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# taz.de -- Tag und Nacht auf dem Taksim-Platz: Warten auf das vorhergesagte En…
> Ein Referendum zur Umgestaltung des Gezi-Parks? Die Demonstranten
> beunruhigt eine andere Nachricht: „Die Sache wird innerhalb von 24
> Stunden enden.“
Bild: Aufräumarbeiten am Taksim-Platz.
ISTANBUL/ANKARA taz/afp/dpa | Nach gut zwei Wochen der Proteste gegen die
türkische Regierung ist Ministerpräsident [1][Recep Tayyip Erdogan] einen
ersten Schritt auf seine Kritiker zugegangen. Die Umgestaltung des
Istanbuler Gezi-Parks könnte Gegenstand einer Volksabstimmung werden, sagte
Regierungssprecher Hüseyin Celik am Mittwochabend.
Das gewaltsame Vorgehen gegen die Demonstranten [2][bei der Räumung des
Taksim-Platzes in der Nacht zum Mittwoch] zeigte ein anderes Bild. Auch am
Tag danach rangen die Menschen im Gezi-Park im Stadtzentrum von Istanbul
mit den Folgen der Gasattacken. Das Camp war verwüstet: Fetzen von
Transparenten lagen auf dem Boden, zertretene Schlafsäcke und Decken,
Flaschen, Unrat aller Art. Zwar ist die Polizei nur an den Rand des Parks
gekommen, aber mehrmals wurde das Camp mit Pfeffergas beschossen.
Doch nicht nur in Istanbul wird hart gegen die Regierungskritiker
vorgegangen. Rund 2.000 Menschen versammelten sich am Mittwochabend im
Zentrum der Hauptstadt Ankara und skandierten Parolen gegen die Regierung
von Ministerpräsident Erdogan. Die Demonstrierenden wurden mit Tränengas
beschossen. Ein Autofahrer, der zur Unterstützung der Demonstranten hupte,
wurde festgenommen.
Die Protestbewegung in der Türkei richtete sich ursprünglich gegen die
Bebauungspläne für den Gezi-Park in Istanbul. Inzwischen steht Erdogans
Regierung selbst im Zentrum der Kritik. Beim gewaltsamen Vorgehen der
Polizei gegen Demonstranten gab es seit Ende Mai vier Tote und laut
Ärzteorganisationen rund 5.000 Verletzte.
## Unterstützung von der linkskemalistischen CHP
Doch auch Unterstützung erhalten die Demonstranten. So schickt Mustafa
Sarigül, der Bezirksbürgermeister von Sisli − neben Besiktas und Kadiköy
auf der anatolischen Seite einer von nur drei Istanbuler Stadtbezirken, die
nicht von Erdogans AKP, sondern von der linkskemalistischen CHP regiert
werden − seine Müllabfuhr, die mehrmals am Tag den Müll abholt, den die
Parkbesetzer selber fleißig aufsammeln. Auch die Dixieklos am Rand des
Parks hat Sarigül aufstellen lassen. Sein Zuständigkeitsbereich ist das
nicht; der Park und der Taksim-Platz gehören zum Bezirk Beyoglu, der von
der AKP regiert wird.
Eine anderes Problem: Die meisten Zelte haben die Polizeiattacke zwar
überstanden – wohl selten hat man so viele Menschen derart vorsichtig
flüchten sehen –, aber die Decken und Schlafsäcke sind verdreckt und nach
dem hefitigen Regen vom Morgen durchnässt. Am Morgen laufen über Twitter
Aufrufe, den Transport und das Waschen der Decken zu organisieren. Und
natürlich finden sich genügend Reinigungen, die bereit sind, kostenlos und
schnell den Job zu erledigen.
Ab dem Nachmittag strömen immer mehr Menschen auf den Platz. Und viele
kommen nicht mit leeren Händen, sondern bringen mit, was gebraucht wird:
Wasser, Teepackungen, Obst, Kekse. Das Wichtigste natürlich: Mittel zum
Selbstschutz: Essig, Milch und das Magenmittel Talcid gegen das Pfeffergas
sowie Atemschutzmasken und Taucherbrillen.
Ein Auto voller Feuerlöscher kommt angefahren, die jemand spendiert haben
muss. Zwar gehen die wichtigen Aufrufe von der Taksim-Koordination aus,
aber sie verbreiten sich dezentral, über die hier beteiligten Gruppen, aber
mehr noch über Freundeskreise.
## Nachschub an Medikamenten
In den beiden Lazaretten, in denen Dutzende von Ärzten, Pflegern und
Studenten arbeiten und die in der [3][Nacht ebenfalls beschossen worden
waren], herrscht schon am Vormittag wieder Normalität. Natürlich brauchen
auch die Lazarette Nachschub an Medikamenten und sonstigen medizinischen
Mitteln. Sie haben diesen innerhalb weniger Stunden organisiert.
Am Nachmittag schauen Sebahat Tuncel und Ertuğrul Kürkçü vorbei, zwei
Abgeordnete der kurdischen Partei für Demokratie und Frieden (BDP). In den
ersten Tagen der Proteste, als es noch um den Park ging, hatte der
Istanbuler [4][BDP-Abgeordnete Sirri Süreyya Önder] durch sein mutiges
Einschritten einen Abriss verhindert.
Um den Park herum stehen seit dem Morgen wieder Barrikaden. Nicht so
eindrucksvoll wie die in der Nacht geräumten, aber immerhin. Zum Glück für
die Besetzer ist eine große Zufahrtsstraße zum Taksim-Platz seit Monaten
eine Baustelle, weshalb sie immer noch genug Material zum Barrikadenbau
finden. Die meisten Parkbesetzer lehnen es ab, dass Steine auf Polizisten
geworfen werden – viele sind davon überzeugt, dass sich unter die
Steinewerfer und erst recht unter jene, die Molotowcocktails werfen, Agent
Provokateurs der Polizei mischen. Gegen die Errichtung von Barrikaden
scheint aber niemand Einwände zu haben.
Auf dem Taksim-Platz, an dessen Rand sich die Polizei schon am frühen
Morgen zurückzogen hat, fahren wieder ein paar Autos. Nur das Denkmal der
Republik in der Mitte des Platzes ist von der Polizei umzingelt. [5][Die
Fahnen und Transparente, die am Dienstag noch hier hingen], hat die Polizei
abgerissen, ebenso die Banner politischer Organisationen und
Ultravereinigungen, die am leerstehenden Atatürk-Kulturzentrum hingen. An
dessen Fassade hängen nun zwei riesige türkische Fahnen und ein fast
genauso großes Atatürk-Konterfei.
## Handgreiflichkeiten untereinander
„Gut, dass sie uns daran erinnern, in welchem Land wir leben. Wir dachten
ja ein paar Tage lang, es wäre ein anderes“, sagt eine Frau um die 30. Sie
arbeitet als Journalistin für ein Magazin, ist aber nicht beruflich hier,
sondern als Bürgerin, wie sie sagt. Ihre Freundin ergänzt: „Selbst wenn wir
noch mal dazu kommen würden, die Fahnen abzuhängen, könnten wir das nicht
tun, ohne die Kemalisten zu verärgern.“ Tatsächlich gehören auch
linksnationalistische Gruppen zu den Protestlern und noch am Montag war es
zu ersten Handgreiflichkeiten zwischen ihnen und den Anhängern der PKK
gekommen.
Vorbei. Die Gewalt der Polizei hat wieder alle zusammengeschweißt. Das
[6][Bild des Tages], das mehrere oppositionelle Zeitungen an diesem Tag
drucken, zeigt, wie ein junger Mann mit der Fahne der kurdischen BDP und
eine Gleichaltrige mit einer türkischen Fahne samt Atatürk-Konterfei
ineinander eingehakt vor einem Wasserwerfer fliehen. Daneben steht ein
weiterer Mann, die Finger zum Zeichen der Grauen Wölfe gespreizt.
Am frühen Abend ist der Platz wieder voll, zehn-, zwanzigtausend Menschen.
Es sind wieder so viele am Dienstag. Einige lesen, andere skandieren
Parolen. Die Stimmung ist angespannt. Dass sich Erdogan mit vermeintlichen
Repräsentanten der Parkbesetzer trifft, interesssierte hier niemanden.
Anders ein Zitat von Erdogan, das [7][ein Nachrichtensender] verbreitet
hat: „Die Sache wird innerhalb von 24 Stunden enden.“
Ob er das wirklich machen wird? Kadir, ein Mittzwanziger aus dem
Kleineleuteviertel Bayrampasa, zweifelte nicht daran: „Vielleicht heute,
vielleicht auch erst morgen“, sagt Kadir. „Aber er wird es tun. So
feindselig, wie die Polizei gegen uns vorgeht, halten die uns nicht für
Bürger dieses Landes. Die wollen uns beseitigen. Und wenn ein paar von uns
sterben, dann freuen sie sich noch.“
## „Der Wille des Volkes zählt“
Regierungssprecher Huseyin Celik, der auch Vize-Regierungschef ist, äußert
sich währenddessen: „In einer Demokratie zählt nur der Wille des Volkes“.
Zugleich forderte er die Demonstranten im Gezi-Park auf, diesen „so schnell
wie möglich“ zu verlassen. „Wir können nicht akzeptieren, dass diese
Demonstrationen ewig weitergehen“, sagt er.
Erdogans Vorschlag für ein Referendum über den Gezi-Park stößt bei vielen
Demonstranten auf Ablehnung. Das umstrittene Bauprojekt der Regierung sei
inzwischen so politisiert, dass es eine Volksabstimmung über die Zukunft
Erdogans wäre, sagen Protestierer.
Die Fragen persönlicher Freiheiten, der Grundrechte in der Türkei sowie die
Bestrafung der Verantwortlichen für die unverhältnismäßige Polizeigewalt
könnten so nicht angegangen werden. Erdogan könne zudem den ganzen Staats-
und Parteiapparat mobilisieren. „Es ist ein Schachzug, um die Menschen zu
manipulieren“, sagte eine 21-jährige Soziologie-Studentin im im Gezi-Park
der Nachrichtenagentur dpa.
Wie auch immer. Die Nacht jedenfalls bleibt wider Erwarten ruhig. Mitten
auf dem Platz [8][spielt der] [9][herumreisende] [10][Pianist Davide
Martello]. Und die Demonstranten warten auf den nächsten Tag.
13 Jun 2013
## LINKS
[1] /Kommentar-Tuerkei-Proteste/!117952/
[2] /Die-Nacht-von-Taksim/!117976/
[3] /!117976/
[4] /!118098/
[5] /Die-Bewegung-rund-um-den-Taksim-Platz/!117917/
[6] http://www.kurehaber.com/haber/taksim-meydaninda-ilginc-kare-8292.html
[7] /Proteste-in-der-Tuerkei/!118027/
[8] http://youtu.be/As-eTOzA65k
[9] http://www.klavierkunst.com/
[10] http://youtu.be/As-eTOzA65k
## AUTOREN
Deniz Yücel
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