| # taz.de -- Essay Konservative Grüne: Der rechte Weg zur Macht | |
| > Sozialpolitik? Geschenkt. Kriegseinsätze? Immer her damit. Reichensteuer? | |
| > Beerdigt. Die Grünen umarmen die CDU – doch der Partei droht die | |
| > Spaltung. | |
| Bild: Frische Ideen? Nicht mehr mit den Grünen | |
| Es müsse ein „robustes Mandat“ geben, forderte Katrin Göring-Eckardt, als | |
| es darum ging, wie die internationale Gemeinschaft den sogenannten | |
| Islamischen Staat am besten bekämpfen soll. Deutschland müsse bereit sein, | |
| auch die Bundeswehr in Syrien einzusetzen. „Wenn herauskommt, dass am Boden | |
| agiert werden muss, würden wir das unterstützen.“ | |
| Die Fraktionschefin der Grünen will Bodentruppen nach Syrien schicken. Die | |
| Osteuropaexpertin Marieluise Beck kokettiert mit Waffenlieferungen in die | |
| Ukraine. Der Parteivorsitzende Cem Özdemir wiederum wirbt für eine | |
| EU-Armee. | |
| Entschuldigung, wo bitte geht’s zum Krieg? In der Außenpolitik sind die | |
| Grünen für jede Idee zu haben, solange sie zwei Bedingungen erfüllt: Sie | |
| muss Schlagzeilen produzieren und die Regierung rechts überholen. | |
| Angesichts so viel bellizistischen Übermuts ist man recht dankbar, dass ein | |
| nüchterner Sozialdemokrat im Außenamt sitzt und keine grüne Frohnatur. | |
| ## Keine Partei für Hartz-IV-Empfänger | |
| Die Außenpolitik ist nur ein Feld von mehreren, auf denen die Partei in die | |
| konservative Ecke drängt. In der Sozial-, Steuer- oder Familienpolitik, | |
| überall rücken die Grünen so beflissen in die Mitte, dass sich selbst | |
| gestandene CDU-Politiker wundern. Die Hartz-IV-Empfängerin mit zwei Kindern | |
| sollte sich auf die neuen Grünen besser nicht verlassen, der gut | |
| verdienende Rechtsanwalt, der Solarzellen auf dem Dach hat und dessen | |
| Gattin ehegattengesplittet die Kinder hütet, umso mehr. | |
| Die Basis klingt ehrlich verzweifelt. Die Grünen würden als „künftige | |
| Koalitionäre der CDU im Wartestand“ wahrgenommen, schrieben | |
| Parteimitglieder Mitte Februar in einem offenen Brief an ihren | |
| Bundesvorstand. | |
| Was der Öffentlichkeit suggeriert werden soll, ist offensichtlich: Wir, die | |
| Grünen, sind bereit, Verantwortung in einer Regierung zu übernehmen. Leider | |
| bewirken übereifrig vorgetragene Bekenntnisse oft das Gegenteil. In der | |
| Außenpolitik wirken sie unhistorisch und naiv, weil sie nicht nur die | |
| Parteigeschichte ignorieren, sondern auch die außenpolitische Realität in | |
| einer von Krisen geschüttelten Welt. | |
| Ähnlich deprimierend sieht es auf wichtigen Feldern der Innenpolitik aus. | |
| Bis zur verlorenen Bundestagswahl dachten die Grünen die Interessen | |
| marginalisierter Menschen ausdrücklich mit. Sie warben für die Bekämpfung | |
| der Altersarmut, für eine leichte Erhöhung der Hartz-IV-Sätze, für die | |
| Besserstellung von Alleinerziehenden. Sie wollten das Ehegattensplitting | |
| abschaffen, eine wenig thematisierte, aber politisch skandalöse Regelung im | |
| Steuerrecht, die sehr gut verdienenden Ehepaaren bis zu 16.000 Euro im Jahr | |
| schenkt, während unverheiratete Mütter oder Väter leer ausgehen. | |
| Solche Töne sind im öffentlichen Konzert der Grünen verstummt. Das | |
| Ehegattensplitting, das antiquierte Staatssponsoring der Ehe, wird | |
| natürlich so bleiben, wie es ist, auch wenn Grüne ab 2017 regieren. Eine | |
| Abschaffung käme beim ökoaffinen, aber verheirateten Bürgertum schlecht an. | |
| Diese Einschätzung teilt Katrin Göring-Eckardt mit Jürgen Trittin, was | |
| lustig ist, weil die neue starke Frau und der alte starke Mann der Grünen | |
| sonst wenig gemein haben. | |
| Womit wir bei der Steuerpolitik wären, diesem Tabuwort, das im grünen | |
| Wortschatz schon lange nicht mehr existiert. Deutschlands Reiche mehr | |
| belasten, um bessere Schulen und eine ehrgeizige Energiewende zu | |
| finanzieren? Die Grünen tun so, als hätten sie diese Frage nie gestellt. | |
| Beim Geld hört bei den Eliten der Spaß auf, das hat die Partei im Wahlkampf | |
| 2013 gelernt. | |
| ## Gute Themen: Zeit, Essen | |
| Die Vermögensabgabe hat Cem Özdemir in Interviews beerdigt. Bei der | |
| Erbschaftsteuer eiern die Grünen hilflos herum, weil sie keine Linie haben. | |
| Einerseits loben sie Wolfgang Schäuble, weil er Unternehmenserben | |
| wenigstens moderat besteuern will. Winfried Kretschmanns Landesregierung | |
| dagegen würde die Superreichen gerne schonen. Klingt absurd, ist aber Fakt: | |
| Teile einer ehemals linken Partei loben die Reform eines konservativen | |
| Finanzministers, während andere Teile versuchen, sie zu torpedieren, weil | |
| ihnen die Reform zu links ist. | |
| Die Grünen akzeptieren also, dass sich Vermögen und Macht bei immer weniger | |
| Superreichen konzentrieren. Sie verlassen genau den Bereich, in dem | |
| Veränderungen wehtun. Die Partei widmet sich stattdessen anderen Aufgaben. | |
| Es gibt sie noch, die guten Themen: Essen und Zeit. | |
| Indem sich die Grünen mit dem Umbau der industriellen Landwirtschaft | |
| beschäftigen, legen sie sich mit einer mächtigen Industrie an. Gutes Essen, | |
| das betrifft den Alltag aller Menschen und schlägt einen eleganten Bogen | |
| zum grünen Megathema, dem Klimaschutz. Auch die Zeitpolitik, die die Grünen | |
| heute auf ihrem kleinen Parteitag in Berlin diskutieren, trifft einen Nerv | |
| in progressiv denkenden Milieus. Viele gestresste Paare zwischen 30 und 50 | |
| reiben sich auf bei dem Versuch, die Lasten von Beruf und Familie fair zu | |
| teilen. | |
| Beide Themen haben aber etwas gemeinsam. Sie sprechen die Bedürfnisse der | |
| Mittel- und Oberschicht an. Derjenigen Menschen also, die interessante Jobs | |
| haben, gut verdienen und gerne etwas mehr Geld für ein Biodinkelbrot | |
| ausgeben. | |
| Hatten die Grünen bisher die ganze Gesellschaft im Blick, Arme, Abgehängte, | |
| Randgruppen inklusive, zoomen sie jetzt heran an die Interessen und Ängste | |
| des wohlsituierten Bürgertums. | |
| ## Nicht für schwule Romajungen | |
| Eine Kulturwissenschaftlerin, die sich von Vertrag zu Vertrag und Richtung | |
| Altersarmut hangelt, sollte besser nicht auf diese Grünen bauen. Die | |
| alleinerziehende Friseurin, die ihr Gemüse bei der Tafel besorgt, auch | |
| nicht. Und der schwule Romajunge, der in seiner Heimat diskriminiert wird, | |
| erst recht nicht. Dafür hat Kretschmann gesorgt, als er im Bundesrat dafür | |
| gestimmt hat, dass Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere | |
| Herkunftsländer gelten. | |
| Viele der beschriebenen Schwenks sind erst mal nur politische PR. Zwar | |
| zeichnen wichtige Grüne in Interviews ein konservatives Bild der Partei, | |
| aber offiziell beschlossen ist dieser Kurswechsel nicht. Darunter liegt ein | |
| Parteiprogramm, das oft ganz anderes will. Die Grünen geben in der | |
| Öffentlichkeit vor, etwas zu sein, was sie nicht sind. Präziser: was sie | |
| noch nicht sind. | |
| Diese Umdeutung wird von einer Gruppe innerhalb des Realoflügels | |
| vorangetrieben, die vor allem aus den starken Landesverbänden im Südwesten | |
| kommt und die von Özdemir im Bund vertreten wird. Ihr Ziel ist klar: Alle | |
| sperrigen Inhalte, die eine Koalition mit der Union im Bund verhindern | |
| könnten, werden abgeschliffen. | |
| Die interessante Frage ist nun ja nicht mehr, ob Grüne im Jahr 2017 | |
| Schwarz-Grün überhaupt wollen dürfen. Natürlich dürfen sie. Ein Bündnis m… | |
| Merkel ist kein Pakt mit dem Teufel, sondern nach Lage der Dinge die | |
| einzige Machtoption, die die Grünen haben. Spannender wird es, wenn man | |
| andere Fragen stellt. In welchem Zustand müssten die Grünen 2017 sein, um | |
| sich in ein für sie brandgefährliches Bündnis zu wagen? Und wie ließe sich | |
| als kleiner Partner möglichst viel herausholen? | |
| Der vorauseilende Gehorsam gegenüber Merkel, diese Unterwerfungsgesten, die | |
| einige Grüne praktizieren, machen Schwarz-Grün jedenfalls nicht zum | |
| Selbstläufer. Für Schwarz-Grün bräuchte die Parteispitze echte Erfolge, mit | |
| denen sie ihre skeptische Basis überzeugen könnte. Solche Brocken holt eine | |
| Partei mit elf, zwölf Prozentpunkten nur, wenn es harte Unterschiede gibt, | |
| die sie in Verhandlungen ausspielen kann. Die SPD hat vorgemacht, wie viel | |
| sich mit einem linken Programm erreichen lässt. | |
| Viel wichtiger aber ist, dass eine zweifelnde Partei eine Koalition mit der | |
| Union nicht beschließen wird. Wohlgemerkt, mit am Tisch säße ja eine CSU, | |
| die aus Angst vor der AfD auf eine rechtspopulistische „Wir sind nicht das | |
| Sozialamt der Welt“-Rhetorik setzt. Grüne, die das aushalten wollen, | |
| brauchen eine klare Agenda, Geschlossenheit und Vertrauen in die Führung. | |
| An all dem mangelt es. | |
| Özdemir und seine Kollegen spalten mit ihrer CDU-Umarmungsoffensive die | |
| Grünen, statt sie zu einen. Und sie bringen den Großteil der Partei so | |
| gegen das Ziel auf, das sie herbeisehnen. Außerdem haben sie keine Antwort | |
| auf die böse Frage, die über allem schwebt: Wofür braucht es Schwarz-Grün, | |
| wenn es zwischen CDU und Grünen keine Unterschiede mehr gibt? | |
| 25 Apr 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
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