# taz.de -- Das Ö: Der unnötige Buchstabe | |
> Das Ö ist Außenseiter, Klang gewordene Ratlosigkeit und nicht | |
> integrationsfähig. Selbst Nerds wie Ä und Ü wollen nichts mit ihm zu tun | |
> haben. | |
Bild: Wäre das Ö weg, niemand würde es bemerken. | |
Wenn alle anderen Buchstaben auf dem Schulhof herumtollen, steht das Ö | |
linkisch am Rand. Es steht nicht einmal in der Raucherecke, dort versammeln | |
sich bekanntlich die cooleren Charaktere, etwa Q, X und Y. Der Umlaut macht | |
jeden Buchstaben, und sei er noch so groß geschrieben, zum belächelnswerten | |
Außenseiter. Ä und Ü können ein Lied davon singen. Die beiden Pünktchen | |
sind wie dicke Brillengläser, anhand derer wir den Außenseiter Ö von seinem | |
normalen Geschwisterchen O unterscheiden können. Streng genommen ist das Ö | |
nicht einmal ein eigenständiger Buchstabe, sondern nur ein umgelautetes O. | |
Selbst Nerds wie Ä und Ü schauen auf das Ö herab, wollen nichts mit ihm zu | |
tun haben. Denn nicht nur optisch erinnert das Ö mit seinem Mondgesicht und | |
den beiden hingetupften Fühlern an Willy, den kognitiv leicht | |
eingeschränkten Freund der Biene Maja. In phonetischer Hinsicht ist es die | |
Klang gewordene Ratlosigkeit, beinahe schon ein fertiges Emoticon. | |
Wer etwa Sprechpausen überbrücken möchte, macht im deutschen Sprachraum | |
gerne und ausgiebig Gebrauch vom Ä („Ähh …“) als phonetischem Lückenf�… | |
und akustischem Fugenschaum. Um das Ö aber macht man einen großen Bogen. | |
Nicht zufällig. Das Ö ist das noch dümmere Ä. Wer „Öhh…“ sagt, der m… | |
nicht nur eine Pause, während der er rasch die Angel einholt, mit der er im | |
Trüben fischt, nein, bei dem kommt einfach nichts mehr. Der ist am Ende. | |
Manche Buchstaben wie das T oder das P können bei Bedarf zu einem | |
Peitschenschlag verdichtet werden, in einem Wort wie Ärger kommt sogar dem | |
Ä eine dramaturgische Bedeutung zu. Das O ist ein Brustton, das Ö ein | |
Flötenton. Denn während das O fordert, das Gaumensegel zu blähen und die | |
Mundhöhle zu einer romanischen Kuppel zu weiten, beansprucht das verklemmte | |
Ö wesentlich weniger Platz. Es bildet sich zwischen Zähnen und Lippen, die | |
vermittels der Wangenmuskulatur widernatürlich kontrahiert werden. Wer Ö | |
sagt, muss gar nicht erst B sagen. Wer Ö sagt, sieht einfach blöde aus. | |
Das gilt auch für die meisten Begriffe, die sich irgendwann ein Ö | |
eingefangen haben wie eine Krankheit, über man nicht gerne spricht. Sie | |
faulen sozusagen von innen: Ödnis, Dödel, Möse, Tröte, Kröte, Möhre oder | |
eben Gedöns leiden hörbar an einer Ömmeligkeit, die alles Luxuriöse, | |
Pompöse oder gar Königliche kategorisch von sich weist. | |
## Kein Frieden mit dem Ö | |
Das Ö ist eine Buchstabe gewordene Schwachstelle und gerade in Namen | |
unbedingt zu verzichten. Ödön beispielsweise mag das ungarische Edmund | |
sein, ist aber das Ödem unter den Vornamen. Ein Goethe wusste das. Weshalb | |
wir in Deutschland zwar lieber Porträt statt Portrait schreiben, für | |
besonders vornehme Worte aber sicherheitshalber die keltische Schreibweise | |
beibehalten. Feuilleton klingt, sieht aus und liest sich einfach besser | |
als: Föjetong. Vom dubiosen Öro oder der Öre ganz zu schweigen, mit dem der | |
Pariser oder die Kopenhagenerin ihre Croissants bezahlen. | |
Nicht einmal Österreich hat seinen Frieden mit dem Ö gemacht, weicht doch | |
der Österreicher bei jeder Gelegenheit gerne auf „Austria“ aus (Kennzeichen | |
A). Angelsachse reagieren auf das O mit Umlaut aus völkerrechtlichen | |
Gründen ohnehin eher allergisch. Der Umlaut erscheint hier nicht als | |
pünktchenhaft verspielter Tand, als ästhetische Marotte, sondern, ganz wie | |
die Fraktur, als Erinnerung an einen unheilvollen deutschen Sonderweg. | |
Oder, wie Lemmy Kilmister von Motörhead (!) [1][mir einmal sagte]: „It‘s | |
not a nazi thing, you know? I just like that special look!“ Dänen, | |
Norweger, Faröer und Isländer haben daraus die Konsequenz gezogen, ihr | |
eigenes Ö konsequent durchzustreichen. Ein Ø weiß, woran es ist. | |
Manchen Worte scheinen das Ö sogar aus eigenen Kräften ganz bewusst zu | |
vermeiden. Man beachte nur, wie beispielsweise in Œuvre das E sich förmlich | |
in das schützende O hineindrängt – aus Angst, von aufmerksamen Lesern | |
entdeckt und vom Duden doch noch zu einer entwürdigenden Existenz als Ö | |
verurteilt zu werden. Umgekehrt gleicht es einem Todesurteil, bei Scrabble | |
ausgerechnet das Ö zugewiesen zu bekommen. Wer hier das Ö zieht, zieht die | |
Arschkarte, der empfindet sogar den Buchstabenwert von acht Punkten als | |
blanken Hohn. | |
Es ist also das Ö niemals richtig in Deutschland angekommen. Es existiert | |
am Rande der Gesellschaft und scheint nicht integrationsfähig. Es steht für | |
alles, was kein Mensch braucht. Wäre es weg, würde es erst niemand bemerken | |
und dann niemand vermissen. Wir sollten das Ö ausweisen, auch in seinem | |
eigenen Interesse. In ein Land, das es zu schätzen weiß, wo es sich fühlen | |
darf wie ein Fisch im Wasser. Am besten nach Frankreich. | |
3 Apr 2015 | |
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## AUTOREN | |
Arno Frank | |
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