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# taz.de -- $ick über Suchtprävention via Youtube: „Auf Opiat bist du tot“
> 25 Jahre lang ist $icks Leben bestimmt von Sucht und
> Beschaffungskriminalität. Er sieht Defizite bei der Suchtprävention und
> betreibt auf Youtube Aufklärung.
Bild: „Shore, Stein, Papier“ war $icks Therapie. 100.000 Zuschauer verfolge…
taz: $ick, Sie arbeiten in der Drogenprävention, waren selbst mal
heroinabhängig. Die Droge taucht in deutschen Konsumstatistiken seit
einigen Jahren wieder ganz oben auf und ist die häufigste Todesursache
unter den „harten“ Drogen. Woran liegt das?
$ick: Opiate an sich vermitteln einem das Gefühl, das alles gut ist. Und
deshalb wird diese Droge nie verschwinden. In den letzten Jahren dachten
viele, Heroin sei eine „alte Männerdroge“. Aber Heroin ist populär, weil
die Emotionen, die es einem vorgaukelt, sehr angenehm sind: kein Stress
mehr, kein Ärger. Andere Drogen sind eher hektisch, man ist voll auf
Spannung. Opiat ist total entspannend. Es bringt so ein massiges Wohlgefühl
mit sich.
Wer konsumiert Heroin?
Heroin hat immer mal wieder eine Schickeria-Phase. Es gibt genügend Anwälte
oder Ärzte, die hart auf Opiaten unterwegs sind, aber im 3.000-Euro-Anzug
neben dir sitzen – denen sieht man es nicht an. Wenn man sich eine Sucht
leisten kann, ist die viel weniger anstrengend. Aber sie fühlen dasselbe
wie die Junkies. Sie sind zwar optisch in zwei Welten, aber sie leben in
einer. Es gibt ganz tolle Versuche mit Ratten. Sie können einen Knopf
drücken und bekommen dann Koks oder Heroin. 80 Prozent der Ratten drücken
ein-, zweimal, bis der Knopf unter Strom gesetzt wird. 20 Prozent der
Ratten ist jeder Stromschlag scheißegal. Sie haben ein höheres
Suchtpotenzial.
Was sagt die Popularität von Opiaten über unsere Gesellschaft aus?
Im Grunde, dass wir ganz viele Leute haben, die unzufrieden und auf der
Suche nach irgendetwas sind. Obwohl Drogen ja auch schon präsent waren,
bevor dieser ganze Erste-Welt-Stress losging. 90 Prozent der
Heroinabhängigen sind eigentlich nur depressiv. Die haben halt ihr
Medikament gefunden. Würden wir ihnen eine normale Medikation geben, hätten
wir eigentlich gar keine Junkies. Es wehren sich ganz viele dagegen, zum
Psychiater zu gehen, weil sie nicht wissen, wie die Verwandtschaft das
aufnimmt.
Was kann die Gesellschaft tun?
Wir werden das gesellschaftlich nie lösen können, weil manche Menschen
einfach ein hohes Suchtpotenzial haben. Wir brauchen aber einen besseren
Umgang damit. Durch einen gezielten Austausch von Erfahrungen zwischen
Konsumenten, ehemaligen Konsumenten und Suchthelfern könnten wir den
Menschen besser helfen, die den Absprung nach der Probierphase nicht
schaffen.
Was ist mit schadensminimierenden Ansätzen wie der Substitution durch
Methadon?
Die ganzen Methadonprogramme empfinde ich wie einen großen Wartesaal. Über
Jahre hinweg bleibt man im gleichen Stadium, weil man jeden Tag auf einem
künstlichen Opiat ist. Subotex und Methadon musst du später entgiften. Es
dauert Monate, bis das aus den Knochen raus ist. Du kannst nicht schlafen,
nichts fressen, und alles tut weh. Der Rückfall ist im Grunde
vorprogrammiert. Ich habe mich fremdgesteuerter gefühlt, als ob ich jeden
Tag zum Dealer gehe. Die Pharmazie hält die Jungs nur an der Leine, obwohl
das Programm einem verspricht, dass man hinterher wieder normal ist. Die
Medikation muss anders funktionieren.
Welche Alternativen gibt es?
Ein Arzt aus Hamburg verabreicht synthetisch reines Heroin. Die Leute sehen
ganz anders aus, viel besser als auf Methadon. Sie können wieder arbeiten,
weil es im Vergleich mit Methadon weniger körperlichen Verfall gibt.
Nalorex habe ich zum Abstandgewinnen für mich entdeckt. Das ist ein reiner
Opiatblocker. Ein paar Minuten nach der Einnahme hatte ich keine Emotionen
mehr zum Stoff, das dämmt halt alles. Man hat auf einmal viel mehr Platz im
Kopf. Wenn ich komische Gedanken habe und gern rückfällig werden würde, ist
es meine Notfalltür.
Wie haben Sie den Absprung geschafft?
Ich habe an manchen Punkten gemerkt, dass ich es körperlich nicht mehr
vertrage und mir der Turn keinen Spaß mehr macht. Mein schlechtes Gewissen
wurde immer größer. Ich habe eine kleine Tochter, und irgendwann sagt die
„Papa“ und glotzt mich immer nur an, während ich gefühlstot bin. Auf Opiat
bist du tot. Ich versuche ihr schon Emotionen zu vermitteln, weil ich sie
liebe. Aber ich habe mich für die Sucht gehasst. Ich wollte es ändern,
bevor sie versteht, was sie sieht. Jeder Tag, den ich clean bin, ist ein
guter Tag.
Haben Sie das Gefühl, durch die Sucht etwas verpasst zu haben?
Sicher habe ich in der Jugendzeit vieles verpasst. Ich bin 43 und habe
immer noch keinen Führerschein. Ich bin zwar zehn lang Jahre Auto gefahren,
aber egal. Jetzt hätte ich gern einen. Mich stört es, dass ich in dem Alter
meine Emotionen nicht normal regulieren und verstehen konnte. Ich habe mich
immer unverstanden und nicht zugehörig gefühlt. Ich wollte die Sucht auch
ewig vor meiner Mutter verstecken. Sie war zu dieser Zeit die Einzige, die
ich kannte, die keine Drogen nahm.
Was läuft falsch in der Prävention?
Mir war erst nach zehn Monaten klar, was ich da eigentlich genommen habe.
Mich hat nicht interessiert, dass Shore Heroin ist. Ich habe es seit dem
ersten Kontakt drei Jahre lang jeden Tag genommen, bis zur ersten
Verhaftung. Nichtabhängige waren für mich eine fremde Welt. Jetzt habe ich
einen super Freundeskreis, mit dem ich die Serie [1][„Shore, Stein,
Papier“] für das Online-Rapmagazin 16bars aufgenommen habe. Die Serie war
im Endeffekt meine Therapie. Man hört in der Therapie immer wieder, dass
man ein cleanes Umfeld und eine Aufgabe braucht. In Spitzenzeiten habe ich
fast acht Stunden am Tag Heroin konsumiert und musste dann noch Geld
verdienen. Die Zeit muss man in der Abstinenz erst mal mit ähnlich
erfüllenden Sachen füllen. Ich weiß, dass ich sehr viel Glück hatte, meine
Jungs kennenzulernen. Den Wenigsten ist es vergönnt, neue, cleane Leute
kennenzulernen.
Was könnte man in der Prävention besser machen?
Obwohl es Pflichtprogramm ist, tun sich viele Schulen noch schwer damit,
das auch wirklich durchzuziehen. Wir brauchen mehr Betroffene in der
Prävention. Wer es nur weiß, bringt keine Emotionen mit. Ich finde die
Arbeit von Drogenberatern und Sozialarbeitern wichtig. Aber Lehrer sehen
den Sinn nicht, wenn ihre Schüler mit „da rein, da raus“ reagieren. Ich
hingegen bekomme immer eine Resonanz. Obwohl es geklingelt hat, sitzen die
immer noch da und wollen etwas besprechen. Es macht ihnen Spaß, und es
ergeben sich richtig ernsthafte Gespräche.
Gerade auf die 15- bis 18-Jährigen wirken Drogen eine ganz große
Faszination aus. Ich will ihnen ein Bewusstsein dafür vermitteln, was sie
tun, wenn sie Drogen ausprobieren: Es macht Spaß, ist aber auch gefährlich.
Geht sicher, dass immer einer dabei ist, der klar ist und euch helfen kann.
Sprecht miteinander, informiert euch. Ich habe sehr viele Suchtberater in
meinem Leben getroffen, bei denen ich dachte: „Alter, was redest du?“
Vielleicht hätte ich auch so einen gebraucht wie mich. Einen, der schon
zwanzig Jahre Erfahrung mitbringt und geile Geschichten erzählen kann.
13 Feb 2017
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=fDzBZawSXRk
## AUTOREN
Judith Freese
## TAGS
Drogen
Prävention
Sucht
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Tanzen
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