# taz.de -- Tocotronic-Produzent Moses Schneider: „Dur klingt lustig“ | |
> Pop-Produzent Moses Schneider über den Effekt von Saxofonen auf Frauen. | |
> Und über einsame Weihnachten als Sohn eines Kirchenmusikers. | |
Bild: Schneiders aktuelles Werk: das „Rote Album“ der Band Tocotronic. | |
taz: Wussten Sie, dass Dur im Gegensatz zum weiblichen Moll das männliche | |
Tongeschlecht ist? | |
Moses Schneider: Das ist ja abgefahren! | |
Ähnlich war meine erste Reaktion, als ich es im Lexikon gelesen habe. | |
Ich finde Dur tatsächlich lustiger als Moll. | |
Wann haben Sie gelernt, zwischen Dur und Moll zu unterscheiden? | |
Mein Vater wollte, dass ich Harmonielehre verstehe. Da gab es viel zu | |
entdecken, das fand ich als Kind spannend. | |
Ihr Vater war Kirchenmusiker? | |
Meine ersten 16 Lebensjahre habe ich in Spandau verbracht, eisenhart. Am | |
schlimmsten war es an Weihnachten. Da hatte mein Vater Gottesdienste zu | |
leiten. Um 18 Uhr kam er kurz, nach 20 Minuten Bescherung ist er wieder | |
abgehauen. | |
Was war Ihnen denn wichtiger, Rockmusik oder die Kirchenmusik? | |
Der richtige Kick kam durch die erste Schallplatte, die mir mein Vater | |
geschenkt hat: „In-A-Gadda-Da-Vida“ von Iron Butterfly. Der Titelsong | |
dauert mehr als 16 Minuten. In der Mitte ist ein Schlagzeugsolo, das kann | |
ich noch nachsingen. Das hat mich begeistert, auch weil ein Phaser-Effekt | |
auf den Drums liegt. | |
Ist Musik etwas, was Ihnen leicht gefallen ist? | |
Musik hat mich mehr interessiert als alles andere. Mit zwölf hatte ich | |
keinen Bock mehr, Instrumente zu üben, und wurde Langstreckenläufer. Aber | |
vom Rundenlaufen kriegt man keine Freundin. Leichter geht es als Musiker. | |
Also begann ich Anfang der Achtziger mit dem Saxofon. Und hatte sofort eine | |
Freundin! | |
Sie haben in Bands gespielt, bevor sie als Toningenieur arbeiteten. Wie war | |
Ihre erste Erfahrung im Hansa-Studio? | |
Es waren drei Jahre, in denen ich von den Großen lernte. In den Achtzigern | |
kostete dort der Tag 2.000 Mark. Man hat eine Woche am Mix für den Hit | |
gesessen. Alle Instrumente wurden isoliert voneinander aufgenommen. | |
Digital, es klang schrecklich. | |
Inwieweit kommt Ihnen die Kenntnis von Harmonielehre im Studio zugute? | |
Harmonielehre ist die Sprache der Musik. Selbst wenn man darauf verzichten | |
möchte, muss man ja wissen, warum. Wenn man sie versteht, ist vieles | |
einfacher. Mein Zweitinstrument war der Bass, weil mich Melodien nicht mehr | |
so interessierten. Und Bass spielen ist angewandte Harmonielehre, da können | |
Gitarristen noch so viel C-Dur spielen, ein fettes A-Moll 7 vom Bass, und | |
du hast die Macht. Ein C-Dur-Akkord ist eben nicht nur Dur, der hat noch | |
andere Farben. | |
Ist die Unterscheidung zwischen Dur und Moll sinnvoll? | |
Es ist wichtig, dass es einen Unterschied gibt. Der macht es spannend, | |
genauso wie es links und rechts oder oben und unten gibt. Interessant wird, | |
sich dazwischen zu bewegen und Dur und Moll zu kombinieren; denn das ist ja | |
erst mal nur die Beschreibung eines Dreiklangs, und der hat drei Noten; | |
wenn ich da eine vierte Note dazupacke, wird es eine Mischwelt. | |
Wie das? | |
Man kann sagen, das eine ist Dur, das andere ist aber schon Moll. Der | |
Grundton, die Terz und die Quinte: C E G im Falle von C-Dur. Jetzt gibt es | |
die sogenannte Moll-Parallele, sie wäre das A unter dem C, das heißt zu | |
diesen drei Tönen, C E G, kommt links unter dem C das A. Das ist ein | |
A-Moll-7-Akkord. Oder ein C-6-Akkord, je nachdem, wie man’s braucht. | |
Was verbinden diese Töne? | |
Diese vier Töne verbinden quasi zwei Welten miteinander, dann ist die | |
Frage: Welcher Note gibt man mehr Gewicht? Es sind ja nicht alle gleich | |
laut, dann kommt man auf eine andere Ebene: Einmal so wie links-rechts – wo | |
sind die Töne? Die andere Ebene ist laut und leise, oben und unten, damit | |
kommt Dreidimensionalität in den Klang. Kennt man sich mit Harmonielehre | |
aus, kann es lustig werden, denn je mehr Töne es gibt, desto mehr Obertöne | |
entstehen. Verstärkt man die, kommt man in ganz andere Gefilde. | |
Wann werden Sie von Musik ergriffen? | |
Wenn mir jemand ein Lied vorspielt, dann warte ich, bis der Gesang | |
einsetzt. Gitarrenklang kenne ich, aber weiß ich, wie die Stimme klingt? | |
Wie die Worte klingen, die gesungen werden? | |
Gerade haben Sie „Das rote Album“ von Tocotronic produziert. Und der Gesang | |
von Dirk von Lowtzow liegt vorne im Mix. | |
Er hat ja auch viel zu erzählen und legt jedes Wort auf die Goldwaage. | |
Ist die Musik von Tocotronic eher Dur oder Moll? | |
Es gibt andere Bands, die haben mit Dur experimentiert: Nirvana zum | |
Beispiel hatten ein eigenes Dur. Auch wenn nur ein Akkord von Cobains | |
Gitarre anklingt, er klingt unverwechselbar. Tocotronic spielen eher | |
normales Dur. | |
Gibt es „unverfälschten Klang“? | |
Nö! Kürzlich war ich in Neuseeland, und dort klingt die Umwelt vollkommen | |
anders. Dadurch erfährt man diese auch anders, weil es dort zum Beispiel | |
für uns exotische Tierarten gibt. Da sind völlig andere Klangräume. Die | |
Bäume rauschen anders als unsere Birken. Als Stadtmensch höre ich ja im | |
Alltag gar nicht hin, umso abgefahrener ist diese Hörerfahrung in der | |
Ferne. | |
Sind Klänge der Natur eher Dur oder Moll? | |
Beides. Lustig ist, wenn sich zwei Vögel unterhalten, und sie erzeugen | |
zusammen eine Melodie, dann lässt sich sogar ein Beat dazu machen. In | |
Neuseeland habe ich sekundenlanges Schnalzen von hoch bis tief gehört, | |
Töne, die sonst ein Synthesizer kreiert. Das klingt sehr beeindruckend. | |
19 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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