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# taz.de -- Zivilgesellschaft in Tunesien: Wer aufmuckt, wird dichtgemacht
> In Tunesien schließt die Regierung vorübergehend hunderte
> Nichtregierungsorganisationen: von unpolitischen Bürgerinitiativen bis zu
> oppositionellen Medien.
Bild: Immer noch beliebt: der tunesische Präsident Kais Saied, Bizerte, am 15.…
Mit der vorübergehenden Schließung von Bürgerinitiativen, Medien und von
Nichtregierungsorganisationen gehen derzeit die Behörden in Tunesien gegen
diejenigen vor, die es einst zum Vorzeigeland des [1][Arabischen Frühlings]
gemacht hatten. Menschenrechtsorganisationen wie FTDES warnen, dass die im
Arabischen Frühling 2011 errungene Meinungsfreiheit in Gefahr sei.
Es gibt keine offizielle Liste der nun betroffenen Organisationen.
Schätzungen von rund 500 geschlossenen Organisationen machen die Runde.
Betroffen sind etwa kleine, unpolitische Bürgerinitiativen, die in
vernachlässigten Regionen Workshops zu Handwerkskunst oder der Arbeit am
Computer anboten. Aber auch oppositionelle Medien wie die unabhängige
Onlineplattform [2][Nawaat,] die kritisch über Korruptionsfälle,
Umweltverschmutzung und soziale Probleme berichtete.
Nawaat wurde Ende Oktober für vier Wochen von den Behörden zugemacht. Diese
begründen ihr Vorgehen mit der Klärung der Verwendung von Geldern, die seit
2011 an Tunesiens Zivilgesellschaft aus dem Ausland geflossen war. So
wurden die Medienschaffenden von Nawaat von deutschen Stiftungen,
Projektgeldern der EU und anderen internationalen Fonds unterstützt, die
den Demokratisierungsprozess seit dem Arabischen Frühling fördern wollten.
Das Vereinsgesetz in Tunesien ermöglichte auch die Gründung zahlreicher
Initiativen mit dem Zweck der Unterstützung politischer Parteien und
religiöser Gruppen. Schon im letzten Wahlkampf im Jahr 2024 hatte Präsident
Kais Saied gegen die Finanzierung der moderat-islamistischen Ennahda-Partei
und radikaler Gruppen gewettert. Der Juraprofessor und
Politikquereinsteiger wurde 2019 Überraschungssieger der Präsidentenwahlen
[3][und 2024 wiedergewählt].
## Manche stehen weiter hinter dem Präsidenten
Auf den Straßen bleibt er teils dennoch beliebt: „Ich stehe noch zu ihm,
weil er als Einziger die allgegenwärtige Korruption in Behörden, in
Schulen, ach überall bekämpfen kann“, sagt etwa Mohamed Marzoug, ein
Kioskbesitzer. Unweit seines Ladens im zentralen Viertel Tunis-Lafayette
befinden sich zahlreiche Ministerien. „Doch die Beamten sitzen in
ausgedehnten Pausen in Cafés, während vor ihren Augen der Müll auf den
Straßen liegen bleibt. Der Präsident kämpft immer noch allein gegen eine in
den Vorjahren aufgeblähte Bürokratie.“
Die steigenden Lebenshaltungskosten, der langsame Reformprozess und die nur
langsam schwindende Korruption nagen aber an Saieds Popularität.
## Gefahr aus dem Gefängnis?
Viele im Präsidentenpalast, der Führungsriege der Nationalgarde und der
Polizei scheinen sich derzeit in einem Überlebenskampf gegen radikale
Gruppen und die Ennahda-Partei zu wähnen: Der 84-jährige Anführer der
mittlerweile verbotenen Ennahda, [4][Rahed Ghannouchi], sitzt – wie die
gesamte Führungsriege der Partei – wegen des Empfangs von Geldern aus dem
Ausland und anderer Anklagepunkte hinter Gittern. Doch als soziale Bewegung
ist Ennahda vor allem in Armenvierteln noch aktiv.
Ghannouchi und viele seiner Mitstreiter haben jüngst aus Solidarität mit
dem Rechtsanwalt Jawahar Ben Mbarek einen Hungerstreik begonnen. Der seit
2023 im Gefängnis sitzende Chef der größten Oppositionspartei „Nationale
Rettung“ war nach Angaben seiner Familie von Polizeibeamten am 11. November
mit Gewalt dazu gezwungen worden, [5][seinen eigenen Hungerstreik zu
beenden]. Ben Mbarek sitzt wegen des Versuchs einer Verschwörung zur
Absetzung des Präsidenten ein. Seine Rechtsanwältin Hanen Khmirir klagt,
ihr Mandant habe während der Haft Knochenbrüche und Schläge erlitten. All
das sorgt für Aufmerksamkeit – nicht unbedingt positive für Saied.
## Welche Demokratie, fragen wohl viele Tunesier
Die Pressefreiheit im Land ist schon länger merklich beeinträchtigt:
Amnesty International und das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ)
fordern derzeit unter anderem die Freilassung der Rechtsanwältin Sonia
Dahmani. Sie war mit ihren spitzzüngigen TV-Kommentaren landesweit bekannt
geworden und wurde im Mai 2024 festgenommen. Ein Grund: Als Mitdiskutanten
in einer Talkshow behaupteten, [6][Migranten aus Subsahara-Afrika kämen
nach nur nach Tunesien], um den Reichtum und die Schönheit des Landes zu
rauben, erwiderte sie: „Welches Land meinen sie. Das, aus dem die eigene
Jugend flieht?“ Ein Gericht verurteilte Dahmani daraufhin mithilfe des im
Jahr 2022 eingeführten Paragrafen 54 zu einem Jahr Gefängnis. Die
Begründung: Die Verbreitung von Falschmeldungen sei strafbar.
Doch anders als etwa 2011 bleibt die Empörung gegen das harte Vorgehen der
Justiz weitgehend aus. Viele Tunesier haben offenbar ihren Glauben an die
Demokratie in den letzten Jahren verloren.
15 Nov 2025
## LINKS
[1] /Arabischer-Fruehling/!5748610
[2] https://nawaat.org/
[3] /Praesidentschaftswahlen-in-Tunesien/!6037073
[4] /Repression-in-Tunesien/!5931990
[5] https://www.reuters.com/world/africa/jailed-tunisian-opposition-leader-face…
[6] /Afrikanische-Fluechtlinge-in-Tunesien/!6059102
## AUTOREN
Mirco Keilberth
## TAGS
Tunesien
Kais Saied
Ennahda-Partei
Unterdrückung
Schwerpunkt Pressefreiheit
Podcast „Fernverbindung“
Düngemittel
Entwicklungszusammenarbeit
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