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# taz.de -- Kommentar Proteste in der Türkei: In der Macheten-Demokratie
> Mit Knüppel und Macheten gegen Demonstranten: Wenn Reizgas nicht mehr
> hilft, hilft vielleicht die Erinnerung an die Zustände der siebziger
> Jahre.
Die türkische Polizei hat ihren [1][zwischenzeitlichen Mangel] an Reizgas
behoben. Am Samstag [2][ging sie wieder] mit Gas, Gummigeschossen und
Wasserwerfen gegen Demonstranten vor. Zunächst hatten Frauen auf dem
Taksim-Platz gegen sexuelle Übergriffe im Polizeigewahrsam protestiert. Im
Anschluss daran versuchten tausende Menschen, auf den seit der [3][Räumung
am 16. Juni] gesperrten Gezi-Park zu gelangen. Viele hielte eine Kopie
eines [4][Gerichtsurteils] in die Luft, das die Abriegelung des Parks durch
die Polizei für rechtswidrig erklärt.
Das am meisten diskutierte Thema des Wochenendes aber waren nicht
Rechtsbeugung und Polizeigewalt. Daran hat man sich gewöhnt. Für den
größten Gesprächsstoff sorgte vielmehr ein
[5][//www.youtube.com/watch?v=RmhEysq2g7o:Youtube-Video], das im Viertel
Talimhane aufgenommen wurde, kurz nachdem die Polizei die Menge auf dem
Taksim-Platz zerstreut hatte. Darin zu sehen: Eine mit Knüppeln bewaffnete
Gruppe von Männern, die von der Polizei ungehindert Demonstranten angreift.
Einer aus dieser Gruppe hat eine Machete in der Hand und tritt einer Frau
in den Rücken.
Inszeniert war diese Szene vermutlich nicht. Es sind aber Bilder, die der
Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan gelegen kommen
dürften. Schon am Tag nach der Räumung des Gezi-Parks war eine Gruppe von
100 bis 200 Männern aufgetaucht. Sie kam sie aus Kasimpasa, einem nur
wenige Kilometer vom Taksim-Platz entfernten Viertel, in dem Erdogan
aufgewachsen ist, und [6][//:machte mit Knüppeln und Messern] Jagd auf
Demonstranten. Die umstehenden Polizisten ließen sie gewähren; die Bilder
davon zeigten am Abend alle Fernsehsender, auch jene, die zu Beginn der
Proteste noch [7][Pinguin-Dokumentationen] ausstrahlten, während CNN
International live vom Taksim-Platz berichtete.
Die Botschaft solcher Bilder ist eindeutig: Es ist die Drohung mit dem
Bürgerkrieg. Wenn schon Polizeiknüppel, Wasserwerfer und Unmengen von
Reizgas die Leute nicht einschüchtern, dann hilft vielleicht die Erinnerung
an die bürgerkriegsähnlichen Zustände der späten siebziger Jahre.
Damals bekämpften sich im ganzen Land militante linke und rechte Gruppen,
auch staatliche Kräfte trugen zur Eskalation der Gewalt bei. Dass etwa der
Taksim-Platz für die türkische Linke bis heute ein fast mythischer Ort ist,
hängt nicht zuletzt mit einem Ereignis aus jener Zeit zusammen: dem 1. Mai
1977. Damals eröffneten Unbekannte das Feuer auf eine Kundgebung von einer
halben Million Menschen. 34 Teilnehmer starben, der damalige
Ministerpräsident Bülent Ecevit machte die „Konterguerilla“ verantwortlic…
Täter und Auftraggeber wurden nie ermittelt.
Eine Regierung, die solche Bilder zulässt oder gar inszeniert, spielt mit
der Erinnerung an jene Tage, die erst mit dem ebenfalls blutigen
Militärputsch vom 12. September 1980 beendet wurden. Schon zu Beginn der
Proteste hatte Erdogan gesagt, dass er die anderen 50 Prozent der
Bevölkerung nur „schwer zurückhalten“ könne. Die Demonstranten hat er
mehrfach als Handlanger von Putschisten bezeichnet. Das mag ein Ausdruck
von Verzweiflung sein, aber zuzutrauen ist es dieser Regierung allemal,
diese Drohung noch ein bisschen deutlicher zu machen und bewaffnete
Hilfstruppen auf Demonstranten loszulassen.
Zwei der Knüppelmänner vom Samstag wurden übrigens später doch noch
festgenommen. Den Behörden zufolge handelte es sich dabei um
Gewerbetreibende aus dem Viertel, die seit Beginn der Proteste Ende
Umsatzverluste erlitten hätten. (Dass die meisten Geschäftsinhaber rund um
den Taksim-Platz Grund zur Klage haben, ist sicher wahr. Allerdings stellt
sich auch hier die Frage nach den Verantwortlichen. Wo die Polizei nicht
eingreift, wie Anfang Juni [8][zeitweise rund um den Taksim-Platz],
schließen sich Proteste und Business nicht aus, im Gegenteil.)
Inzwischen sind die beiden Männer wieder auf freiem Fuß. Sie haben sich ja
auch nichts Schlimmes zuschulden kommen lassen: Sie hatten [9][keine Nelken
auf dem Taksim-Platz] abgelegt, regierungskritische [10][Tweets versendet]
oder – Gott bewahre – Zelte in einem Stadtpark aufgeschlagen.
8 Jul 2013
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## AUTOREN
Deniz Yücel
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