werden könnte. „Man fühlt | |
sich nicht wohl“, erklärte er kürzlich bei einem Besuch im | |
Luis-Razetti-Krebszentrums, das sich am Rande eines der Armenviertel von | |
Caracas befindet. Das einzige Gerät hier, mit dem eine Strahlentherapie | |
durchgeführt werden könnte, ist seit November defekt. „Man trifft eine | |
Entscheidung, die gegen das professionelle Verständnis verstößt“, sagt der | |
Arzt. „Wir praktizieren eine Medizin aus den 1940er Jahren, und wir wissen, | |
dass das nicht richtig ist.“ | |
Die Strahlentherapie ist neben der Operation und der Chemotherapie eine | |
wichtige Behandlung für Frauen mit Brustkrebs. Oft werden verschiedene | |
Methoden miteinander kombiniert. In der Regel versuchen Ärzte inzwischen, | |
möglichst brusterhaltend zu operieren. Mit einer anschließenden | |
Strahlentherapie wird dann das Risiko, dass der Krebs wiederkommt, deutlich | |
reduziert. | |
Diese Wahl haben viele Frauen in Venezuela nicht mehr. Mehr als die Hälfte | |
der in staatlichen Kliniken zur Verfügung stehenden Bestrahlungsgeräten | |
sind derzeit defekt, wie die medizinische Vereinigung in Venezuela | |
berichtet. Also bleibt den Ärzten als Therapie nur die Brustamputation, die | |
Mastektomie. Auch in diesem Fall findet normalerweise danach noch eine | |
Bestrahlung statt. Weil dies in Venezuela häufig nicht möglich ist, führen | |
die Ärzte aus Sicherheitsgründen meist die radikale Mastektomie durch, bei | |
der neben Brust und Lymphknoten auch die Brustmuskeln entfernt werden. Ein | |
so radikaler Eingriff wird in anderen Ländern nur noch sehr selten | |
durchgeführt. | |
Die Rentnerin Ana Mercedes wurde vor sechs Monaten im Krebszentrum | |
operiert. Noch immer kann sie mit ihrem geschwollenen Arm kein Glas Wasser | |
heben. Die Ärzte hatten ihr eine Strahlentherapie nach der Mastektomie | |
empfohlen. Doch während einer der Bestrahlungen fiel plötzlich das Gerät | |
aus. „Die Leute wissen nicht, wie schwer diese Operation wirklich ist“, | |
berichtet sie. „Aber noch schlimmer ist es, von einer Maschine abhängig zu | |
sein. Ich hatte solche Angst, dass irgendwo wieder eine Geschwulst zu | |
wachsen beginnt.“ | |
## Die Zahl der Brustkrebstoten steigt | |
In Venezuela ist die Zahl der Todesfälle als Folge von Brustkrebs laut | |
einer Studie der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation stark gestiegen. | |
Aber es sind nicht nur Krebsbehandlungen, die aus Mangel an Materialien und | |
Gerätschaften nicht zeitgemäß durchgeführt werden können. Auch andere Ärz… | |
berichten, dass sie zu veralteten oder nicht angemessenen Methoden | |
zurückgreifen müssen. So werden Bypassoperationen durchgeführt, wo auch ein | |
Stent hätte gesetzt werden können. | |
Der Regierung fehlt es ganz einfach an Devisen, um neue medizinische Geräte | |
oder Ersatzteile zu kaufen. Neben dem niedrigen Ölpreis – Öl macht 95 | |
Prozent des Exports aus – leidet die Wirtschaft in Venezuela auch unter | |
einer Hyperinflation und einer Währungskrise. Der Verband, der für die | |
medizinische Versorgung zuständig ist, schickte im März einen Brief an den | |
Kongress mit dem Hinweis, dass im vergangenen Jahr nur Devisen im Umfang | |
von 250 Millionen Dollar (etwa 230 Millionen Euro) zur Verfügung gestellt | |
worden seien statt der benötigten eine Milliarde. Für das laufende Jahr | |
habe es noch überhaupt keine finanzielle Zusage gegeben. | |
Antonio Orlando ist Präsident der Firma Meditron, die für die Wartung der | |
meisten Bestrahlungsgeräte verantwortlich ist, die bei | |
Brustkrebspatientinnen eingesetzt werden. Seit Oktober hätten keine | |
Ersatzteile im Ausland bestellt werden können, weil die Regierung keine | |
Devisen freigegeben habe, berichtet er. „Wir sind handlungsunfähig“, sagt | |
er. „Ich fühle mich deshalb schlecht, wir reden schließlich über | |
Krebspatienten.“ | |
25 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Hannah Dreier | |
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