# taz.de -- Zukunft der Innenstädte: Brauchen wir Fußgängerzonen noch? | |
> Viele Karstadt-Filialen müssen schließen, die jungen Leute kaufen sowieso | |
> nur noch online ein. Ein Plädoyer für und eins gegen die Fußgängerzone. | |
Bild: Einkaufsstraße Zeil in der Innenstadt von Frankfurt am Main | |
## | |
## Ja | |
Kapitalismuskritik hat in der Fußgängerzone keinen kostenlosen Parkplatz. | |
Die Fußgängerzone ist eine Insel des Konsums und ein Ort der Passage. Hier | |
geht man nicht hin, um zu bleiben, sondern um durchzugehen. | |
Hier ist jeder Passant – außer denen, die da arbeiten. Außerhalb des | |
Bezahlvorgangs passieren hier Begegnungen, Blicke, Gespräche, Beobachtungen | |
per definitionem nur en passant. Reicht einem jemand ein Taschentuch, weil | |
das Eis auf den Mantel tropft, oder macht jemand einen Witz über eine | |
Schaufensterauslage, über die man auch gerade gelacht hat, stellt sich das | |
kurze Glück der zufälligen Begegnung ein. Die zwischenmenschliche Begegnung | |
ist in der Passage ein Glück im Sinne von glücklicher Zufall. Auf den für | |
zwischenmenschliche Begegnungen vorgesehenen Freiflächen ist sie oft ein | |
Krampf: Chillen kann auch überfordern. | |
Freilich müssen Fußgängerzonen nicht aussehen wie die Zeil oder die | |
Königstraße. Der deutsche Mittelstand sollte mal geschlossen auf | |
Fortbildung nach Palermo. Dort kann man lernen, dass nicht nur Autos aus | |
Fußgängerzonen verbannt gehören, [1][sondern auch Großketten wie H&M, Kik | |
oder Karstadt]. Münchner Buchhändler und Berliner Biogemüseladenbetreiber | |
wehren sich gegen die Einrichtung von Fußgängerzonen, weil sie fürchten, | |
dass mit dem Verlust des Durchgangsverkehrs auch die Lust am Einkaufen | |
stirbt. Woher kommt diese Angst? In Palermo, wo noch bis vor kurzem | |
Verkehr, Luftverschmutzung und brachliegende Ruinen waren, ist heute die | |
gesamte Innenstadt „area pedonale“. War der Corso Vittorio Emanuele einst | |
kaum ohne Lebensgefahr überquerbar und in höchstens zwei Läden eine Pizza | |
all’aroma di Auspuff zu genießen, haben dort heute kleine Läden | |
Hochkonjunktur und die Straßen sind proppenvoll. Voll von glücklichen | |
Menschen, die sich was Schönes kaufen und jemandem, dem gerade Eis auf den | |
Mantel tropft, ein Taschentuch reichen können. Doris Akrap | |
## Nein | |
Seit Jahren wird das Ende der Fußgängerzone beschworen. Doch egal ob | |
Stuttgart oder Delmenhorst, Klein- oder Großstadt, noch immer gibt es | |
überall diese eine autofreie Straße, in der wir uns unserer Konsumlust | |
hingeben sollen. In der Vorstellung vieler ist es ein romantisches | |
Sträßchen mit alteingesessenen Buchläden und kleinen Modeboutiquen. In der | |
Realität sind es graue Betonklötze, in denen sich Handy-Läden an | |
leerstehende Geschäfte und Filialen der ewig gleichen Ketten von H&M über | |
Douglas bis Zara reihen. | |
Doch das scheint Fußgängerzonen-Verfechter nicht zu verunsichern. Mit Verve | |
schießen sie [2][regelmäßig gegen ihre Lieblingsfeinde, die | |
Online-Shopper.] Dabei spricht vieles fürs Einkaufen im Internet: Die | |
Auswahl ist vielfältiger und hält auch Kleidung für Menschen größerer | |
Größen bereit, es ist bequem und zeitsparend. Ein Argument dagegen ist | |
Nachhaltigkeit. Klar, wer sich regelmäßig Pakete liefern lässt, ist nicht | |
die größte Klimaqueen. Doch wer mit dem Auto in die Innenstadt brettert, um | |
in Geschäfte zu gehen, die erst vor wenigen Wochen gelernt haben, dass es | |
gar nicht so klug ist, seine Eingangstür stets offen stehen zu lassen, wenn | |
gleichzeitig der Innenraum beheizt oder gekühlt wird, auch nicht. | |
Auch das Argument, Online-Shopper seien schuld an der Verödung der | |
deutschen Innenstädte, ist Quatsch. Die Unkreativität der | |
Stadtplaner*innen ist dafür verantwortlich. Fußgängerzonen sind | |
charmbefreite Orte, die weder inklusiv noch nachhaltig sind. Das immer | |
weiter schwindende Interesse von Geschäften und Besucher*innen sollte | |
Hinweis genug sein, dass sie nicht mehr gebraucht werden. Warum muss denn, | |
wenn ein Karstadt aus der Fußgängerzone verschwindet, ein neues Kaufhaus | |
einziehen? Stattdessen könnte dort ein Park entstehen, eine Kita oder ein | |
Jugendclub, ein Spielplatz oder ein Freibad. Freiraum für alle statt | |
Shoppen für wenige. Carolina Schwarz | |
29 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
Carolina Schwarz | |
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