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# taz.de -- Zivilgesellschaft in Israel: Zwischen allen Fronten zerrieben
> Noch ist die israelische Zivilgesellschaft lebendig und vielfältig. Doch
> Aktivisten geraten zunehmend in die Schusslinie der rechtsreligiösen
> Regierung.
Bild: Der Educational Bookshop in Ost-Jerusalem ist ein Ort des Dialogs. Hier k…
Westjordanland und JERUSALEM taz | Amir Ziv hatte das Gefühl, als Soldat
das Richtige zu tun, obwohl er schon damals Gegner der israelischen
Besatzung war. Als er nach der Schule zur Armee eingezogen wurde, habe er
gedacht, er könne den Palästinensern, den israelischen Siedlern und seinen
Kameraden zeigen, dass es einen guten Weg gebe. „In Hebron hat diese
Überzeugung drei Tage gehalten“, sagt Ziv, während er im schwarzen
Kapuzenpulli in einem Bus der Organisation Breaking the Silence (BtS)
steht. Der 36-jährige Ex-Soldat und Religionslehrer ist an einem Freitag
Ende Februar mit rund 20 Teilnehmern von Tel Aviv ins israelisch besetzte
Westjordanland unterwegs.
Ziv erzählt seine Geschichte jetzt seit 13 Jahren. Wie er aufgewachsen sei
mit der Überzeugung, dass Israel Frieden wolle, aber keinen
Gesprächspartner auf der anderen Seite habe. Wie er Freunde bei
palästinensischen Terroranschlägen verloren habe. Und wie sein daraus
entstandenes Weltbild an seinem Armeedienst als Besatzungssoldat zerbrochen
sei.
Zivs Geschichte erzählt von Menschlichkeit und Mitgefühl, von universellen
Rechten in einer Zeit, in der nach dem Terrorüberfall der Hamas am 7.
Oktober 2023 und nach 18 Monaten erbarmungslosen Angriffen auf Gaza der
Hass auf beiden Seiten unversöhnlicher als je zuvor scheint. Doch er könnte
bald seine letzte Tour nach Hebron leiten. Denn die rechtsreligiöse
Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu schießt sich zunehmend
auf zivilgesellschaftliche Organisationen ein.
Die Teilnehmer von Zivs Tour kommen aus der Schweiz, aus Spanien, aus
Dänemark. Ungefähr die Hälfte von ihnen sind Israelis. Auch unter ihnen
hören die meisten zum ersten Mal aus erster Hand von der Realität in
Hebron, das seit Jahrzehnten ein Brennpunkt der Besatzung ist. Sie erfahren
etwa, dass im Zentrum der zweitgrößten palästinensischen Stadt im
Westjordanland rund 800 radikale Siedler inmitten von mehr als 200.000
Palästinensern leben.
Auf einer Karte zeigt Ziv das Stadtzentrum, das von oben bis unten von rot
und orange gefärbten Straßen durchzogen ist. Palästinenser dürfen sich auf
ihnen nur eingeschränkt bewegen. Rund um die Uhr werden die Siedlungen von
mindestens 650 Soldaten geschützt. „Am 7. Oktober 2023 waren mehr Truppen
in Hebron als entlang der Grenze zum Gazastreifen“, sagt Ziv.
„Breaking the Silence“ bedeutet übersetzt „Das Schweigen brechen“: Sol…
sprechen öffentlich über das, was sie im Dienst erlebt haben. Die
Organisation ist nicht nur eine der etabliertesten besatzungskritischen
Stimmen in Israel, sie liefert auch belastbare Informationen. Mittlerweile
hat sie rund 1.400 Soldaten-Aussagen gesammelt, jede von ihnen wurde vor
Veröffentlichung von der israelischen Militärzensur freigegeben. Manche
Berichte über das Vorgehen der Armee in Gaza wären ohne die Aktivisten kaum
möglich gewesen, etwa über den israelischen Einsatz von Palästinensern als
menschliche Schutzschilde oder deren Misshandlung in israelischen
Gefangenenlagern.
Anhängern der politischen Rechten und der Siedlerbewegung gelten die
Aktivisten seit jeher als Verräter und Nestbeschmutzer. „Manchmal bedrohen
uns Siedler während der Touren“, warnt Ziv. Eine Webseite der rechten
Gruppe Im Tirzu hat Steckbriefe zahlreicher Aktivisten veröffentlicht,
darunter mehrere von Breaking the Silence.
Seit dem Terrorüberfall der Hamas kritisieren aber auch viele liberale
Israelis, BtS und andere NGOs würden vor dem Hintergrund des zunehmenden
Antisemitismus dem Ansehen des jüdischen Staates schaden. Teile der
internationalen Linken hingegen finden in ihrer Solidarität mit
Palästinensern keinen Raum für israelische Opfer, sprechen gar beim 7.
Oktober von Widerstand oder leugnen Gräueltaten wie die [1][dokumentierten
Fälle sexualisierter Gewalt gegen israelische Frauen]. Die Extremisten in
der Regierung haben darin eine Chance erkannt, die zwischen allen Fronten
zerriebenen unbequemen Stimmen im eigenen Land auszuschalten. Aber noch ist
die israelische Zivilgesellschaft vielfältig und lebendig.
Manche Organisationen wie die Vereinigung für Bürgerrechte (ACRI) oder
Schalom Achschaw (Frieden Jetzt) arbeiten seit rund 50 Jahren. Die
Graswurzelbewegung für jüdisch-palästinensische Verständigung Standing
Together (Zusammenstehen) wurde erst 2015 gegründet. In ihrer Geschichte
habe sie viel Gegenwind erfahren, sagt der bekannte Menschenrechtler Yehuda
Shaul in einem Café in Jerusalem nahe der Knesset, dem israelischen
Parlament. Der Mann mit dem graumelierten Vollbart und der schmalen Brille
hat 2004 BtS mitbegründet. Er ist sich sicher: Noch nie war die Zukunft der
Menschenrechtsarbeit in Israel so bedroht wie jetzt.
Der Tag des Amtsantritts von Donald Trump sei entscheidend gewesen, sagt
Shaul. Den 20. Januar nennt er deshalb den „neuen Unabhängigkeitstag der
israelischen Rechten“. Seither würden Vorhaben mit einer Geschwindigkeit in
Bewegung gesetzt, dass kaum noch jemand den Überblick behalte: Der lange
angestrebte Justizumbau, die versuchte Absetzung der Generalstaatsanwältin
und des Chefs des Inlandsgeheimdienstes, eine Kampagne gegen die
israelische Presselandschaft, zählt Shaul auf. Selbst wenn manche der
Gesetzesvorschläge aberwitzig klängen: „Dieser Bullshit-Sturm hat
Strategie“, sagt er. „Sie werfen 100 extreme Vorhaben in den Ring, ein paar
kommen durch.“
Hunderttausende Israels hatten seit zwei Jahren gegen [2][die sogenannte
Justizreform] protestiert. Ende März wurde ein Kernaspekt davon
durchgewunken. Sie gibt der Regierung mehr Einfluss auf die Auswahl der
obersten Richter. Die Gewaltenteilung, die in Israel vor allem durch den
Obersten Gerichtshof gewährleistet wird, dürfte dadurch deutlich geschwächt
werden.
Die Arbeit israelischer Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen wird vor
allem durch zwei Gesetzesvorschläge bedroht: das NGO-Gesetz und das
IStGH-Gesetz. Ersteres sieht eine 80-prozentige Steuer auf Fördergelder von
ausländischen Staaten vor. Laut dem Vorschlag des Abgeordneten Ariel
Kallner von der Regierungspartei Likud sollen Organisationen mit mehr als
50 Prozent internationaler Förderung kein Petitionsrecht mehr vor
israelischen Gerichten haben. Viele der bekanntesten israelischen
Menschenrechtsorganisationen beziehen einen Großteil ihrer Förderung aus
Töpfen ausländischer Regierungen: B’Tselem, Peace Now, Breaking the
Silence.
Das Finanzministerium kann Gruppen jedoch von den Vorschriften befreien.
„De facto erhält die Regierung damit die Kontrolle über die
NGO-Landschaft“, fasst Shaul zusammen. Im Mai 2023 war ein ähnlicher
Vorschlag noch durch diplomatischen Druck aus den USA und Europa verhindert
worden. Diesmal ist zumindest aus Washington kein Gegenwind zu erwarten.
Die europäischen Partner müssten Netanjahu zeigen, dass sein Vorgehen gegen
die Zivilgesellschaft einen Preis haben wird, wünscht sich Shaul. Ohne
Druck von außen sieht er wenig Chancen auf Veränderung.
Zuletzt hatte das Auswärtige Amt den seit vielen Jahren aus Deutschland
geförderten Organisationen Zochrot und New Profile Anfang Januar die
„außenpolitische Unbedenklichkeit“ und damit deutsche Fördermittel
abgesprochen. Zochrot, auf Hebräisch „Erinnerung“, setzt sich für eine
Anerkennung der Nakba, der Vertreibung der Palästinenser im Zuge der
Staatsgründung Israels und für deren Recht auf Rückkehr ein. New Profile
unterstützt Kriegsdienstverweigerung.
Der zweite Gesetzesvorschlag soll die Zusammenarbeit mit dem
Internationalen Strafgerichtshof IStGH mit bis zu fünf Jahren Haft strafbar
machen. Zusammen mit dem Dekret von US-Präsident Donald Trump gegen den
IStGH verbreiten diese Maßnahmen schon jetzt ein Klima der Angst in der
israelischen NGO-Szene. Trump hatte am 6. Februar harte Sanktionen für
jeden angeordnet, der sich an Ermittlungen des IStGH gegen Personen ohne
Zustimmung von deren Heimatstaaten beteiligt. Anlass war ein
internationaler [3][Haftbefehl gegen Netanjahu] und
Ex-Verteidigungsminister Joav Gallant wegen Verbrechen gegen die
Menschlichkeit im Gazakrieg.
Auch wenn bisher unklar ist, ob und in welcher Form das IStGH-Gesetz
durchkommt und welche Konsequenzen die US-Sanktionen haben werden: Keine
von mehreren angefragten israelischen NGOs will sich dazu äußern. „Wir
setzen unsere Arbeit fort, aber die persönlichen Konsequenzen für unsere
Mitarbeiter nicht abschätzen zu können, stellt uns vor eine große
Herausforderung“, sagt ein Sprecher mit der Bitte, den Namen der
Organisation nicht zu erwähnen.
Kommt das geplante Gesetz in seiner jetzigen Form durch, könnte es nicht
nur unter Strafe gestellt werden, dem IStGH direkt zuzuarbeiten. Es könnte
sogar strafbar sein, Inhalte zu veröffentlichen, auf die der Gerichtshof
für seine Arbeit zugreift. Betroffen wären zahlreiche bekannte
Organisationen, deren Publikationen wichtige Recherchearchive zur
Menschenrechtslage bereitstellen, wie etwa B’Tselem oder Breaking the
Silence. „Nicht zu wissen, für welche Veröffentlichungen wir künftig ins
Gefängnis kommen könnten, würde unsere Arbeit extrem einschränken“, sagt
Birte Brodkorb von der NGO PCATI (Public Committee Against Torture in
Israel) am Telefon. Die Organisation prangert seit Jahren systematische
Misshandlungen von Palästinensern in israelischer Gefangenschaft an.
In Israel herrsche bei diesem Thema de facto Straffreiheit. „Seit 2001
wurden rund 1.500 Fälle aus Verhören des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet
angezeigt, mitunter mit glasklarer Beweislage. Es gab nur in drei Fällen
Ermittlungen und keine einzige Anklage“, sagt Brodkorb. Seit dem 7. Oktober
habe sich die Lage drastisch verschärft: „Wir haben kaum mit einem
palästinensischen Sicherheitsgefangenen gesprochen, der seitdem nicht von
Foltererfahrungen berichtet hat.“
Wenige Hundert Meter von der Knesset entfernt liegt der Oberste Gerichtshof
Israels, ein Justizpalast aus Glas und beigem Jerusalemer Sandstein. In der
weiten Wartehalle vor den Gerichtssälen streift sich an einem Morgen Mitte
März Rechtsanwalt Oded Feller die schwarze Gerichtsrobe über. „Der
Gerichtshof ist aus der Arbeit vieler NGOs kaum wegzudenken“, sagt Feller,
während er und seine Mitarbeiter von ACRI auf eine Anhörung zu Racial
Profiling der israelischen Polizei warten. Diese Tatsache hätten auch
rechte Aktivisten in den vergangenen Jahren verstanden und seien immer
häufiger und organisierter zu Anhörungen erschienen.
„Erst war es eine Person, dann zunehmend Gruppen, die uns filmten,
bedrängten, anschrien“, sagt Feller, der seit 25 Jahren als
Menschenrechtsanwalt arbeitet. Besonders im Fokus: Fälle, bei denen es um
Palästinenser ging. Etwa bei den routinemäßigen Zerstörungen der Häuser von
Angehörigen palästinensischer Attentäter oder Hilfslieferungen in den
Gazastreifen. Ha-Moked, eine auf die juristische Vertretung von
Palästinensern spezialisierte NGO, hatte zwischenzeitlich aus Sorge vor
Übergriffen eine private Sicherheitsfirma engagiert. Mehrere Aktivisten
berichten von der Veröffentlichung von Privatadressen und Fotos in
rechtsreligiösen Chat-Gruppen.
Das Vertrauen vieler NGO-Mitarbeiter durch die Polizei geschützt zu werden,
nimmt seit dem Amtsantritt des rechtsextremen Polizeiministers Itamar
Ben-Gvir stetig ab. „Wer soll uns schützen, wenn der Polizeichef und immer
mehr Kommandeure selbst loyal zu einem rechtsreligiösen Siedler sind?“,
fragt Fellers Kollegin Sivan Tahel, zuständig bei ACRI für Polizeigewalt.
Die Disziplin habe ab-, die Gewalt durch Beamte zugenommen. Auf ihrem
Telefon zeigt sie ein Video eines Polizisten bei einer Demonstration in Tel
Aviv im März 2023. Ohne Vorwarnung schleudert der Mann eine Schockgranate
in die zu diesem Zeitpunkt friedliche Menge der Demonstranten. „Dabei
wurden Menschen verletzt, doch statt diesen Beamten zu belangen, wurde er
seitdem mit Ben-Gvirs Unterstützung befördert und die Regeln für den
Einsatz solcher Granaten gelockert“, sagt Tahel.
Der Druck auf die Gerichte und die Besetzung vakanter Stellen mit politisch
rechts gesinnten Richtern sei spürbar, sagt Feller. Die Gerichte würden
bereits jetzt weniger Fälle annehmen, besonders wenn es um den Umgang von
Behörden mit Palästinensern ginge. „Wir können uns ausmalen, wie viel
Gewicht der Oberste Gerichtshof künftig noch für den Schutz von NGOs in die
Waage werfen kann und will, wenn er um sein eigenes Überleben kämpft.“
Jüdisch-israelische Organisationen geraten damit zunehmend unter einen
Druck, dem palästinensische Menschenrechtler bereits seit Langem ausgesetzt
sind. Googelt man etwa den palästinensischen Anwalt Amal Oraby auf
Hebräisch, stößt man als erstes auf eine rechte Hetzkampagne. „Mein Vater
hat mich neulich angerufen und gefragt: Was hast du getan? Sie reden über
dich in der Knesset!“, sagt er am Telefon.
Oraby schreibt als Kolumnist für hebräische und arabische Zeitungen, hat
lange Palästinenser aus Ostjerusalem gegen die Räumung aus ihren Häusern
verteidigt und arbeitet heute für die israelische Organisation New Israel
Fund als Kommunikationsdirektor. Vergangenen Juli hatte die israelische
Anwaltskammer ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet, weil ein
rechter Aktivist Beschwerde eingereicht hatte. Oraby hatte die
palästinensischen Gefangenen in Israel „Geiseln“ genannt und den
rechtsextremen Minister Itamar Ben-Gvir, als „Unterstützer des Terrors“
bezeichnet. Die Lizenz durfte er behalten, fürs Erste.
„Jeden Tag werden faschistische Ansichten in den Medien normaler“, sagt
Oraby. „Wir sind zwei Millionen Palästinenser in Israel, die nach der Nakba
1948 in unserem Land geblieben sind. Es gibt heute mehr als 60 Gesetze, die
uns diskriminieren.“ Schon 2021 unter dem damaligen Verteidigungsminister
Benny Gantz, der sich heute als Oppositionsführer als Gegenpol zu Netanjahu
präsentiert, wurden sechs palästinensische zivilgesellschaftliche NGOs als
„Terrororganisationen“ deklariert, darunter Al Hak und der Häftlingsverband
Addameer.
Orabi, der als Palästinenser an der Uni, vor Gericht oder im Ministerium
oft der einzige Araber im Raum sei, lacht viel während er erzählt. Eine
lustige Geschichte sei meist effektiver als ein 100-seitiger Bericht. „Wir
werden oft ausschließlich als Terroristen beschrieben. Humor ist meine
Verteidigung gegen unsere Entmenschlichung.“ Etwa, wenn er sich als
Journalist „Experte für die jüdische Gesellschaft“ nennt – entsprechend…
Experten für arabische Angelegenheiten, die es bei vielen hebräischen
Medien gibt.
Seinen Humor braucht auch Ahmed Muna im Educational Bookshop in
Ostjerusalem zunehmend. Zum zweiten Mal in gut einem Monat stand Anfang
März ein Dutzend Polizisten vor der Tür der bei Palästinensern wie
jüdischen Israelis beliebten Buchhandlung in der Salah-al-Din-Straße.
„Jetzt wurden schon mein Vater und mein Onkel und ich festgenommen, ich
wette darauf, dass sie nächstes Mal Onkel Murad mitnehmen“, sagt der
33-Jährige mit grauen Locken und Karohemd an der Theke des
Familiengeschäfts mit einem Augenzwinkern.
Die Durchsuchungen hätten angesichts der alltäglichen Razzien im
Westjordanland wohl kaum für Aufsehen gesorgt, wäre der Laden der
Buchhändlerfamilie Muna nicht ein wichtiger Anlaufpunkt für
jüdisch-palästinensischen Dialog in Jerusalem, gleichermaßen besucht von
Diplomaten, Politikern und Aktivisten. Die Verhaftungen zogen einen
internationalen Aufschrei nach sich.
Anfang April ist von den Durchsuchungen nichts mehr zu sehen. Im Regal
stehen Bücher von Edward Said neben Amos Oz, zwei der bekanntesten
palästinensischen und israelischen Schriftsteller. Dafür ist der Laden
jetzt voller als zuvor. „Wir sind wegen der Festnahmen hier, um euch zu
unterstützen“, sagt einer von zwei jungen jüdischen Israelis, als er zwei
Bücher bezahlt. „Danke, das hilft uns“, sagt Muna. Die entstandenen
Prozesskosten seien allerdings fast genauso hoch wie die zusätzlichen
Einnahmen durch die Solidaritätsbesuche.
Beim zweiten Mal habe für eine Durchsuchung gereicht, dass ein rechter
Aktivist sie bei der Polizeistation um die Ecke angeschwärzt habe. „Das
bedrückt mich persönlich am meisten, dass sie nicht einmal mehr einen
Durchsuchungsbefehl eingeholt haben“, sagt Muna. Damit setzten sich die
Beamten auch über eine ausdrückliche Warnung der israelischen
Staatsanwaltschaft hinweg. Demnach habe die Polizei bereits bei der Razzia
am 9. Februar ihre Kompetenzen überschritten.
Wenn er von den Haftbedingungen erzählt, wird Muna noch immer gereizt: Von
einem Moment auf den anderen seien er und sein Onkel mit Handschellen in
Gefängniszellen gebracht worden. „Vier auf vier Meter, zehn Leute, Betten
aus Beton und kein Fenster – weil wir Bücher verkaufen.“ Dabei seien Büch…
ein Weg für Veränderung und neue Ideen. Ausgerechnet im jüdischen Staat mit
seiner Geschichte müssten doch Bücher und Autoren einen besonderen Schutz
haben. „Sie haben uns die Störung der öffentlichen Ordnung vorgeworfen.“
Für Muna ist das ein weiterer Schritt, der den Raum für öffentliche
Debatten in Israel verengt.
Südlich von Jerusalem muss der Bus von Breaking the Silence Ende Februar
auf einem Parkplatz vor dem Checkpoint Turkumija, dem Übergang ins
Westjordanland, stoppen. Kaum sind die zwei Dutzend Teilnehmer
ausgestiegen, fahren ein gepanzerter Militärjeep und ein Pick-up vor, aus
dem etwa zehn schwer bewaffnete Soldaten springen. Ziv bleibt ruhig, er
kennt die Prozedur. Auch die Soldaten ziehen sich nach einem kurzen
Gespräch zu ihren Fahrzeugen zurück. „Wir sprechen jede Tour vorab mit der
Armee ab, sie wussten, dass wir kommen“, erklärte Ziv einigen nervös
blickenden Teilnehmern. Wenig später klingelt sein Telefon. „Die Armee hat
die Siedlung Kirjat Arba und Hebron für heute zum Sperrgebiet erklärt“,
verkündet er der Gruppe. „Wir müssen umdrehen.“
Solche Verbote habe es auch früher gegeben, doch zuletzt hätten sie wieder
zugenommen. Im Westjordanland schreite unter dem Siedler und Finanzminister
Bezalel Smotrich eine „De-facto-Annexion“ voran, so Ziv. Neugierige Augen
seien unerwünscht. Ob er nicht die Hoffnung verliere, dass dieser Konflikt
nie enden würde, fragt eine der Teilnehmerinnen aus dem Ausland. Ziv
erzählt vom Good Friday Agreement in Nordirland, das mit überraschendem
Erfolg eine ebenfalls scheinbar endlose Gewaltspirale beendete. Doch auch
für ihn gibt es eine Grenze: „Ich habe noch 14 Jahre Zeit, damit meine
heute dreijährige Tochter nicht mehr als Soldatin zur Armee muss.“
Mitarbeit: Hanna Israel
22 Apr 2025
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Felix Wellisch
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als „Geiseln“.
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