# taz.de -- Zwischenbilanz R2G+C in Thüringen: Konstruktiv in der Krise | |
> Die Kooperation zwischen der rot-rot-grünen Regierung und der CDU in | |
> Thüringen scheint zu funktionieren. Nur eine Partei geht etwas unter. | |
Bild: R2G regiert seit gut zwei Monaten mit Hilfe der CDU | |
ERFURT taz | Thomas Kemmerich, dank eines AfD-Coups Anfang Februar für vier | |
Wochen geschäftsführender Ministerpräsident von Thüringen, scheint mehr mit | |
seinem Laptop beschäftigt als mit der Plenarsitzung des Landtags. Seine | |
fünfköpfige FDP-Fraktion ist im Ersatztagungsort am Erfurter | |
Steigerwaldstadion zwar mit Anträgen und Gesetzentwürfen aktiv, aber es | |
reden andere. Nach seinem zweifelhaften Auftritt bei einer | |
„Widerstandsdemo“ in Gera gegen die virusbedingten Beschränkungen scheint | |
Kemmerich am Ende. | |
Wie stünde Thüringen jetzt da, wenn der Linke Bodo Ramelow am 4. März wegen | |
der fehlenden Mehrheit von Rot-Rot-Grün erneut bei der | |
Ministerpräsidentenwahl gescheitert wäre? Kemmerich hätte als | |
Ein-Mann-Regierung mit einigen Staatssekretären den Freistaat durch die | |
Pandemiekrise steuern müssen, die nur eine Woche später voll zuschlug. | |
Auf die Frage erntet man grimmiges Grinsen oder ein klares „Wir wären nicht | |
handlungsfähig gewesen“ von Linken-Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow. | |
„Ein Ding der Unmöglichkeit“, winkt Ralf Rusch als Geschäftsführer des | |
Gemeinde- und Städtebundes ab. | |
Schlagartig verschwand Thüringen virenbedingt vor zwei Monaten aus den | |
Nachrichten. Zuvor hatte die Unmöglichkeit einer klassischen | |
Regierungsbildung nach den Landtagswahlen vom Oktober noch dominiert. Was | |
schließlich [1][Ramelows Wahl im dritten Wahlgang mit einfacher Mehrheit | |
ermöglichte], nennt die CDU inzwischen „konstruktive Opposition“, könnte | |
aber ebenso zutreffend als stille Tolerierung des Minderheitsbündnisses von | |
Linken, SPD und Grünen bezeichnet werden. | |
Die CDU sieht sich als „heilsames Medikament“ für R2G | |
„Stabilitätsmechanismus“ lautet der Terminus, auf den sich Linke, SPD, | |
Grüne und CDU vor der Ramelow-Wahl geeinigt hatten. Er enthält neben | |
Projektzusammenarbeit auch eine Disziplinierungsklausel für die Union, im | |
Konfliktfall nicht auszubüchsen und eigene Mehrheiten mit der AfD zu | |
suchen. | |
Funktioniert dieser Mechanismus, zumal in einer außerordentlichen | |
Bewährungsphase? Die Antworten verblüffen. Die Kommunikation mit der CDU | |
laufe „äußerst unkompliziert“ und sei von „hoher Professionalität und | |
Sachlichkeit geprägt“, überrascht die Linke Hennig-Wellsow. Der | |
Fraktionsnewsletter der Union bescheinigt der Minderheitskoalition, sie | |
erweise sich in der Krise „offensichtlich als lernfähig“. „Wir sind ein | |
heilsames Medikament für diese Koalition“, wirft sich [2][CDU-Fraktionschef | |
Mario Voigt] in die Brust. | |
Im Gespräch mit dem eloquenten Professor für Digitale Transformation und | |
Politik entsteht sogar der Eindruck, die CDU habe Gefallen an ihrer neuen | |
Rolle als stille Mitmischerin und selbstbewusste Mehrheitsbeschafferin | |
gefunden. „Wir sind in der Lage, CDU-Positionen einzubringen“, erklärt | |
Voigt geradeaus und erwähnt als klassische Felder der Unionspolitik | |
Familien, Bildung, Mittelstand oder die Kommunen. | |
Bei dramatischen Verlusten zur Landtagswahl holte die CDU immerhin alle 21 | |
Mandate direkt in den Wahlkreisen, bezeichnet sich laut Voigt deshalb als | |
„Kümmerer vor Ort“. Ihre gute kommunale Verankerung hat Einfluss auf die | |
aktuelle Politik. Wenn im Juni das am 8. Mai auf den Weg gebrachte | |
Mantelgesetz zur Krisenbewältigung beschlossen werden soll, wird auch ein | |
von der CDU gefordertes 185-Millionen-Paket für die Kommunen dabei sein. | |
Die Grünen gehen in dem Bündnis etwas unter | |
Erstes Signal für das Funktionieren der neuen Stabilitätsvereinbarung war | |
bereits unmittelbar nach der Ramelow-Wahl ein kommunales Investitionspaket | |
von 570 Millionen Euro. Geschäftsführer Rusch vom Gemeindebund ist über den | |
Segen so erfreut „wie in 30 Jahren noch nicht“. | |
Auch mit dem Wunsch nach prinzipieller Rückkehr zum Regelbetrieb in | |
Kindertagesstätten schon ab dem 18. Mai hat sich die Union gegenüber | |
Kultusminister Helmut Holter (Linke) durchgesetzt. Wegen „lebensfremder | |
Vorschriften“ und mancher „Verkündigungstermine“ sind die Kommunen ohneh… | |
nicht so erbaut über das Kultusministerium. | |
Von einer „Scharnierfunktion“ der SPD in der RRG-Koalition spricht der | |
SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Hey. Man werde bei Kontakten mit der CDU | |
gern vorgeschickt. Es klingt bei Hey sogar vorsichtig danach, als | |
entdeckten die Sozis den früheren Koalitionspartner wieder. Hey hatte bei | |
den CDU-Kontakten zu Jahresanfang für informelle Vorabsprachen plädiert, | |
während die Union korrekt auf Abstand hielt und mögliche Kooperationsthemen | |
ausschließlich in den Landtagsgremien diskutieren wollte. | |
Die Koalitionspartner Linke und Grüne hätten nur manchmal noch nicht | |
begriffen, dass alle wichtigen Vorhaben nur noch mit der CDU zu machen | |
sind, merkt Hey an. Für Hey wird das Mantelgesetz mit dem Kern eines zu | |
schaffenden Sondervermögens die eigentliche Probe auf den Stabilitätspakt | |
mit der CDU. SPD-Finanzministerin Heike Taubert wollte ausschließlich auf | |
die eine Milliarde Euro Rücklagen zurückgreifen, die Union hält einen | |
Nachtragshaushalt mit Neuverschuldung für unvermeidlich. | |
Die Viererkonstellation kennt aber auch Verlierer. Die Grünen spüren, dass | |
weder ihre fünf Stimmen im Landtag noch ihre Inhalte gebraucht werden. Es | |
sei nicht einmal gelungen, Bodo Ramelow zwei nachhaltige und umweltliche | |
Sätze in seine Regierungserklärung zu schmuggeln, heißt es aus grünen | |
Kreisen. | |
24 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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