# taz.de -- Drogenversand aus dem Kinderzimmer: Das Start-up | |
> Shiny Flakes versendet aus seinem Zimmer Drogen und macht Millionen, | |
> spart aber zuweilen am Porto. Diese Nachlässigkeit überführt ihn. | |
Bild: Buntes Leipzig: Im März präsentierte die Polizei ihren größten Drogen… | |
LEIPZIG taz | Shiny Flakes, das war einmal ein Versprechen, eine dreiste | |
Anspielung auf die Freiheit, die im Internet vielleicht doch möglich sein | |
könnte. Aber das ist nur die eine Seite. Von der anderen aus gesehen war | |
Shiny Flakes ein strafrechliches Problem. Und jetzt? Shiny Flakes ist | |
Schall und Rauch, ein Gestöber digitaler Erinnerungen. | |
In einem Café am Bahnhof von Leipzig sitzt ein Buchautor und erinnert sich | |
an die Recherche, die ihn zu den dunklen Ecken des Internets geführt hat, | |
wo es nicht nur Drogen zu kaufen gibt, sondern auch falsche Pässe, Waffen | |
und Kinderpornos. „Ich stelle es mir vor wie in den alten Slapstickfilmen: | |
Die Kriminellen haben Vorsprung, die Polizisten rennen mit Knüppeln | |
hinterher“, sagt er. „Die technischen Möglichkeiten haben sich geändert. | |
Das Spiel ist dasselbe.“ | |
Ganz in der Nähe, im ersten Stock eines wuchtigen Prunkbaus mit Stuck und | |
Säulen, geht der Kripochef im Kopf den Einsatz durch, der ihn groß in die | |
Medien gebracht hat, ihn und seine Kollegen von der Polizei Leipzig. Er | |
sagt: „Wenn alles anonymisiert und verschlüsselt ist, haben wir wenig | |
Angriffsfläche. Aber der Mensch macht Fehler.“ | |
Irgendwo in Bayern, auf der Terrasse eines Eiscafés, sitzt eine Kundin bei | |
einer Apfelschorle. Sie sagt, dass mit Shiny Flakes viel mehr zu Ende | |
gegangen ist als nur ein Onlineshop: „Es war, als hätte jemand ein Utopia | |
erschaffen, eine Welt, in der Drogen versachlicht und nur nach ihrer | |
Reinheit bewertet werden.“ | |
## Einer der größten Drogenfunde in Deutschland | |
Der Mann, der unter dem Namen Shiny Flakes Geschäfte machte, wurde Ende | |
Februar verhaftet. Ein 20 Jahre alter Realschulabsolvent aus Leipzig, der | |
noch bei seiner Mutter wohnte. Von seinem Zimmer aus soll er ein Start-up | |
aufgezogen haben, mit dem er Millionenumsätze machte. Die Polizei stellte | |
dort 320 Kilo Drogen sicher, Ware im Wert von rund vier Millionen Euro. | |
Einer der größten Drogenfunde aller Zeiten in Deutschland. | |
Der Chef der Kriminalpolizei Leipzig ist stolz auf den Erfolg, doch er | |
macht sich nichts vor. „Wir geben uns keinen Illusionen hin, dass wir den | |
Vertrieb von Drogen im Internet insgesamt eingedämmt haben.“ Petric Kleine, | |
ein schmaler Mann mit Stirnglatze und gestreiftem Hemd, hat sich an dem | |
Besprechungstisch an der Seite seines Büros niedergelassen. Ringsum | |
Zimmerpalmen, Stapel von Pappmappen. Er beobachtet schon länger, wie sich | |
Teile der Kriminalität ins Netz verlagert haben. „Der Markt ist da“, sagt | |
er, „die Leute haben begriffen, dass man damit Geld verdienen kann.“ | |
Shiny Flakes’ Sortiment umfasste alle Arten von Drogen außer Heroin. Allein | |
zwischen Oktober 2014 und März 2015 soll er Umsätze von mehr als einer | |
Million Euro gemacht haben. Die Kripo geht davon aus, dass er seine | |
Karriere mit dem Handel gestohlener Kreditkartendaten begann. Es dauerte | |
nicht lange, bis er zu Drogen wechselte. Anfang 2013 ging sein Webshop | |
online. | |
Etwa ein Jahr lang war Shiny Flakes nur im Darknet aktiv, einem Teil des | |
Internets, dessen Inhalte mit Suchmaschinen wie Google nicht zu finden | |
sind. Um darauf zugreifen zu können, ist die Verschlüsselungssoftware Tor | |
erforderlich, die die Daten der Nutzer wie ein Sichtschutz verbirgt. Doch | |
Shiny Flakes ging weiter als die meisten anderen Onlinedrogenhändler: Das | |
Darknet reichte ihm bald nicht mehr. Im Frühjahr 2014 tauchte sein Webshop | |
auch an der Oberfläche des Internets auf. | |
## Stoff für die wirklich großen Partys | |
„Es war wie bei Amazon“, sagt Julia Kramer*. „Ich fand’s echt | |
revolutionär.“ Die Seite war ansprechend gestaltet, die Kunden konnten die | |
Produkte bewerten und Sterne vergeben. Kramer ist Ende 20, von Beruf | |
Sozialarbeiterin. Glatte braune Haare liegen um ihr rundliches Gesicht. Sie | |
sagt, sie steht zu ihrem Konsum, sie schadet damit ja niemandem. | |
MDMA, das ist für sie Stoff für die wirklich großen Partys. Zwei mal im | |
Jahr nimmt sie eine Pille, sagt sie, nicht öfter. Nur die Frage nach dem | |
Woher blieb immer offen: Wer auf der Straße kauft, kann nie wissen, was der | |
Dealer einem andreht. Im Darknet hat sie es nie versucht; diese anonymen | |
Foren, wo Freaks, Pädophile und Betrüger unterwegs sind – das ist ihr zu | |
heikel. Dann las sie einen Testbericht über Shiny Flakes und dachte sich: | |
Mal sehen, ob das wirklich funktioniert. | |
Wenige Tage später traf ein Päckchen bei ihr ein. Darin lagen Gummibärchen | |
– und das MDMA, eingeschweißt in Plastik. Die Pillen, sagt sie, waren von | |
bester Qualität, „und man wusste dank genauer Inhaltsangaben, wie man | |
dosieren musste“. Verbraucherfreundlicher Drogenhandel also, transparent | |
und sauber – kein Wunder, dass das nicht ewig so weitergehen konnte. | |
Der Stadtteil Gohlis breitet sich am Nordrand von Leipzig aus; leere | |
Ausfallstraßen führen an sanierten Altbauten und Mietskasernen vorbei; | |
Designboutiquen liegen zwischen Einkaufszentren und Imbissbuden. Shiny | |
Flakes wohnt hier nicht mehr. Er sitzt im Gefängnis. | |
Man kann ihm noch begegnen, wenn man im Internet nach ihm sucht. Shiny | |
Flakes ist ein fester Begriff, ist eine Marke. Verschwörungstheorien machen | |
in den Foren die Runde: Kann der Beschuldigte wirklich der Betreiber des | |
legendären Webshops sein? Ein Großdealer, der bei Mama wohnt? Muss es da | |
nicht noch Hintermänner geben? | |
## „Wechselt jetzt ins Darknet“ | |
Nun versuchen andere, einen Rest von Profit aus dem Namen zu schlagen. Die | |
Website Motherboard, die zum Magazin Vice gehört, hat ausführlich über den | |
Fall berichtet – in der Kommentarspalte bieten gleich mehrere Dealer ihre | |
Dienste an. Einer schreibt: „shiny flakes ist geschichte wechselt jetzt ins | |
darknet wo ihr einfach und zuverlässig alle drogen kaufen könnt.“ | |
Schwer zu sagen, ob die Polizei Shiny Flakes auch dann erwischt hätte, wenn | |
er sich mit dem Darknet zufrieden gegeben hätte. Auch der verborgene Teil | |
des Internets ist nicht der rechtsfreie Raum, als der er oft beschrieben | |
wird, sagt der Journalist Alexander Krützfeldt, Autor des Buches „Deep Web: | |
Die dunkle Seite des Internets“. Sicher gebe es Wege, seine Identität zu | |
verschleiern, „aber wenn man sich nicht wirklich auskennt, passieren leicht | |
Fehler, die dazu führen können, dass man sich enttarnt“. | |
Krützfeldt, 29 Jahre alt, mit Kapuzenpulli und eckiger Brille, hat einen | |
etwas abgelegenen Tisch im ersten Stock des Starbucks ausgesucht. | |
„Verschlüsselung ist ja auch ein Statement“, sagt er. „Es gibt etwas, das | |
ich nicht sagen will. Dadurch kann man erst recht in den Fokus der | |
Ermittler geraten.“ Für den Durchschnittsuser sei das Darknet ohnehin nicht | |
attraktiv, zu langsam, zu aufwendig. | |
Die Zielgruppe ist also klein, die Konkurrenz groß, entsprechend hart werde | |
der Wettbewerb ausgetragen. „Was oft unterschätzt wird: Du sitzt am PC und | |
machst Geschäfte mit jemandem, den du nicht kennst.“ Ist der andere | |
wirklich, wer er vorgibt zu sein – oder doch ein Fahnder, Hacker, | |
Scherzkeks? Der Autor sieht das Darknet eher als Experimentierraum für | |
Datenschützer, Whistleblower, Dissidenten: „Als Drogenhändler würde ich mir | |
ein anderes Geschäftsfeld suchen.“ | |
## Drogen mit DHL-Trackingnummer | |
Shiny Flakes belieferte rund 6.000 Kunden, Endverbraucher wie Großabnehmer. | |
Seine Pakete gingen ins gesamte Bundesgebiet, vor allem nach | |
Süddeutschland, aber auch bis in die USA und nach Indonesien. Seine | |
Gewinnmargen werden auf 50 bis 300 Prozent geschätzt. | |
Um sich zu tarnen, meldete er eine Firma für Webdesign an. Er führte sein | |
Geschäft ordentlich und akkurat. Die Bezahlung wurde in Bitcoins | |
abgewickelt. Sobald die Kunden das Geld überwiesen hatten, wurde die | |
bestellte Ware verschickt – als DHL-Sendung mit Trackingnummer. | |
Die Polizei Leipzig stieß im März 2014 auf erste Hinweise auf Shiny Flakes’ | |
Geschäft. Das Rauschgiftdezernat in Leipzig arbeitete mit den Fachleuten | |
vom „Cybercrime Competence Center“ des Landeskriminalamts Sachsen zusammen. | |
„Das ist der Schlüssel zum Erfolg“, sagt der Kripochef. „Sie brauchen ei… | |
Symbiose von klassischer Polizeiarbeit und IT-Experten.“ | |
Eine Nachlässigkeit brachte Shiny Flakes zu Fall. „Da kommt der Faktor | |
Mensch ins Spiel“, sagt Petric Kleine. Er hatte auf einige Pakete zu wenig | |
Porto geklebt. Sie konnten nicht zurückgesandt werden, weil er falsche | |
Absender angegeben hatte, Anschriften von Firmen, die nichts mit seinen | |
Geschäften zu tun hatten. Einmal öffnete ein Mitarbeiter eines der Pakete – | |
und sah, dass es voll mit Drogen war. | |
Die Polizei glich den Fund ab mit den Daten, die sie bei Durchsuchungen | |
gesammelt hatte. Nach und nach tauchten mehr unzustellbare | |
Drogenlieferungen auf. Alle waren von demselben Briefzustellzentrum in | |
Leipzig aus in den Verkehr gegangen. So kam ein Puzzleteil zum anderen: | |
„Die Schlinge zog sich immer enger. Schließlich konnten wir die Sendungen | |
bestimmten Packstationen zuordnen.“ | |
## Die Szene fühlt sich sicher | |
Am 26. Februar schlug die Polizei zu: Shiny Flakes nahm gerade eine | |
Lieferung an; ein Fahrer hatte ihm 60 Kilo Drogen gebracht. Beide wurden | |
verhaftet; Ware und Festplatten beschlagnahmt. Die Daten darauf führten zu | |
38 Durchsuchungen und fünf weiteren Festnahmen. | |
Kleine ist ein ruhiger Mann, er brüstet sich nicht. Aber er will auch nicht | |
den Eindruck entstehen lassen, die Polizei könne nichts gegen den | |
Onlinedrogenhandel ausrichten. „Die Szene fühlt sich relativ sicher“, sagt | |
er. „Aber unsere Fachleute sind nicht mehr die allerschlechtesten. Wir | |
werden besser, sagen wir mal so.“ | |
In den kommenden Wochen werde die Polizei die Daten auf den Festplatten | |
auswerten. Jeder ehemalige Kunde müsse mit einer Anzeige rechnen, sagt | |
Kleine. | |
Auch Julia Kramer könnte also noch Ärger kriegen. Sie sagt, sie versucht, | |
ruhig zu bleiben; sie hat ja höchstens drei, vier Male bei Shiny Flakes | |
bestellt. Sie überlegt kurz, nippt an ihrer Apfelschorle. Gerne würde sie | |
sich für eine Legalisierung aller Drogen einsetzen, aber sie wagt es nicht, | |
aus Sorge um ihre Zukunft. „Es war ein Luxus, das, was man will, bestellen | |
und entspannt feiern zu können“, sagt sie leise. | |
Kramer verzichtet derzeit lieber auf Drogen, andere Kunden schauen sich | |
längst nach neuen Quellen um, im Internet oder auf der Straße. In einem | |
Darknet-Forum schreibt ein User zum Thema Shiny Flakes: „Wenn ein | |
Supermarkt dicht macht, geht man halt zum nächsten.“ | |
*Name geändert | |
31 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Gabriela Keller | |
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