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# taz.de -- Drogenkonsum in Deutschland: Die Repression ist gescheitert
> Im Rauschmittelbericht der Bundesregierung wird von steigendem Konsum die
> Rede sein. Und nicht vom Versagen der deutschen Drogenpolitik.
Bild: Seltsam: Gegen Drogenkonsum am Vatertag hat der Staat wenig einzuwenden.
Johannes Kopp muss sich schnell entscheiden. „Die nehm ich jetzt“, sagt er
und hängt sich hinter die Frau im schwarzen Seat Ibiza. Kopp kämpft auf
einer Landstraße nahe der tschechischen Grenze gegen Kuriere, die Crystal
Meth aus den Drogenküchen und von sogenannten Vietnamesenmärkten im
Nachbarland schmuggeln. Den Seat Ibiza ziehen Kopp und sein Kollege Achim
Herkt jetzt aus dem Verkehr.
„Können wir mal einen Wischtest machen?“, fragt Kopp die Fahrerin. Mit
einem präparierten Papierstreifen wischt Herkt über die Hände der Frau.
Spuren von Ecstasy oder Crystal Meth könnte er damit nachweisen. Negativ.
„Also das hab ich jetzt noch nicht erlebt“, sagt die Frau. „Aber so
rausgezogen, Ausweis, Führerschein, das ist hier normal. Irgendwie muss man
mit dieser Drogenschwemme ja fertigwerden.“
Die „verdachtsunabhängigen Kontrollen“, die Kopp und Herkt für den Zoll im
bayerischen Selb machen, stehen symbolisch für den Antidrogenkampf in
Deutschland. Gegen illegale Drogen wie Crystal, Heroin, Kokain und
[1][Cannabis gehen die Behörden hart vor, nehmen Zigtausende Konsumenten]
hoch. Hin und wieder erwischen sie sogar einen Hintermann. Aber hilft das
was? Die Zahl der Abhängigen bleibt hoch, das wird auch der neue
Drogenbericht der Bundesregierung am kommenden Donnerstag bestätigen.
Bei Drogen wie Crystal Meth steigt die Zahl der Konsumenten sogar. Im
vergangenen Jahr fielen der Polizei in Deutschland laut BKA mehr als 3.000
neue Erstkonsumenten von Crystal auf, 14 Prozent mehr als im Vorjahr. Heute
suchen doppelt so viele Menschen wegen Crystal um Hilfe bei
Suchtberatungsstellen nach als noch vor acht Jahren. In Deutschland stiegen
die Todeszahlen bei Konsumenten illegaler Drogen wieder an, von 1.002 im
Jahr 2013 auf 1.032 im vergangenen Jahr.
## Die Ausgaben sind geheim
Niemand weiß, wie viel Geld deutsche Behörden für den Kampf gegen Drogen
ausgeben. Anfragen an mehrere Bundesministerien und alle 16 Länder zeigen:
Es gibt nicht einmal Schätzungen, wie viel Geld und Personal in welche
Bereiche der Drogenpolitik fließen. Es ist nicht bekannt, wie groß deren
Nutzen ist. Schätzungen des gemeinnützigen Recherchebüros Correctiv zeigen:
Für die Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaften wird deutlich mehr Geld
ausgegeben als für die Prävention, zum Beispiel für Sozialarbeiter und
Beratungsstellen.
Berechnet man den Anteil der Drogendelikte an allen erfassten Straftaten
und schätzt darüber die Ausgaben, dürfte der Staat im Jahr 2012 mindestens
750 Millionen Euro für Drogenermittlungen ausgegeben haben. Hinzu kamen
mindestens 100 Millionen Euro für die Drogenarbeit der
Staatsanwaltschaften. Weitere Ausgaben, zum Beispiel für den Zoll, sind
hier noch nicht einmal erfasst. Zum Vergleich: Die staatlichen Ausgaben für
ambulante Suchthilfestellen, wichtige Träger der Suchtprävention und
-beratung, betrugen nach Berechnungen von Correctiv im Jahr 2013 knapp 500
Millionen Euro.
„In die Repression fließt insgesamt deutlich mehr staatliches Geld“, sagt
Tim Pfeiffer-Gerschel, Leiter der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen
und Drogensucht. Bis heute gebe es keine Kosten-Nutzen-Analyse für die
Drogenpolitik, dabei sei das enorm wichtig: Wenn etwa der Wirkungsgrad bei
ambulanter Suchthilfe 80 Prozent und bei Repression nur 30 Prozent beträgt,
sollte die Drogenpolitik angepasst werden.
Viele Beobachter betrachten die deutsche Drogenpolitik als gescheitert. Bei
legalen Drogen propagiert Deutschland maßvollen Konsum, obwohl Tabak und
Alkohol die größten gesellschaftlichen Schäden verursachen. Bei Crystal,
aber auch Cannabis setzt die Politik stattdessen auf Abstinenz,
Tabuisierung und Verfolgung. Studien zeigen, dass der Drogenkonsum eher
steigt als sinkt. Bei Alkohol und Tabak haben die Abhängigkeits- und
Missbrauchsraten zwischen 2000 und 2012 zugenommen. Das zeigt der
„Epidemiologische Suchtsurvey“, auf den sich auch die Bundesregierung
stützt. Die Abhängigkeitsquoten bei Cannabis sind seit 1997 gestiegen. Auch
fast alle anderen illegalen Drogen werden heute im Schnitt häufiger
konsumiert.
## Strafverfolgung allein wird das Problem nicht lösen
Selbst die liberalsten Sozialarbeiter leugnen nicht, dass etwa das
bayerische Oberfranken ein Problem mit Crystal hat, das Zoll und Polizei
verfolgen sollten. Doch viele glauben, dass der momentane Fokus auf
Strafverfolgung die Sicht verengt. Eine Anfrage der Grünen im bayerischen
Landtag zeigt, dass Bayern im vergangenen Jahr 560 Schleierfahnder
einsetzte, die Leute nahe der tschechischen Grenze kontrollierten. Hinzu
kamen 110 Koordinationskräfte beim Landeskriminalamt sowie Dezernenten und
Bundesbeamte des Zolls wie Johannes Kopp.
Er und seine Kollegen sind seit 2010 im Dauereinsatz gegen Crystal Meth.
Zwar konnte rund um das Hauptzollamt Regensburg 2014 ein Viertel der
bundesweit beschlagnahmten Crystalmenge hochgenommen werden. Den Markt
schwächen konnten die Zollbeamten aber nach eigenen Angaben trotzdem nicht.
Die Strukturen seien zu dezentral.
„Hier, versuch es so!“ Michael steht zwischen den grauen Wänden mit den
vielen bunten Steinen im Café Kraft in Nürnberg und verfolgt, wie Dominik
den Überhang der Boulderwand umklettert. Die beiden sind Teil des
Spottingteams der Drogenhilfe Mudra aus Nürnberg. Das vom
Bundesgesundheitsministerium geförderte Projekt bringt vor allem ehemalige
Crystaluser zusammen. Peers wie Dominik, der sechs Jahre clean ist, helfen
neuen Teilnehmern. Sie sollen durchs Klettern nicht rückfällig werden,
anders als 90 Prozent aller Crystalkonsumenten. Dominik glaubt, dass es
funktioniert. „Wenn du nach dem Crystalkonsum runterkommst, bist du wie
überfahren. Aber wenn du hier kletterst und siehst, was du geleistet hast,
bleibt das Glücksgefühl“, sagt der 27-Jährige. Doch den Kick braucht
Dominik immer noch.
Mit diesem Kick packt Spotting die Exkonsumenten. Sie suchen kein
betäubendes Vergessen wie etwa Heroinkonsumenten, sondern extreme
körperliche Erfahrungen bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit. „Die
Jungs und Mädels haben richtig Bock, sind megastabil und stabilisieren
andere“, sagt Norbert Wittmann. Erst nach und nach haben die
Sozialpädagogen herausgefunden, wie man ehemaligen Crystalusern am besten
helfen kann. Neue Konzepte fordern Zeit und Grips von Sozialarbeitern wie
Wittmann – und somit Geld. Das musste Mudra vorstrecken. Von der
bayerischen Landesregierung sind erst im Nachtragshaushalt 2014 einmalig
500.000 Euro und 2016 auf Druck der Opposition noch einmal 400.000 Euro für
spezifische Prävention gegen Crystal freigegeben worden. Dabei ist schon
der nächste Trend da: neue psychoaktive Substanzen, kurz NPS. Sie kosteten
im vergangenen Jahr 25 Menschen das Leben.
## Die Kritik kommt endlich im Bundestag an
Mittlerweile kommt Kritik an der harten Linie der Repression auch von der
Polizei. „Wir wollen weg von der Kriminalisierung von Konsumenten“, sagt
André Schulz, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK).
Aktuell sind Polizisten gezwungen, jeden Drogenfund anzuzeigen. Sogenannte
konsumnahe Delikte, zum Beispiel Besitz und Erwerb von Cannabis, machten
2013 drei von vier Drogen-Verfahren aus. Zugleich konnte der organisierte
Handel kaum unterbunden werden. Die Preise für Drogen seien so niedrig wie
nie, sagt Schulz.
Der BDK unterstützt eine Resolution von 120 Strafrechtlern an den
Bundestag, die eine Neuausrichtung der Drogenpolitik fordern. Bisher lehnt
die Große Koalition dies ab. „Es sollte eine neue Diskussion über die
Gefährlichkeit aller Rauschmittel von Alkohol über Tabak und Cannabis bis
hin zu harten Drogen geführt werden“, sagt André Schulz. „Und man müsste
neu bewerten, ob ein regulierter Markt – etwa für Cannabis – eine
Alternative sein kann.“
Tatsächlich gibt es eine erste Bewegung im Bundestag: Diese Woche haben ein
Grüner und zwei Abgeordnete der CDU eine Stellungnahme mit dem Titel „Nur
ein regulierter Markt für Cannabis kann organisierte Kriminalität wirksam
bekämpfen“ eingereicht. Darunter Joachim Pfeiffer, Wirtschafts- und
Energiesprecher der Unionsfraktion und damit wahrlich kein Hinterbänkler.
Die drei verweisen unter Anderem darauf, dass jährlich ein bis zwei
Milliarden Euro für die Strafverfolgung ausgegeben würden, anstatt in einem
staatlich regulierten Markt die gleiche Summe einzunehmen.
Bisher binden neben der Verfolgung von Konsumenten auch sogenannte
Handelsverfahren viel Geld. Mit Telekommunikationsüberwachung kann ein
Handelsverfahren über mehrere Monate die Kräfte von 30 und mehr Polizisten
sowie teuren Übersetzern binden. Die Kosten gehen schnell in Millionenhöhe.
Wenn die Ermittler dann – mit Glück – ein Kilogramm Kokain hochnehmen, ist
das in Relation zum Marktvolumen eine eher geringe Menge. „Da muss man
überlegen, ob sich der Aufwand lohnt“, meint André Schulz. „Das Geld fehlt
in der Prävention.“
20 May 2015
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[1] /Drogenpolitik-in-Berlin/!157328/
## AUTOREN
Karen Grass
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