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# taz.de -- 1. Mai in Berlin: Revolutionäre haben’s eilig
> Flott und soft wie selten verläuft die Revolutionäre 1.-Mai-Demo, die
> angekündigte Hausbesetzung scheitert. Zehntausende feiern auf dem Myfest
Bild: Der rot-schwarze Frontblock auf der 18-Uhr-Demo
So schnell ist die Revolution wieder vorbei: Die TeilnehmerInnen der
„Revolutionären 1. Mai-Demonstration“ haben die fast sieben Kilometer lange
Strecke von Kreuzberg nach Neukölln und wieder zurück in weniger als zwei
Stunden absolviert. Dazu beigetragen hat auch der fast reibungslose Verlauf
des Protests. Die Demo zog, ohne den Schritt zu verlangsamen, vorbei an der
symbolträchtigen einstigen Gerhart-Hauptmann-Schule, wo noch rund 50
Flüchtlinge wohnen. Nach Polizeiangaben beteiligten sich rund 18.000
Menschen an dem Aufzug, etwa so viele wie im Vorjahr; die Veranstalter
sprachen sogar von 33.000 TeilnehmerInnen. Die Polizei war nach Angaben von
Sprecher Stefan Redlich mit 6.200 Beamten im Einsatz. Währenddessen
feierten mehrere zehntausend Menschen weiter rund um die Oranienstraße auf
dem Myfest.
Die im Vorfeld befürchteten Ausschreitungen während der Demo blieben aus,
die Stimmung war zurückhaltender als in den Vorjahren. Einige Böller und
Flaschen wurden aus dem Demozug heraus auf Polizeiwagen geworfen; in der
Sonnenallee flogen Farbbeutel auf ein Polizeigebäude; mehrere Scheiben von
Geschäften entlang der Route gingen zu Bruch. Von Hausdächern aus ließen
Autonome Transparente herunter: Darauf stand „Fight racism“ oder auch
„Beamtenbeleidigung“; auf anderen Dächern wurde bengalisches Feuer
gezündet. Auch die Polizei hatte auf einigen Hausdächern Position bezogen.
Der angekündigte Versuch einer Hausbesetzung scheiterte: An der
Anzengruberstraße/Ecke Karl-Marx-Straße wurden die Türen eines
leerstehenden ehemaligen Kaufhauses mit Seilen geöffnet und drinnen
Bengalos entzündet. Mehrere Vermummte versuchten, TeilnehmerInnen der
Demonstration in das mit Rauch gefüllte Erdgeschoss des Gebäudes zu lotsen
– doch auf diese Aufforderung ging kaum jemand ein; die Demo zog einfach
weiter. Kurz darauf sicherten PolizistInnen das Haus. Die Radikale Linke
Berlin, die zur Besetzung aufgerufen hatte, schreibt in einer Erklärung von
Samstag dennoch von einem "Schritt in die richtige Richtung". "Leider wurde
der Raum nicht durch die Demonstration angeeignet und nur wenige
Aktivist_innen „trauten“ sich hinein", bemängelt die Gruppe. Woran das lag,
werde man nun "in einer ausführlichen Auswertung analysieren".
Die Demo-Veranstalter zeigten sich zufrieden und sprachen von der „größten
1.-Mai-Demonstration in ganz Deutschland“. Die politische Botschaft, so
Bündnissprecher Michael Prütz, sei „klar und eindeutig“. Man wende sich
gegen Verdrängung und Mieterhöhungen und zeige Solidarität mit Flüchtlingen
sowie dem „griechischen Volk gegen die Politik“.
Direkt nach Ende der Demonstration kam es am Lausitzer Platz zu
Auseinandersetzungen mit der Polizei, nachdem offenbar ein Zivilpolizist
verprügelt wurde. Es flogen Böller und Flaschen; die Polizei nahm mehrere
Personen fest.
Bereits am Donnerstagabend hatten trotz Regenwetters rund 3.000 Menschen
gegen Verdrängung und für Mieterrechte demonstriert. Sie zogen vom
Leopoldplatz im Wedding zur Eberswalder Straße in Prenzlauer Berg. Die
Forderungen der TeilnehmerInnen trafen zumindest im Wedding auf
Unterstützung bei AnwohnerInnen. „Ich würde auch demonstrieren, wenn ich
nicht arbeiten müsste. Die Mieten in Berlin kann sich bald niemand mehr
leisten“, sagte ein Cafébetreiber in der Buttmannstraße. Während im ersten
Teil der Strecke in jeder Straße AnwohnerInnen dem Zug von ihren Wohnungen
aus zuwinkten, blieben die Fenster im Prenzlauer Berg fast alle
geschlossen.
Dem Bündnis „Hände weg vom Wedding“, das die Demonstration organisiert
hatte, ist es damit gelungen, diesen Abend zu repolitisieren: Mit den zum
Ritual erstarrten, bis vor wenigen Jahren üblichen Scharmützeln in der
Nacht zum 1. Mai hatte der Protest wenig zu tun. Nicht mal das Wort
„Walpurgisnacht“ war im Aufruf noch vorgekommen. Am Ende waren alle
zufrieden: Innensenator Frank Henkel (CDU) sprach von einem „relativ
störungsfreien Ablauf“, Veranstalter Martin Steinburg von einer „guten,
lauten Demonstration“. Am Freitagmittag haben zudem mehr als 1.000 Menschen
gegen Kundgebungen der rechtsextremen NPD im Ostteil der Stadt protestiert.
Ansonsten wurde am 1. Mai ausgiebig unter freiem Himmel getanzt und
gefeiert – trotz vergleichsweise niedriger Temperaturen. Nach ersten
Schätzungen drängten sich mehr als 40.000 Menschen auf dem Myfest rund um
die Oranienstraße in Kreuzberg, bereits am Nachmittag wurden Zugänge wegen
Überfüllung geschlossen. In der Nacht zuvor versammelten sich im Mauerpark
in Prenzlauer Berg laut Polizei 500 Menschen friedlich. Auch im
Viktoriapark und im Görlitzer Park trafen sich Hunderte Menschen.
3 May 2015
## AUTOREN
M. Gürgen
P. Plarre
G. Nicolini
M. Kaul
G. Asmuth
## TAGS
Tag der Arbeit, Tag der Proteste
Demonstrationen
Kreuzberg
Myfest
Schwerpunkt 1. Mai in Berlin
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