| # taz.de -- An der Nordseeküste: Husum, Du schöne Stadt am Meer | |
| > Theodor Storm hat seiner Heimat Husum ein Denkmal gesetzt, nun wird sie | |
| > auf ewig die graue Stadt sein. Sie hat Besseres verdient. Ein | |
| > Spaziergang. | |
| Bild: Grau? Ist das grau? Die Krokusblüte im Husumer Schlosspark. | |
| Am grauen Strand, am grauen Meer / Und seitab liegt die Stadt; / Der Nebel | |
| drückt die Dächer schwer, / Und durch die Stille braust das Meer / Eintönig | |
| um die Stadt. | |
| Erst mal ein Krabbenbrötchen und ein Flens auf die Faust. Die Bänke im | |
| Binnenhafen hätten gut ein paar Rückenlehnen vertragen können. „Moin | |
| Carsten!“ Trotzdem schön hier. Ein bisschen zugig vielleicht. Aber Wind | |
| weht halt immer in Husum. Doch eintönig, das Meer? Nebel drückt die Dächer | |
| schwer? Theodor Storm, Du verbitterter Mann. | |
| Ja, lief nicht gut bei Dir als Du 1852 „Die Stadt“ dichtetest. Die Dänen | |
| ließen Dich nicht als Anwalt arbeiten, weil Du sie nicht in Husum haben | |
| wolltest. „Moin Henning!“ Du musstest zu den Preußen fliehen, die Dich und | |
| Deine deutschtreuen Brüder doch auch im Stich gelassen hatten. Tja. Ist | |
| blöd. Aber: Am grauen Strand, am grauen Meer – musste das sein? Husum wurde | |
| doch gerade ans Eisenbahnnetz angeschlossen. Der Viehhandel an der Neustadt | |
| wuchs und wuchs. | |
| Zugegeben, es zog wohl auch ordentlich Gestank durch die Stadt – vom Hafen | |
| her, von der Neustadt her. Und wo solltest Du hin, wenn es streng roch? | |
| Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai / Kein Vogel ohn' Unterlass; / Die | |
| Wandergans mit hartem Schrei / Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei, / Am | |
| Strande weht das Gras. | |
| Haste recht, Theo, Wald gab es damals kaum. Heute haben wir die Mauseberge: | |
| vom Hafen nur ein Stück die Au entlang, dann Richtung Bahnhof, noch schnell | |
| ein weiteres Flens fürn Weg, „Moin Henry!“, Richtung Hermann-Tast-Schule | |
| und flugs abgekürzt übern Bahndamm in die Mauseberge. Der kleine, hügelige | |
| Stadtwald sollte erst 100 Jahre nach „Die Stadt“ entstehen. Schön ist es | |
| hier. Es rauscht kein Wald? Denkste, Theo, denkste. Die Vögel zwitschern. | |
| Guter Wald, hätten nur „Christian“ und „Xaver“ dich nicht so verstümm… | |
| Wind weht ja immer, aber so ein Orkan? Na ja, muss ja. | |
| Rüber ins Friesenstadion. Die Macht von der Au – Husumer SV. Zweite | |
| Halbzeit ist Eintritt frei. „Moin Bati!“ Erst mal noch ein Flens. | |
| Bratwurst. Ohne Eintrittskarte kann ich auch nicht an der Aalverlosung in | |
| der Halbzeitpause teilnehmen. Pechsache. Immerhin ein Heimsieg. Wat löpt, | |
| dat löpt. Im Spielbericht werden die Jungs von der Husumer SV wieder als | |
| „Stormstädter“ bezeichnet werden. | |
| Am Strande weht das Gras. Stimmt, Theo. Also ab zum Dockkoog. Quer durch | |
| die Stadt, vorbei an Deinem früheren Wohnsitz in der Süderstraße, „Moin | |
| Finn!“, an der Marienkirche, die Du verächtlich als „gelbes, hässliches | |
| Kaninchenhaus“ verunglimpft hast, am Tine-Brunnen (kennste nicht, kam nach | |
| Dir), an Deinem Geburtshaus am Markt und an Deinem Haus, dem Storm-Haus, | |
| das heute Dein Museum beherbergt. Theo, wenn Du wüsstest, wie omnipräsent | |
| Du hier bist. Du hättest Deiner Stadt mehr als nur ein | |
| Ich-liebe-Dich-trotz-allem-Gedicht hinterlassen. Du hättest Dich ihr | |
| bedingungslos hingegeben. | |
| Weiter über den Deich. Ach, der Dockkoog, liebevoll dem Meer abgetrotztes | |
| Land. Wie schön ist es doch, ein Meer mit Rasen davor in der Stadt zu | |
| haben. Kein Sand, der einem ins Gesicht peitscht. Großartig. Darauf noch | |
| ein Flens. Die Sonne scheint. Ein bisschen kicken. „Moin Finn!“ Ein | |
| bisschen rumgammeln. Auf dem Rückweg gibt’s am Hafen noch ein | |
| Fischbrötchen. Dann wird gegrillt. Husumer Sommerferien. „Einen Tag meines | |
| Lebens gäb ich dafür her, wenn es einmal noch wieder so wär.“ Das hast | |
| nicht Du gedichtet, Theo. Das war Hannes Wader in „Kleine Stadt“. Du hast | |
| es aber bestimmt genauso gemeint, als Du schriebst: | |
| Doch hängt mein ganzes Herz an dir, / Du graue Stadt am Meer; / Der Jugend | |
| Zauber für und für / Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir, / Du graue Stadt | |
| am Meer. | |
| 14 Apr 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Jürn Kruse | |
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