# taz.de -- Studenten besetzen Hochschule: Die Amsterdamer 68er | |
> Wie Studierende in Amsterdam ihre Uni besetzen und eine Debatte über | |
> Privatisierung auslösen. Die Hochschule ist ein Musterbeispiel dafür, was | |
> schiefläuft. | |
Bild: Schlafender Protest. Im Februar 2015 in der Uni Amsterdam. | |
AMSTERDAM taz | Managerallüren an der Spitze der Universität? | |
Privatisierung, Immobilienspekulation, Prekarisierung in der nationalen | |
Bildungspolitik? – Nicht mit uns!, sagte sich eine aufmüpfige | |
Studierendenschar in Amsterdam und schaffte es, in nur zwei Monaten eine | |
basisdemokratische Gegenbewegung auf die Beine zu stellen, die Unterstützer | |
und Nachahmer weit über die niederländischen Grenzen hinaus gefunden hat. | |
Angefangen hat es Mitte Februar, als junge Geistes- und | |
SozialwissenschaftlerInnen der Universität Amsterdam (UvA), das Bungehuis, | |
ihre Fakultät im Stadtzentrum, besetzten. Ihr Protest galt Plänen, das | |
Bungehuis zu verkaufen, kleine „ineffiziente“ Studiengänge, wie Deutsch, zu | |
schleifen und die UvA mit der Freien Universität (VU) zu fusionieren. | |
Nach elf Tagen bestellte die Universitätsleitung ein polizeiliches | |
Einsatzkommando. Aber sie hatte sich verrechnet. Es gab Verletzte und über | |
fünfzig Verhaftungen, und als überdies noch Geldstrafen in sechsstelliger | |
Höhe verhängt wurden, wuchs der Widerstand, anstatt zu verstummen. | |
Mehrere hundert DozentInnen solidarisierten sich und fügten den | |
studentischen Forderungen nach Transparenz und Mitsprache die ihrigen | |
hinzu: Schluss mit befristeten Arbeitsverhältnissen und wachsender | |
Arbeitslast in Lehre und Forschung. | |
## Gemeinsame Sache | |
Am Tag nach der Räumung demonstrierten Professoren und Studierende zusammen | |
mit 2.000 Demonstranten in Amsterdam. Als der Marsch das Präsidiumsgebäude | |
der Amsterdamer Universität, das Maagdenhuis, erreichte, besetzten es | |
einige Studierende spontan. Sechs Wochen hielten sie es dort aus, bis auch | |
dieses Gebäude am 11. April geräumt wurde. Doch was Studierende mithilfe | |
der Lehrkräfte dort auf die Beine stellten und jetzt dezentral fortführen, | |
sucht seinesgleichen in der jüngeren Geschichte europäischer | |
Studentenrevolten. | |
Gemeinsam mit der Gruppierung kritischer Lehrkräfte „Rethink UvA“ erzwangen | |
die Studenten unter dem Motto „De Nieuwe Universiteit“ von den | |
Hochschulvertretern wichtige demokratische Zugeständnisse. So gibt es | |
seitdem zwei Komitees aus Studierenden, Lehrkräften, | |
Geisteswissenschaftlern, Gewerkschaftern und Vertretern der | |
Personalgremien, die Vorschläge zur Demokratisierung und Finanzierung der | |
Hochschulen erarbeiten. „Wir sind dabei, die Entscheidungsstrukturen zu | |
dezentralisieren“, berichtet Julie McBrien, Anthropologieprofessorin. „Wenn | |
wir gemeinsam zu Beschlüssen kommen, muss die Universitätsleitung sie | |
umsetzen, ob sie ihr passen oder nicht.“ | |
Die Vorsitzende des Verwaltungsrats, Louise Gunning, hatte auch die zweite | |
Räumung angeordnet, obwohl sich die Studierenden zuvor mit dem | |
Bürgermeister und der Polizei darauf geeinigt hatten, das Haus von selbst | |
zu verlassen. Sie ist inzwischen zurückgetreten. | |
„Ihre Position war nicht länger haltbar, weil sie die wirkliche Bedeutung | |
der Proteste nicht verstand“, meint Paul van Meenen, Abgeordneter und | |
Bildungsbeauftragter der linksliberalen Oppositionspartei D66. Seine Partei | |
hat eine Debatte über Leitungsstrukturen und Mitsprache an den | |
Universitäten auf die Tagesordnung des Parlaments gesetzt. Van Meenen | |
möchte auch über das in seinen Augen „perverse“ Anreizsystem für die | |
Hochschulen diskutieren. | |
Wie viel staatliche Mittel die Hochschulen erhalten, wird nach ihrem | |
„Ausstoß“ bestimmt und mit ökonomischen Anreizen gelenkt: Die Zahl der | |
AbsolventInnen oder der wissenschaftlichen Artikel wird belohnt, nicht die | |
Qualität der Ausbildung oder der gesellschaftliche Nutzen der | |
Forschungsergebnisse. „Ich kämpfe dafür, dass es der Zustimmung der | |
Hochschulgemeinschaft bedarf, was als Qualität aufgefasst wird, und welche | |
Anreize die Regierung und die Bildungsministerin setzen.“ | |
Van Meenen, früher selbst im Schuldienst tätig und langjähriger Gegner der | |
neoliberalen Bildungs- und Sozialpolitik der Regierungskoalition aus | |
Marktliberalen und Sozialdemokraten, erklärt, dass niederländische | |
Hochschulen einen hohen Grad an Autonomie genießen. Seine Partei hat im | |
Januar ein neues Gesetz durchs Parlament gebracht, das Studierenden und | |
Lehrkräften Mitsprache über die Verwendung der Hochschulmittel einräumt. | |
„Es wird aber noch nicht genutzt“, so van Meenen. „Bisher legt die | |
Regierung den Hochschulen eine Zwangsjacke an, sie belohnt sie zum Beispiel | |
dafür, dass so schnell wie möglich studiert wird. Die Maagdenhuis-Besetzung | |
ist ein Segen, sie hat das Thema auf die nationale Agenda gebracht.“ | |
Ein Teil des Erfolges der Besetzer ist ihrer Kommunikation zuzuschreiben. | |
Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen und der Verhandlungsverlauf mit der | |
Universität wurden im Netz auf Englisch dokumentiert. Eine Onlinepetition | |
hat mittlerweile 8.000 Unterzeichner, darunter prominente | |
KapitalismuskritikerInnen wie Noam Chomsky, Judith Butler und David | |
Graeber, Mitstreiter von „Occupy Wallstreet“. | |
Die niederländischen Regierungen haben seit 1993 die Privatisierung des | |
öffentlichen Dienstes vorangetrieben. Um die Staatsverschuldung zu senken | |
und die Kriterien des EU-Vertrags von Maastricht zu erfüllen, machte sie | |
Hochschulen – ebenso wie Schulen, Hospitäler oder Altenheime – zu Eignern | |
ihrer Immobilien. Die UvA ist nicht die einzige Universität des Landes, die | |
dadurch in einen Strudel von Bauprojekten und Schulden geraten ist. | |
## Gefährliche Finanzprodukte | |
Auch Ewald Engelen, Professor für Finanzgeografie an der UvA, unterstützte | |
die Besetzung. Nach seinen Untersuchungen hat die Universität zum ersten | |
Mal in ihrer Geschichte Schulden aufgenommen, die bis 2018 auf 400 | |
Millionen Euro anwachsen werden. Hinzukommen über 250 Millionen Euro in | |
Derivaten, um diese Kredite gegen Zahlungsausfälle zu versichern. | |
„Die Deutsche Bank hat in den Niederlanden Kredite und Derivate vermarktet, | |
und zwar nicht nur an Hochschulen und Krankenhäuser, sondern auch an kleine | |
und mittelständische Unternehmen. Ich fürchte“, sagt er, „dass wir in den | |
nächsten Jahren die negativen Konsequenzen dieser gefährlichen | |
Finanzprodukte zu spüren bekommen werden.“ Zu den Forderungen, die die | |
BesetzerInnen in nur sechs Wochen durchsetzen konnten, zählt auch die | |
absolute Transparenz der Universitätsfinanzen. | |
Die Universität von Amsterdam ist Teil einer breiteren gesellschaftlichen | |
Auseinandersetzung über die Schäden finanzmarktgetriebener Politik. Laut | |
Paul van Meenen ist die Bevölkerung wie die akademische Gemeinschaft | |
zwiegespalten: Eine Hälfte lehnt mehr partizipative Demokratie und | |
Eigeninitiative ab, die andere befürwortet das. | |
Doch das Amsterdamer Beispiel fand Nachahmer: An sechs weiteren | |
holländischen Hochschulen gründeten sich ebenfalls Studentenkollektive zur | |
Demokratisierung der Hochschulen. Im März und April haben, inspiriert von | |
Amsterdam, Studierende an der London School of Economics (LSE) und an der | |
Universität Kopenhagen ihre Rektorate besetzt. | |
7 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Tino Brömme | |
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