# taz.de -- kinotipp der woche: Aus Ruinen emporgehoben | |
> Die DEFA-Stiftung feiert das 75-jährige Jubiläum der Gründung der DEFA | |
> mit Filmpräsentationen in zahlreichen Mediatheken. | |
Bild: Helke Misselwitz interviewt in „Winter Adé“ Frauen in Ostdeutschland | |
In der Eröffnungsszene von [1][Wolfgang Staudtes „Die Mörder sind unter | |
uns“] hebt sich die Kamera wortwörtlich aus den Trümmern Berlins empor. | |
Auch der Mann im staubigen Mantel und mit dem zerknautschten Hut, der durch | |
die Ruinen geht, hat bessere Tage gesehen. Ratlos blickt er auf das Schild, | |
das „Tanz. Stimmung. Humor“ verheißt. | |
„Die Mörder sind unter uns“ ist ein Film über zwei verlorene in der | |
deutschen Nachkriegsgesellschaft. Eine Überlebende aus einem | |
Konzentrationslager (Hildegard Knef) und ein Militärarzt, der versucht hat, | |
schlimmeres zu verhindern (Ernst Wilhelm Borchert), sind umgeben von einer | |
Gesellschaft, die vergessen will. Er war der erste Film der (später) | |
ostdeutschen Produktionsfirma DEFA, begonnen noch bevor die Firma | |
existierte. | |
Sie kam zu diesem ersten Meisterwerk des deutschen Nachkriegsfilm dank der | |
Kurzsichtigkeit der westlichen Alliierten. Wolfgang Staudte hatte sein | |
Drehbuch nacheinander den Briten, den Franzosen und den Amerikanern | |
angeboten und keiner wollte den Film machen. Der sowjetische | |
Kulturoffizier, der Staudtes Drehbuch vorgelegt bekommen hatte, sagte | |
hingegen sofort zu. | |
Und so pendelte Staudte ab Anfang März 1946 aus dem britischen Sektor zu | |
den Dreharbeiten. Heute, 75 Jahre nach diesem ersten Film, feiert [2][die | |
DEFA-Stiftung das 75. Jubiläum] der Produktionsfirma mit einer ganzen Reihe | |
von Filmpräsentationen in den Mediatheken und [3][in einer Auswahl im | |
Zeughauskino] – vor allem aber im Streamingangebot der öffentlichen | |
Bibliotheken. [4][Das umfangreichste Programm findet sich auf der Seite von | |
filmfriend.de] und steht Bibliotheksnutzer_innen in Deutschland, der | |
Schweiz und Österreich zur Verfügung. | |
## Erste Filme unter den Fittichen der Alliierten | |
„Sie fragen sich sicher,“ so der Schriftsteller Friedrich Wolf im Winter | |
1945 „wo sollen wir heute mit dem neuen deutschen Film beginnen? Können wir | |
überhaupt irgendwo anknüpfen?“ Wolfs Rede wurde gehalten auf einem Treffen | |
deutscher Filmschaffender. Nicht nur Wolf fragte sich, wie es mit dem | |
deutschen Film weitergehen sollte. 1946 begannen unter der Fittiche der | |
Alliierten erste Filmprojekte. | |
Im Januar 1946 drängt die Gruppe Filmaktiv, die im sowjetischen Sektor eine | |
neue Filmproduktion vorbereiten sollte, zur Eile: wenn den Plänen nicht | |
bald Taten folgen, könnten wichtige Regisseure und Schauspieler in die | |
Westzonen abgewandert sein. Mitte Mai, nur vier Monate später, feierten 300 | |
Gäste und Vertreter aller vier Besatzungsmächte in Babelsberg die | |
Entstehung der DEFA – Deutsche Filmgesellschaft in Gründung. | |
Im Programm auf [5][filmfriend.de] gibt es neben den Filmen der frühen | |
Jahre Klassiker wie den [6][Zimmermanns-Western „Spur der Steine“] und „D… | |
Legende von Paul und Paula“ oder „Solo Sunny“. Auch eine Auswahl der | |
liebevollen Kinderfilme der DEFA wie „Alfons Zitterbacke“ und „Das | |
Schulgespenst“ gibt es zu entdecken. | |
## Viel zu wenig gewürdigt | |
Schon in diesen Filmen zeigt sich, dass die Existenz von zwei | |
Filmgeschichten in den beiden deutschen Staaten rückblickend ein Glücksfall | |
ist, der noch immer viel zu wenig gewürdigt wird. Wer auf die | |
Filmgeschichte der deutschen Teilung zurückblickt, findet durch die | |
doppelte Filmproduktion eine Perspektivenvielfalt auf nahezu alle großen | |
sozialen Fragen: Geschlechterrollen, Wohnen als Verteilungsproblem, Mode | |
und den Exotismus in Ost und West. | |
Spielfilm galt bei der DEFA als Königsdisziplin. Die Produktionsfirma war | |
gegliedert in Studios für Spielfilme, populärwissenschaftliche Filme, | |
Wochenschauen und Dokumentarfilme und Trickfilme, die ihrerseits jeweils in | |
Produktionsgruppen aufgeteilt waren. Ein eigenständiges Studio für | |
Kinderfilme war angedacht, wurde aber nicht umgesetzt. | |
Die Produktion von Spielfilmen, die teuer in der Herstellung und potentiell | |
am prestigeträchtigsten waren, war die Sparte, in der die Freiräume am | |
stärksten erkämpft werden mussten. Herrmann Zschoches [7][„Karla“, das | |
Porträt einer Lehrerin], die mit den ideologischen Erwartungen hadert, | |
musste drastisch umgearbeitet werden. Um so erfreulicher, dass neben | |
Spielfilmen auch eine große und gut gewählte Auswahl des | |
DEFA-Dokumentarfilms verfügbar ist. | |
## Dokumente des Aufbaus | |
Während die frühen Dokumentarfilme, oft kurze Dokumente des Aufbaus und der | |
Errungenschaften, eher noch an die im Gros wenig aufregende | |
Kulturfilmproduktion der Zeit bis 1945 erinnerten, erweiterte sich das | |
Spektrum in den 1960er und 1970er Jahren gewaltig. | |
Die Langzeitdokumentationen von Volker Koepp zu einem Textilbetrieb in | |
Wittstock und von Winfried und Barbara Junge zu den Bewohner_innen des | |
[8][brandenburgischen Dorfes Golzow] sind beeindruckende Dokumente des | |
Alltags in der DDR. Beide konnten erfreulicherweise auch nach dem Ende der | |
DDR und der Auflösung der DEFA fortgeführt werden. | |
## Aufmerksamkeit verdient | |
In den letzten Jahren haben allmählich auch die Filme aus den letzten | |
Jahren der DDR und der DEFA ein wenig von der Aufmerksamkeit bekommen, die | |
sie verdienen. Helke Misselwitz interviewt in „[9][Winter Adé]“ Frauen in | |
Ostdeutschland. | |
Volker [10][Koepp dokumentiert in „Feuerland“] rund um eine Eckkneipe den | |
Alltag in Berlin-Mitte, Kurt Tetzlaff zeigt in „Im Durchgang“ fünf Monate | |
aus dem Leben eines Jugendlichen im Umfeld der alternativen Szene der DDR. | |
1990 dokumentiert Jürgen Böttcher in „Die Mauer“ den Abbau der Mauer um | |
Berlin. | |
Das Angebot an DEFA-Filmen, das die Bibliotheken zum Jubiläum | |
zusammengestellt haben, ist eine fantastische Gelegenheit, sich immer | |
wieder aufs neue den Filmwelten zu nähern, die Filmemacher in der DDR | |
gestalten konnten. Indirekt ist das Angebot auch ein Zeugnis der | |
hervorragenden Arbeit, die die DEFA-Stiftung leistet. Ende der 1990er Jahre | |
wurde der Stiftung die Pflege des Filmerbes der DEFA übertragen. Das es | |
heute noch so zu sehen ist, ist das Verdienst der Arbeit der Stiftung. | |
24 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.filmfriend.de/de/movies/2937b451-0d37-4bf3-afe0-78e8d0ba466f | |
[2] https://www.defa-stiftung.de/ | |
[3] https://www.dhm.de/zeughauskino/filmreihen/das-genre-kino-der-defa/ | |
[4] https://www.filmfriend.de/de/home | |
[5] https://www.filmfriend.de/de/home | |
[6] http://xn--Zimmermanns-Western%20Spur%20der%20Steine-h31vzb | |
[7] https://www.filmfriend.de/de/movies/bbbdb265-17d2-4542-8f1d-81b8abdc02f7 | |
[8] /50-Jahre-Die-Kinder-von-Golzow/!5113345 | |
[9] https://www.filmfriend.de/de/movies/b172e8a5-c615-45d9-9b64-1b1a1f3ba390 | |
[10] http://xn--Koepp%20dokumentiert%20in%20Feuerland-ko5syb | |
## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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