# taz.de -- Diskussion um Vergewaltigungen: Heißt Nein bald wirklich Nein? | |
> Das Sexualstrafrecht soll geändert werden, um Frauen zu schützen. Männer | |
> fürchten sich vor falschen Beschuldigungen. Zu Recht? | |
Bild: Frauen demonstrieren gegen Gewalt an Frauen. | |
Angst ist ein starker Antrieb. Sie ist der Grund dafür, dass viele Frauen | |
nach einer Vergewaltigung nicht zur Polizei gehen. „Ich habe Angst, dass | |
mir niemand glaubt und die Beweislage nicht ausreicht“, sagt eine | |
21-Jährige aus Chemnitz, die jahrelang von ihrem Stiefvater missbraucht | |
wurde. Eine 24-Jährige aus Hamburg, die mit 15 Jahren von einem Bekannten | |
vergewaltigt wurde, sagt: „Ich habe keine Möglichkeit, es zu beweisen. Und | |
ich wüsste nicht, wie ich das fertig bringen soll, Detail für Detail | |
durchzugehen, wie das damals war.“ | |
Angst vor Demütigung, davor, dass das eigene Sexualleben vor Gericht | |
ausgeschlachtet wird, Angst vor einem Wiedersehen mit dem Täter, Angst, die | |
eigene Familie zu zerstören – aus all diesen Gründen gehen | |
Vergewaltigungsopfer – fast immer sind es Frauen – nicht zur Polizei. Nur | |
ein Bruchteil der tatsächlichen Vergewaltigungen wird angezeigt. | |
7.345 Fälle waren es im Jahr 2014, die Dunkelziffer ist weit höher. In noch | |
weniger Fällen kommt es zur Verurteilung des Täters. Laut einer Studie des | |
Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen aus dem Jahr 2012 | |
erlebten nur 8,4 Prozent der Frauen nach einer Anzeige auch ein Urteil. | |
Zwanzig Jahre zuvor waren es noch 21,6 Prozent. | |
Hat also die Mehrheit der Frauen nach einer Vergewaltigung keine Chance auf | |
Gerechtigkeit? Hat es keinen Sinn, Anzeige zu erstatten? Sollten sich Opfer | |
die demütigenden Aussagen lieber gleich sparen? So in etwa sieht es der | |
ehemalige Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge. In einer Talkshow sagte er | |
mit Bedauern, seiner Tochter würde er im Zweifelsfall raten, nicht zur | |
Polizei zu gehen. | |
## Anzeigen oder nicht? | |
Das war am Rande des Kachelmann-Prozesses. Für die [1][taz.am wochenende | |
vom 9./10. Mai 2015] hat sich taz-Reporterin Annabelle Seubert einen | |
gewöhnlichen Vergewaltigungsprozess angeschaut. Einen, an dem keine | |
Prominenten beteiligt sind, der also nicht in der medialen Aufmerksamkeit | |
steht. Wie läuft eine derartige Verhandlung ab? Seubert versucht, der Frage | |
mit einem Gerichtsprotokoll näher zu kommen. Außerdem hat sie sich die | |
Erfahrungen der oben zitierten Frauen angehört. Nur eine von den dreien, | |
mit denen sie sprach, erstattete Anzeige. | |
Vergewaltigung und sexuelle Nötigung werden vom Paragrafen 177 des | |
Strafgesetzbuches geregelt. Kritiker sagen, der Paragraf sei zu eng | |
gefasst, darum fehle oft die Grundlage für eine Verurteilung. Die | |
Rechtsprechung habe sich zum Nachteil der Opfer verändert. Der | |
Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe listete zuletzt 107 | |
Fälle sexueller Gewalt auf, die die Justiz nie geahndet hatte. | |
## Ein „Nein“ zum Sex soll ausreichen | |
Bundesjustizminister Heiko Maas will den umstrittenen Paragrafen nun | |
reformieren, bis Ende Juni soll es einen Entwurf geben. Bislang gilt eine | |
Vergewaltigung als Vergewaltigung, wenn der Täter dem Opfer droht, Gewalt | |
anwendet oder dessen schutzlose Lage ausnutzt. Im neuen Entwurf soll der | |
Wille des Opfers eine größere Rolle spielen. Ein „Nein“ zum Sex könnte d… | |
ausreichen, damit eine Vergewaltigung vorliegt. Damit sollen auch Fälle | |
berücksichtigt werden, in denen die Frau aus Angst in eine Schockstarre | |
fällt. Oder keinen Widerstand leistet, weil sie davon ausgeht, schutzlos zu | |
sein – obwohl Hilfe erreichbar ist. | |
Die Meinungen zu den Reformvorschlägen gehen in der juristischen Fachwelt | |
weit auseinander. Juristische Fachverbände wie der Deutsche Richterbund und | |
der Deutsche Anwaltverein finden, Frauen in Deutschland seien bereits | |
umfassend geschützt, eine Reform also überflüssig. Der Deutsche | |
Juristinnenbund und mehrere Frauenrechtsverbände sehen es genau | |
entgegegesetzt. | |
## In Kalifornien gilt schon: „Yes means Yes“ | |
Ähnliche Debatten werden auch in anderen Ländern geführt: In Österreich | |
wird über eine Verschärfung des Sexualstrafrechts nachgedacht, die | |
Reaktionen sind ähnlich gespalten. In Kalifornien gibt es bereits ein | |
Gesetz, das noch weiter geht: Studenten müssen den Partner ausdrücklich um | |
Zustimmung bitten. „Yes means Yes“ wird das Gesetz genannt, es soll | |
sexuelle Übergriffe auf dem Campus bekämpfen. Dass sich jemand nicht | |
ausreichend wehrt, kann nicht mehr als Einverständnis gewertet werden. | |
Kritiker halten derartige Gesetze für männerfeindlich. Einige fürchten: | |
Eine Neuregelung von Paragraf 177 erleichtere falsche Anschuldigungen. | |
Frauen könnten Männern aus Rache „etwas anzuhängen.“ Die Reform führe zu | |
Denunzierung, sie werde von Ex-Partnerinnen ausgenutzt. | |
Entgegen dem Klischee vom Vergewaltiger im Park kennen sich Täter und Opfer | |
in den meisten Fällen. Oft ist der Vergewaltiger sogar der Partner. Das | |
Gesetz muss also in einem sehr intimen Bereich juristische Grenzen ziehen. | |
Und tatsächlich kommen falsche Beschuldigungen immer wieder vor. Die Zahlen | |
gehen weit auseinander, Schätzungen zufolge sind zwischen zehn und zwanzig | |
Prozent der angezeigten Vergewaltigungen erfunden. Könnten es mehr werden? | |
Müssen Männer also Angst haben vor einem neuen Sexualstrafrecht? | |
Jede siebte Frau in Deutschland hat bereits sexuelle Gewalt erlebt. | |
Betroffen ist also nicht nur eine Randgruppe, zur Sprache kommt das Thema | |
aber wenig. | |
Gehen wir mit Vergewaltigungen falsch um? Stellt die Neuregelung Männer | |
unter Generalverdacht? Oder braucht es die schärferen Regeln, um Frauen | |
endlich besser zu schützen? | |
Diskutieren Sie mit! | |
Die Titelgeschichte „Ein ganz normaler Abend“ lesen Sie in der [2][taz.am | |
wochenende vom 9./10. Mai 2015]. | |
8 May 2015 | |
## LINKS | |
[1] /Ausgabe-vom-9/10-Mai-2015/!159495/ | |
[2] /taw | |
## AUTOREN | |
Elisa Britzelmeier | |
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