# taz.de -- Zulassung für umstrittenes Pestizid: Brüssel will Glyphosat bis 2… | |
> Das meistverkaufte Pestizid sei sicher genug, sagt die EU-Kommission. | |
> Gegen wichtige Risiken soll jeder Mitgliedstaat für sich vorgehen. | |
Bild: Ist das krebserregend? Unkrautvernichtungsmittel, das Glyphosat enthält | |
Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, den umstrittenen Pestizidwirkstoff | |
[1][Glyphosat] weitere 10 Jahre zuzulassen. Die Europäische Behörde für | |
Lebensmittelsicherheit (Efsa) habe bestätigt, dass „Glyphosat nicht die | |
Kriterien erfüllt, um als krebserregend, erbgutverändernd oder | |
fortpflanzungsgefährdend eingestuft zu werden“, heißt es in der | |
[2][Beschlussvorlage] für die Mitgliedstaaten. Indirekte Schäden für die | |
Artenvielfalt könnten aber nichtausgeschlossen werden. Falls nötig, sollten | |
die EU-Länder Vorsichtsmaßnahmen gegen diese und andere Risiken | |
vorschreiben, wenn sie die fertigen Pestizidprodukte zulassen, die den | |
Wirkstoff Glyphosat enthalten, so die Kommission. Da mittlerweile | |
intensiver als bisher zu dem Unkrautvernichter geforscht werde und neue | |
Erkenntnisse möglich seien, solle die Zulassung nicht für die sonst | |
üblichen 15 Jahre erteilt werden. | |
Glyphosat ist der weltweit meistverkaufte Pestizidwirkstoff. Die | |
Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation WHO | |
bewertete ihn 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ – mit Glyphosat | |
gefütterte Ratten und Mäuse hatten Tumoren entwickelt. In den USA | |
verurteilten daraufhin mehrere Gerichte einen der Hersteller, die deutsche | |
Bayer AG, zu hohen Schadenersatzzahlungen an KlägerInnen, die ihre | |
Krebserkrankung auf das Mittel zurückführen. Bayer beruft sich dagegen auf | |
verschiedene Zulassungsbehörden, die Glyphosat als sicher einstufen. Das | |
Gift tötet so gut wie alle nicht gentechnisch veränderten Pflanzen und | |
damit auch Nahrung für Vögel und Insekten. Deshalb gilt es Umweltschützern | |
als Gefahr für die Artenvielfalt. | |
Doch wie diese indirekten Auswirkungen auf die Biodiversität zu bewerten | |
sind, dafür gebe es „keine vereinbarten Methoden“, erklärt die | |
EU-Kommission in ihrem Entwurf. Zudem habe die Efsa nicht entscheiden | |
können, wie hoch das Risiko für die Verbraucher durch Glyphosatrückstände | |
in Pflanzen ist, wenn diese von Feldern kommen, auf denen das Pestizid | |
schon in der vorigen Anbausaison gespritzt wurde. Es sei auch ein „hohes | |
Risiko für kleine pflanzenfressende Säugetiere“ festgestellt worden, so die | |
Kommission. | |
Die Behörde fordert die EU-Länder auf, diesen und anderen Problemen bei der | |
Zulassung von Glyphosatprodukten „besondere Aufmerksamkeit“ zu schenken. | |
Auch der Schutz des Grundwassers und von „Nicht-Ziel-Pflanzen“ solle | |
berücksichtigt werden. Ähnliche allgemeine Empfehlungen standen auch schon | |
in der [3][aktuellen Glyphosatzulassung], die am 15. Dezember ausläuft. | |
Neue konkrete Restriktionen enthält der Entwurf nur an [4][zwei Stellen]: | |
Zum einen verbietet er die „Sikkation“ mit Hilfe von Glyphosat, bei der die | |
angebauten Pflanzen getötet werden, um die Früchte leichter ernten zu | |
können. Dabei ist das Risiko von Rückständen im Erntegut besonders hoch. | |
Deutschland und andere EU-Staaten haben die Sikkation deshalb [5][bereits | |
stark eingeschränkt]. Zum anderen will die Kommission Düsen vorschreiben, | |
die Glyphosat zielgerichteter ausbringen, so dass weniger des Pestizids in | |
die Umwelt abdriftet. Außerdem sollten mindestens 5 bis 10 Meter breite | |
Ränder der Felder nicht gespritzt werden. | |
Allerdings sollen die Mitgliedsländer auf diese Regeln auch verzichten | |
können, wenn es keine „inakzeptablen Risiken“ gibt. | |
Dass die EU-Kommission es weitgehend dem jeweiligen Mitgliedstaat | |
überlassen will, diese Probleme mit dem Pestizid zu lösen, begründete ein | |
hochrangiger EU-Beamter am Mittwoch mit den je nach Land unterschiedlichen | |
Bedingungen. Diese seien etwa in den nordischen Staaten ganz anders als im | |
Mittelmeerraum. | |
Nur „im Extremfall“ dürften Mitgliedsländer „theoretisch“ alle | |
Glyphosatprodukte auf ihrem Territorium verbieten, so der Beamte weiter. | |
„Aber sie müssen Gründe im Rahmen der Bedingungen und Restriktionen haben, | |
die wir in der Zulassungsverordnung vorschlagen.“ | |
Die EU-Staaten sollen am Freitag über den Entwurf diskutieren und am 13. | |
Oktober das erste Mal abstimmen. Um den Vorschlag abzulehnen, bräuchte es | |
eine qualifizierte Mehrheit von mindestens 15 Mitgliedstaaten, die für | |
wenigstens 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen. Sollten auch in einem | |
Berufungsausschuss nicht so viele Staaten gegen den Entwurf stimmen, kann | |
die Kommission ihn im Alleingang in Kraft setzen. Bei einer ersten Abfrage | |
im Juli habe sich nur ein Mitgliedsland gegen eine neue Glyphosatzulassung | |
ausgesprochen, verriet der Beamte. Auch auf Nachfrage wurde er nicht | |
konkreter. | |
## Wie wird die Bundesregierung abstimmen? | |
Mit Spannung wird jetzt erwartet, wie sich die Bundesregierung | |
positioniert. Zwar haben die Ampelparteien in ihrem [6][Koalitionsvertrag] | |
vereinbart: „Wir nehmen Glyphosat bis 2023 vom Markt.“ | |
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sagte am Mittwoch: | |
„Solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass Glyphosat der Biodiversität | |
schadet, sollte die Genehmigung in der EU auslaufen“. Eine vielfältige und | |
intakte Pflanzen- und Tierwelt sei die Voraussetzung für sichere Ernten. Er | |
werde sich mit Partnern in der EU dazu nun austauschen. Doch die [7][FDP | |
hat sich für Glyphosat ausgesprochen]. Wenn sich die Ampelkoalition nicht | |
einigen kann, muss sich Deutschland bei der Abstimmung in Brüssel | |
enthalten. Das könnte sich am Ende wie eine Zustimmung auswirken. | |
Bayer begrüßte den „wissenschaftlich fundierten“ Vorschlag der | |
EU-Kommission. Die Umweltschutzorganisation Pestizid Aktions-Netzwerk | |
dagegen kritisierte, die Risikoprüfung sei mangelhaft gewesen. Deshalb | |
dürfe es keine neue Zulassung geben. | |
20 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Schwerpunkt-Glyphosat/!t5008469 | |
[2] https://ec.europa.eu/transparency/comitology-register/core/api/integration/… | |
[3] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32017R2324&… | |
[4] https://ec.europa.eu/transparency/comitology-register/core/api/integration/… | |
[5] https://www.bvl.bund.de/SharedDocs/Fachmeldungen/04_pflanzenschutzmittel/20… | |
[6] https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_… | |
[7] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/glyphosat-eu-ampelkoalition-1… | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Glyphosat | |
Schwerpunkt Pestizide | |
Landwirtschaft | |
Schwerpunkt Bayer AG | |
Schwerpunkt Glyphosat | |
Schwerpunkt Glyphosat | |
Schwerpunkt Glyphosat | |
Schwerpunkt Glyphosat | |
Landwirtschaft | |
Schwerpunkt Glyphosat | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Studie fehlte in Zulassungsantrag: Bayer angezeigt wegen Glyphosat | |
Der Chemiekonzern habe den Behörden kritische Studien über | |
Gesundheitsrisiken des Pestizids nicht vorgelegt, so Umweltverbände. Bayer | |
sieht das anders. | |
EU-Kommission ist für das Ackergift: Wie weiter mit Glyphosat? | |
Die EU-Kommission schlägt vor, die Zulassung von Glyphosat zu erneuern. Das | |
Pestizid wird verdächtigt, Krebs zu verursachen und der Natur zu schaden. | |
Koalitionsstreit über Pestizidzulassung: FDP gegen Özdemir bei Glyphosat | |
Die FDP spricht sich dafür aus, das umstrittene Pestizid weitere 10 Jahre | |
zuzulassen. Damit setzt sie auf Konfrontation mit Agrarminister Özdemir. | |
Kritische Studie zu Pestizid: Glyphosat macht wieder Stress | |
Das meistverkaufte Pestizid Glyphosat verursache „oxidativen Stress“, sagen | |
drei Wissenschaftler. Diese Zellschädigung kann zu Krebs führen. | |
Umstrittenes Pestizid Glyphosat: Bayer nutzt Greenpeace-Methode | |
Glyphosat ist EU-weit nur noch bis Mitte Dezember zugelassen. Der | |
Leverkusener Agrarchemiekonzern wirbt für die Neuzulassung – mit einer | |
Petition. | |
Behörde wird neue Zulassung empfehlen: EU-Kommission will weiter Glyphosat | |
Die Brüsseler Behörde will vorschlagen, die Zulassung des Pestizids zu | |
erneuern. Um die Folgen für die Natur sollen sich die Mitgliedsländer | |
kümmern. |