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# taz.de -- Kriegsverbrechen des IS im Irak: Frauen als Beute
> Versklavt und zwangsverheiratet: Nach Gefangennahme teilt der IS
> Jesidinnen unter seinen Kämpfern auf. Unter Berufung auf den Koran.
Bild: Auf der Flucht: Eine 15-jährige Jesidin, die mit einem IS-Kämpfer zwang…
BERLIN taz | Es ist ein Dokument der Anmaßung. In einer
Onlinepropagandaschrift brüstet sich die Terrormiliz „Islamischer Staat“
(IS) damit, dass sie gefangene Frauen und Kinder aus der Minderheit der
Jesiden versklavt und an ihre Kämpfer verkauft. Das deckt sich mit einem
aktuellen Bericht der Organisation Human Rights Watch, die Zeugen im
Nordirak befragt hat und Fälle von Zwangsverheiratung und Zwangskonversion
dokumentiert hat.
Als die IS-Milizen vor zwei Monaten in die traditionell von Jesiden
besiedelte Region um die nordirakische Stadt Sindschar vorgerückt waren,
trieben sie Zehntausende Angehörige der Minderheit in die Flucht. Die
Flüchtlinge berichteten später von willkürlichen Ermordungen ihrer
Angehörigen, aber auch von Verschleppungen von Frauen und Kindern.
Laut Human Rights Watch hält der IS noch immer Hunderte Jesiden gefangen.
Junge Frauen und Kinder seien systematisch von ihren Familien getrennt, die
Mädchen für 1.000 US-Dollar an IS-Kämpfer verkauft oder in Massenhochzeiten
mit diesen zwangsverheiratet worden. Die Männer und Jungen müssten sich zum
Islam bekennen und würden dann als Dschihadisten rekrutiert. Auch Christen,
Schiiten und Turkmenen verschiedener muslimischer Konfessionen würden
gefangen gehalten.
Nun geben Propagandisten des IS diese Praxis offen zu: „Nach der
Gefangennahme wurden die jesidischen Frauen und Kinder gemäß der Scharia
unter den Kämpfern aufgeteilt“, heißt es in der jüngsten Ausgabe ihres
englischsprachigen Magazins Dabiq. Diese Versklavung sei eine Tradition aus
der Zeit des Propheten, die der IS nun wieder zu beleben trachte. Das
Propagandapapier vermeidet zwar den Begriff „Vergewaltigung“, sondern
spricht von „Kriegsbeute“, „Versklavung“ und „Konkubinen“. Es ist a…
unschwer zu verstehen, welches Schicksal den Frauen zugedacht ist.
## Vulgärtheologische Argumente
Unter Berufung auf Koranzitate und „Hadithe“ genannte Überlieferungen aus
der Zeit des Propheten versuchen die Autoren, ihre Verbrechen mit
vulgärtheologischen Argumenten zu rechtfertigen. Die Jesiden, die seit
Jahrhunderten in der Region leben, seien heidnische „Teufelsanbeter“, deren
pure Existenz ein Frevel sei, und daher anders zu behandeln als Juden und
Christen, die als Anhänger von Buchreligionen von Muslimen unter bestimmten
Bedingungen toleriert werden könnten.
Diese Argumentation betrachtet der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime
in Deutschland, Aiman Mazyek, als Affront: Der Islam sei vor 1.400 Jahren
angetreten, die Sklaverei auszumerzen, die es damals in der arabischen Welt
gegeben habe. Das sei die Sichtweise der Mehrheit der muslimischen
Gelehrten weltweit. „Solche Positionen sind nicht nur rückständig, sondern
religiös nicht haltbar“, ärgert sich Mazyek. Sklaverei sei ein Verbrechen,
Punkt.
Dabiq ist eine Hochglanzpostille aus dem Umfeld des IS, die sich, auf
einschlägigen Dschihadisten-Websites und über Twitter verbreitet, an ein
englischsprachiges Publikum weltweit richtet. Der Name bezieht sich auf
einen Ort nahe von Aleppo, der Schauplatz einer historischen Schlacht
zwischen Mameluken und Osmanen war und für die Dschihadisten die
Symbolstätte eines mythischen Endkampfs ist.
## Angst machen
„Eine Publikation aus dem Inneren des IS“, nennt der Journalist Yassin
Musharbash, Terror-Experte der Zeit, das Propagandaorgan, aber „eher
offiziös als offiziell“. Dabiq illustriere und propagiere die Ideologie des
selbst ernannten „Kalifats“ und sei „sehr eng dran an der Führung des IS…
meint der Experte Guido Steinberg. „Nicht überraschend“ findet er die
religiöse Argumentation. Ein Ziel solle man aber nicht übersehen: „Es geht
auch darum, uns Angst zu machen“, so Steinberg.
Im Gebirge bei Sindschar sollen sich immer noch fast Zehntausende von
Jesiden aufhalten, die dringend humanitäre Hilfe wie Zelte und Decken
bräuchten. Der IS habe letzte Woche drei kurdische Dörfer überrannt, die
eine Flucht in den Norden Syriens ermöglicht hätten, den die syrische
Kurdenpartei PYD kontrolliert, berichtet die kurdisch-nordirakische
Nachrichtenagentur Rudaw unter Berufung auf einen General der kurdischen
Peschmerga.
Anfang August waren rund 80.000 überwiegend jesidische Bewohner in die
Berge geflohen, nachdem die Dschihadistenmiliz die Region um Sindschar
überrannt hatten. Mithilfe von US-Luftschlägen und kurdischen Kämpfern
konnten sie gerettet werden. Viele leben seitdem im kurdischen
Autonomiegebiet im Nordirak als Flüchtlinge.
## Vergewaltigung als Waffe
Vergewaltigung wird systematisch als Waffe eingesetzt, auf allen
Kontinenten und in allen Konflikten – als Machtmittel und mit dem Willen,
politische Gegner oder ganze ethnische oder religiöse Gruppen zu demütigen
oder gar auszulöschen. Allein im Bürgerkrieg im Kongo sollen seit 1996 eine
halbe Million Frauen vergewaltigt worden sein, schätzen
Menschenrechtsorganisationen. Gerade die Aussicht, in Rebellengruppen
straflos Frauen und Mädchen vergewaltigen zu können, motiviere viele
Männer, sich solchen Milizen anzuschließen, sagt Monika Hauser von medica
mondiale.
In den Flüchtlingslagern des Libanon, Jordaniens und der Türkei wird von
Frauen berichtet, die vor dem syrischen Bürgerkrieg geflohen sind und nun
abtreiben lassen wollen, weil sie vergewaltigt wurden – ob durch Soldaten,
regierungstreue Milizen oder Rebellen. In der Region steht das reine
Überleben im Vordergrund, therapeutische Angebote oder gar Frauenzentren
für Vergewaltigungsopfer gibt es kaum. Stattdessen ist ein informeller
Heiratsmarkt entstanden, wo sich Witwen und andere Frauen aus Syrien und
dem Irak an einheimische Männer oder aus dem Arabischen Golf wenden.
Erst im Juni 2104 fand in London eine globale Konferenz unter dem Titel
„End Sexual Violence in Conflict“ statt. An diesem bislang größten Treffen
zum Thema nahmen unter anderem der britischen Außenminister William Hague
und die Schauspielerin Angelina Jolie teil. Ziel ist es, die
Strafverfolgung bei systematischer sexueller Gewalt zu erleichtern und die
Betroffenen besser zu schützen. Teilnehmerinnen und Teilnehmer hoben
hervor, es sei besonders wichtig, dass die Opfer nicht als von der
Gesellschaft Ausgestoßene behandelt werden – sondern als tapfere
Überlebende.
15 Oct 2014
## AUTOREN
Daniel Bax
## TAGS
Irak
„Islamischer Staat“ (IS)
Frauen
Terror
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