| # taz.de -- Zementwerk will klimaneutral produzieren: Ob das geht? | |
| > Ein Zementwerk in Schleswig-Holstein will klimaneutral produzieren. | |
| > Umweltverbände warnen, der Energie- und Wasserverbrauch vervielfache sich | |
| > dann. | |
| Bild: Das Zementwerk in Lägerdorf würde künftig gerne klimaneutral produzier… | |
| Hamburg taz | Bislang gelangen jährlich über eine Million Tonnen CO₂ aus | |
| dem Zementwerk im schleswig-holsteinischen Lägerdorf in die Atmosphäre. Das | |
| soll sich künftig ändern: Der schweizerische Baustoffproduzent Holcim | |
| möchte sein Werk bis 2028 zu einer der weltweit ersten CO₂-neutralen | |
| Produktionsstätten umwandeln. | |
| Zum [1][ersten Spatenstich] reiste eigens Bundeswirtschaftsminister Robert | |
| Habeck (Grüne) an – dabei ist das Projekt bei Umweltverbänden durchaus | |
| umstritten. Denn durch die neue Anlage wird der Wasser- und | |
| Energieverbrauch des Zementwerks deutlich steigen. Für BUND-Experte Lothar | |
| Wittorf „lenkt die Spatenstich-Feier nur von massiven Umweltproblemen ab“. | |
| Die Zementindustrie ist mit weltweit 8 Prozent der [2][CO₂-Emissionen] eine | |
| der [3][klimaschädlichsten Industriebranchen], kein Wunder also, dass | |
| Bundeswirtschaftsminister Habeck von einem „Musterbeispiel für die grüne | |
| Transformation“ sprach. Holcim möchte die CO₂-Neutralitätmit dem Einsatz | |
| eines neuen Ofenprototyps bei der Zementproduktion erreichen. Die Kosten | |
| werden auf 500 bis 600 Millionen veranschlagt, die EU übernimmt 109,6 | |
| Millionen Euro. | |
| Bislang wird der Drehofen im Werk Lägerdorf mit Umgebungsluft erhitzt, um | |
| aus Kreide Zement zu produzieren. Die Krux daran ist: Während der | |
| Herstellung werden große Mengen an unreinem CO₂ und anderen Gasen frei, die | |
| die Umwelt belasten. Der neue „Ofen 12“ soll mit reinem Sauerstoff | |
| betrieben werden, sodass während der Zementproduktion sehr reines CO₂ | |
| entsteht, das dann abgeschieden, aufbereitet und schließlich in der | |
| Industrie als Rohstoff weiterverwendet werden kann. „Damit werden die rund | |
| 1,2 Millionen Tonnen CO₂, die heute jährlich in Lägerdorf emittiert werden, | |
| in Zukunft nicht mehr in die Atmosphäre entweichen“, erklärt Sven Weidner, | |
| Leiter des Projekts in Lägerdorf. | |
| Doch Umweltschützer*innen weisen immer wieder darauf hin, dass der | |
| Innovation auch einige Belastungen für die Umwelt gegenüberstünden: „Es | |
| wäre ein großer Fortschritt, wenn die Zementproduktion frei von Emissionen | |
| sein würde“, sagt Marc Ehlers, der Vorstand der Bürgerinitiative BIAD. „Es | |
| sind die Randerscheinungen, die uns zu schaffen machen. Wenn beispielsweise | |
| geklärt ist, wo das CO₂ landet und wie hoch der Wasser- und Stromverbrauch | |
| ist, sind wir offen für den Ofen 12.“ | |
| Ein zentrales Problem beim Umbau ist nämlich, dass die neue Technologie den | |
| Gesamtenergiebedarf des Zementwerks verdreifacht. Zwar wird der Strom | |
| größtenteils aus Offshore-Windkraft gewonnen und ist damit grün, doch um | |
| den steigenden Energiebedarf decken zu können, möchte Holcim den | |
| bestehenden Windpark um sechs Anlagen erweitern. Dafür müsste dann wiederum | |
| Landschaftsfläche weichen. | |
| Auch der Kühlwasserbedarf wird sich um das 15-Fache erhöhen. Woher das | |
| Wasser kommen soll, ist derzeit offen. Der BUND kritisiert weiter, dass der | |
| geplante Kreideabbau, mit dem Holcim seine Rohstoffversorgung für die | |
| nächsten 100 Jahre sichern wolle, Wald und Wiesen auf ehemaligen Moorböden | |
| vernichtet. Der BUND fordert daher klimawirksame Ausgleichsmaßnahmen. | |
| Aber auch der Kreideabbau selbst belastet die Umwelt und die umliegenden | |
| Gewässer in Lägerdorf stark: Unterhalb der Kreide liegt ein Salzstock, der | |
| mit zunehmender Abbautiefe den Salzgehalt in der Kreide und im Grubenwasser | |
| erhöht. Das salzhaltige Wasser wurde bislang über einen Kanal abgeleitet. | |
| In Zukunft soll das Wasser auf direktem Wege in die benachbarte Stör | |
| gelangen. Nach dem massenhaften [4][Fischsterben in der Oder] ist die Sorge | |
| groß, dass dadurch das ökologische Gleichgewicht des Flusses [5][bedroht | |
| wird.] | |
| „Wir wehren uns dagegen, dass nach unseren Berechnungen zukünftig knapp | |
| 8.000 Tonnen Salz in die Stör geleitet werden sollen“, erklärt Ehlers von | |
| der Bürgerinitiative BIAD. „Deswegen klagen wir auch vor dem | |
| Verwaltungsgericht.“ Sollte die Initiative vor Gericht recht bekommen, | |
| hätte Holcim in Zukunft große Schwierigkeiten, die Zementproduktion | |
| fortzuführen – denn ohne Entsalzungsanlage ist der Kreideabbau nicht | |
| möglich. Das Projekt des Zementwerks als klimaneutral zu bezeichnen, hält | |
| Ole Eggers vom BUND daher auch für einen „Etikettenschwindel.“ | |
| Dass in Lägerdorf echte Klimaneutralität kein unmittelbar bevorstehendes | |
| Szenario ist, bestätigte auch der schleswig-holsteinische Ministerpräsident | |
| Daniel Günther (CDU). „Wir werden natürlich auf CO₂auch in Zukunft nicht | |
| verzichten können“, sagte er. Ebenso könne nicht jeder | |
| CO₂-Ausstoßverhindert werden. | |
| Daher plädierte er neben der Speicherung von Kohlenstoffdioxid auch für die | |
| weitere Nutzung des Klimagases. Um das CO₂, welches auch im Werk von Holcim | |
| abgeschieden werden soll, weiter nutzen zu können, brauche es jedoch eine | |
| vernünftige Infrastruktur und da stünden noch einige Aufgaben vor Land und | |
| Bund. | |
| Für Marc Ehlers von BIAD gehen die zu erledigenden Aufgaben noch weiter: | |
| „Bisher liegt noch nicht mal eine Baugenehmigung vor – nach unseren | |
| Einschätzungen soll durch den Spatenstich das Commitment der Politik | |
| erzwungen werden.“ | |
| 23 Apr 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sarah Lasyan | |
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