# taz.de -- Prävention: Tanzend gegen die Sucht | |
> Zum zehnten Mal tanzen SchülerInnen aus Brennpunkt-Schulen im Projekt | |
> „Kribbeln im Bauch“. Noch Jahre später lässt sich dessen Erfolg messen. | |
Bild: „Kribbeln im Bauch“: Ein Tanzprojekt zur Gewalt-und Suchtprävention | |
BREMEN taz | Yunus ist vollkommen fertig. Links drehen, rechts drehen. | |
Hände in die Luft, wieder runter und wieder hoch. Eine Stunde lang, dann | |
ist endlich Pause. Der 15-Jährige wischt sich den Schweiß an seinem Trikot | |
ab, schnappt nach Luft. „Unfassbar anstrengend ist das“, sagt er und greift | |
zur Wasserflasche. Früher habe er das für „Mädchenkram“ gehalten, was er | |
hier tut, sagt Yunus. Jetzt macht er es freiwillig: Er tanzt. Zusammen mit | |
126 anderen Jugendlichen trainiert er für Samstag. Dann ist ihr großer Tag: | |
Die SchülerInnen treten auf dem Bremer Marktplatz auf. | |
Die Show wird die Abschlussveranstaltung des Projekts „Kribbeln im Bauch“ | |
sein – ein Tanzprojekt für neunte Oberschulklassen zur Gewalt- und | |
Suchtprävention. Das Landesinstitut für Schule, Gesundheit und | |
Suchtprävention (LIS) hat das Projekt in diesem Schuljahr zum zehnten Mal | |
veranstaltet – gemeinsam mit dem Verein „Institut für Gesundheitsförderung | |
und Pädagogische Psychologie“ und der AOK. Teilgenommen haben 300 Mädchen | |
und Jungen aus 14 Bremer Ober- und Werkschulklassen sowie zwei Klassen der | |
Paul-Goldschmidt-Schule, einem Förderzentrum für körperliche und motorische | |
Entwicklung. Yunus und die anderen wurden für den Auftritt auf dem | |
Marktplatz ausgewählt, erzählt Margrit Hasselmann vom LIS. Sie hat das | |
Projekt vor zehn Jahren mitentwickelt. | |
Doch wie bringt man Jugendliche aus sozialen Brennpunkten mit | |
unterschiedlichen kulturellen Hintergründen zusammen? „Ganz klar übers | |
Tanzen“, sagt die Pädagogin. „Bewegung fördert die soziale und kreative | |
Intelligenz.“ So sollen die SchülerInnen sich ihrer Gefühle bewusst werden | |
und ihr Selbstwertgefühl stärken. Eine Projektwoche sieht so aus: Die | |
Jugendlichen besuchen eine Tanzschule, lernen dort Hip-Hop, Street Dance, | |
Body Combat und den langsamen Walzer. Zudem beschäftigen sie sich mit | |
Themen wie Drogen, Sucht, aber auch mit Teamwork, Kommunikation und | |
Konfliktbewältigung. Dass das Projekt Wirkung zeigt, das hätten | |
Evaluationen nachgewiesen. „In etwa 50 Prozent der Fälle stellten Eltern, | |
Freunde und Lehrer noch nach zweieinhalb Jahren positive Veränderungen | |
fest.“ | |
Im großen Tanzraum ist es stickig, die Luft riecht nach Schweiß. Die | |
Jugendlichen haben sich in Reih und Glied aufgestellt und blicken nach | |
vorn. Zu Randolf Marstaller. Der ist Tanzlehrer, oder wie er sich nennt: | |
„Body-Kick-Trainer“. „Die Schüler sollen ihren inneren Schweinehund | |
überwinden und bis an ihre Grenze gehen“, sagt er. Die eigenen Grenzen | |
austesten – besser kann man es kaum beschreiben, was die Jugendlichen hier | |
abliefern. Alles beginnt mit einem leichten Warm-up, doch nach der kurzen | |
Einführung heißt es: Kicken und Schlagen. In die Luft, versteht sich. Immer | |
wieder hören ein paar Schüler mitten in der Übung auf. Da kennt Randolf | |
kein Erbarmen: „Wollen wir eine geile Zeit haben oder nicht?“, ruft er | |
durch den Raum. „Jaaa“, schallt es zurück. Weiter geht’s, immer begleitet | |
von den gleichmäßigen Beats, die aus den Lautsprechern dröhnen. | |
Schließlich ist Pause, zehn Minuten entspannen. Margrit Hasselmann hat | |
Kisten mit Obst für die Jugendlichen bereitgestellt. „Viele kriegen ja von | |
zu Hause kein Schulbrot mit in die Schule.“ | |
Ilir, 15 Jahre alt, ist froh, dass er hier sein darf. Er besucht die | |
Oberschule Waller Ring. „Erst hatte ich überhaupt keine Lust“, gibt er zu, | |
„aber jetzt ist alles perfekt.“ Er zieht seine Baseball-Cap nach hinten und | |
sagt: „Der Zusammenhalt in der Klasse ist viel besser geworden. Wir sind | |
alle irgendwie zusammengewachsen.“ Der 16-jährige Oğuzhan, Schüler der | |
Oberschule Roter Sand, pflichtet Ilir bei. „Unser Teamgeist ist inzwischen | |
wirklich stark. Das haben wir alles Driton zu verdanken.“ | |
Driton Veliu ist der künstlerische Leiter des Projekts, bei ihm in der | |
Tanzschule finden die Projektwochen statt. Der 42-Jährige ist bereits seit | |
über sieben Jahren dabei und bringt den Jugendlichen Hip-Hop, New Style und | |
Zumba bei. „Ich fühle mich wie ein Daddy für die Jugendlichen“ sagt er und | |
grinst. „Bei Problemen kommen sie immer zu mir.“ 30 Minuten: Länger brauche | |
er nicht, um alle zum Tanzen zu kriegen. „Ohne Respekt läuft nichts.“ In | |
der Gruppe seien Jugendliche mit verschiedenen Wurzeln. Umso wichtiger sei | |
es, ihnen zu zeigen: „Du und ich, wir sind alle eins.“ Für Veliu, der | |
selbst aus dem Kosovo stammt, ist es die größte Herausforderung, „auch die | |
zu erreichen, die den ganzen Tag nur am Computer daddeln.“ Die Hoffnung | |
gibt er jedenfalls nicht auf. „Es ist egal, wo du herkommst – es ist nur | |
wichtig, was du machst.“ | |
9 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Merlin Hinkelmann | |
## TAGS | |
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Drogen | |
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