| # taz.de -- Der Klavierspieler von Istanbul: Ein bisschen Frieden | |
| > Davide Martello hat auf dem Taksimplatz Menschen zum Weinen gebracht. In | |
| > Dresden sammelt er Spenden für die Flutopfer. Warum macht er das? | |
| Bild: Live-Konzert der anderen Art: Davide Martello spielt auf dem Taksim-Platz. | |
| Davide Martello will nicht, dass die Leute ihn für einen Türken halten. Auf | |
| seinem Flügel klebt zwar die türkische Flagge, aber darunter hängt ein | |
| Zettel zur Erklärung: „Peace and Democracy for Turkey.“ Das ist seine | |
| Botschaft: Frieden. | |
| „Ich will nicht als Nationalist rüberkommen, aber ich habe den Leuten in | |
| Istanbul versprochen, die Flagge draufzulassen, bis das vorbei ist.“ Bis | |
| was genau vorbei ist? „Gute Frage“, sagt er. Ein 31-Jähriger mit blauem | |
| Strickpulli, die lockigen Haare unter den Hut gestopft, den er auch schon | |
| in Istanbul aufhatte. Er wirkt jünger, als er ist. Weich. Er ist in | |
| Dresden, weil er in ein paar Stunden auf dem Schlossplatz spielen will. Um | |
| Spenden zu sammeln für die Flutopfer. | |
| Martello [1][reist mit seinem elektronischen Klavier], eingebaut in einen | |
| Flügel, durch Europa und spielt. Seine [2][Auftritte auf dem Taksimplatz] | |
| haben ihn bekannt gemacht. Die Fotos und Videoschnipsel davon, wie er | |
| inmitten der Demonstranten und Polizisten „[3][Imagine]“ oder | |
| „[4][Felicità]“ spielt, spätabends, in blauem Licht, gaben den Protesten | |
| einen romantischen Anstrich. Viele Menschen hat er zum Weinen gebracht. Er | |
| tauchte dort auf, einen Tag nachdem der Taksimplatz zum ersten Mal gestürmt | |
| worden war. | |
| „In Istanbul habe ich gemerkt, dass ich mit Musik etwas erreichen kann. An | |
| den Tagen, an denen ich auf dem Taksimplatz war, haben die Polizisten nicht | |
| eingegriffen, sondern selber zugehört.“ Martello spricht ruhig, aber nicht | |
| zu leise. „Ich hab’s einfach getan, weil ich was Gutes machen wollte. Kann | |
| sein, dass das naiv war von mir.“ | |
| ## Er wird als Held gefeiert | |
| An dem Samstag, an dem die Polizei Taksimplatz und Gezipark räumt, kommt er | |
| zu spät und wird empfangen von einer Wolke Reizgas. „Ich habe alles stehen | |
| gelassen, bin weggelaufen, und als ich eine halbe Stunde später wiederkam, | |
| hatten sie meinen Flügel und mein Auto beschlagnahmt.“ Über Facebook bittet | |
| er um Hilfe, Journalisten begleiten ihn. Ein paar Tage später bekommt er | |
| alles zurück. Nach einem weiteren [5][Auftritt im Abbasagapark], wo er als | |
| Held gefeiert wird, reist er ab. | |
| Worum es in der Türkei geht, weiß er so ungefähr. So gut, wie man es eben | |
| wissen kann, wenn man kein Türkisch spricht, einmal zuvor in Alanya Urlaub | |
| gemacht hat und spontan vorbeigekommen ist – er war eigentlich gerade in | |
| Sofia, hörte von den Protesten in Istanbul und fuhr hin. „In der Türkei | |
| stehen Konservative gegen Moderne. Die müssten einfach nur miteinander | |
| reden“, sagt er. | |
| Melih Gökçek, der Oberbürgermeister von Ankara, hat ihm in der Zeitung | |
| Sabah vorgeworfen, er habe provoziert. Das hat Martello eingeschüchtert. | |
| Zurück will er deswegen erst mal nicht. Wenn er das erzählt, wird er | |
| aufgeregt, streicht sich den Pony unter die Hutkrempe und guckt ein | |
| bisschen hilflos. Er hat gemerkt, dass es schwierig ist, unpolitisch zu | |
| sein, wenn man sich auf politische Spielfelder begibt. Politisch ist er | |
| nicht, er habe sich nie für oder gegen irgendetwas engagiert. Aber Istanbul | |
| hat ihn durcheinandergebracht. | |
| ## Er hat jetzt eine Crew | |
| Noch etwas haben die Proteste verändert: „Er steht jetzt in einem anderen | |
| Rampenlicht“, sagt Lisa Schwegler, die 27-jährige Fotografin, die ihn ein | |
| halbes Jahr auf Reisen begleitet hat „Er hat stundenlang auf dem | |
| Taksimplatz gespielt, und währenddessen hat uns die Presse die Bude | |
| eingerannt.“ Wir, das sind drei Freunde von Martello: die Fotografin, ein | |
| Webmaster, eine Pressesprecherin. Sie arbeiten für ihn, bekommen aber nur | |
| ein Taschengeld. | |
| Es ist Kunst, nicht Politik, sagt Martello. Musik mit Architektur | |
| verbinden, damit fing es an. Es geht auch um Inszenierung, ja. Seine Musik | |
| bekannt machen, darum auch. Aber Erfolg ist ihm nicht wichtig: „Ich will | |
| die Kulturen zusammenbringen.“ Und warum Dresden? „Die Menschen brauchen | |
| Hilfe nach der Flut. Ich will Gutes tun.“ | |
| Er will Gutes tun. Das sagt er oft. | |
| Über seine Musik hingegen weiß er nicht viel zu sagen, nur, dass er viele | |
| Stücke komponiert hat, die er irgendwann mal alle professionell einspielen | |
| möchte. Aber noch kommt ihm die Reiselust immer wieder dazwischen. Er will | |
| nicht zwei Monate lang ins Studio gehen: „Das wäre dann Arbeit. Bei mir | |
| gibt es keine Arbeit, das kommt alles aus dem Herzen.“ | |
| Er hat noch nicht genug davon, aus dem Auto zu leben und seinen Flügel auf | |
| Plätze zu schleppen, um Menschen mit Beatles-Songs zu rühren. Er ist | |
| gelernter Frisör, hat den Beruf aber aufgegeben, nachdem er an der | |
| Meisterprüfung scheiterte: „Dafür war ich zu zerstreut.“ | |
| ## Es ist zu laut | |
| Seinen Eltern gefiel das zunächst nicht. Sie leben wieder auf Sizilien, | |
| waren früher Gastarbeiter in Deutschland. Als sie zurückkehrten, war er 18, | |
| er ist in Deutschland aufgewachsen. „Seit sie mich vor zwei Wochen im | |
| italienischen Fernsehen auf dem Taksim gesehen haben, unterstützen sie mich | |
| seelisch bei dem, was ich tue.“ Jetzt sagen sie nicht mehr, er solle doch | |
| bitte einfach einen eigenen Frisörsalon eröffnen. Nur auf Sizilien könne er | |
| sich mal wieder blicken lassen. | |
| Martello hat seinen Flügel im Anhänger auf den Dresdner Schlossplatz | |
| gefahren, und nachdem das japanische Brautpaar verschwunden ist, beachten | |
| ihn auch die Passanten. Er beginnt zu spielen. Es ist laut. Zu laut. | |
| „Sorry, das ist noch auf den Taksimplatz ausgerichtet“, sagt er und dreht | |
| die Lautstärke runter. „Imagine“ ist das erste Stück. Das funktioniert ja | |
| irgendwie immer – bei Demos, Beerdigungen und jetzt eben auch, um Geld für | |
| die Flutopfer zu sammeln. Die Leute bleiben stehen und applaudieren. Danach | |
| „Lightsoldiers“, das Stück, das er in Istanbul komponiert und den Toten des | |
| Protests gewidmet hat. | |
| So richtig voll wird es nicht, aber Geld für die Flutopfer geben einige. | |
| Eine kleine Gruppe junger Türkinnen weiß, wer Martello ist, sie rufen laut | |
| mit erhobenen Fäusten: „Her yer Taksim, her yer direnis!“ (Überall ist | |
| Taksim, überall ist Widerstand!) Dann lachen sie. Martello strahlt und | |
| nickt ihnen zaghaft zu. Niemand klatscht. Aber in Dresden herrscht ja auch | |
| Frieden. | |
| 7 Jul 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.klavierkunst.com/ | |
| [2] /Die-Nacht-in-Istanbul/!118113/ | |
| [3] http://vimeo.com/68343712 | |
| [4] http://www.youtube.com/watch?v=xHz3E1uyPSM | |
| [5] http://www.youtube.com/watch?v=NgW0qYb4Rjw | |
| ## AUTOREN | |
| Frauke Böger | |
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