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# taz.de -- Auf dem Weg zur Klimaneutralität: Hintertür für Klimasünder
> Die Grünen-Fraktion in Schleswig-Holstein will unter restriktiven
> Bedingungen das Abscheiden und Speichern von CO2 zulassen. Kritiker
> werfen Greenwashing vor.
Bild: Bitte nicht hier und auch nicht anderswo: Protest gegen CO2-Deponierung
Hamburg taz | Dass die schleswig-holsteinischen Grünen in engen Grenzen nun
doch die [1][Abscheidung und Speicherung von CO2 (]CCS) befürworten, stößt
im Land auf Kritik. Die [2][Bürgerinitiative gegen CO2-Endl]ager warf der
grünen Landtagsfraktion und Umweltminister Tobias Goldschmidt vor, „Politik
gegen die Bürger und die Natur“ zu machen. Deren Neupositionierung berge
die Gefahr, den Klimaschutz zu torpedieren, warnt Reinhard Knof von der
Initiative.
Knof macht sich Sorgen, dass das grüne Positionspapier nicht beabsichtigte
Folgen haben könnte, indem es die Tür für „blauen Wasserstoff“ öffnet.
Wasserstoff gilt als der Energieträger einer CO2-neutralen und damit
klimafreundlichen Zukunft. Im Gegensatz zu „grünem Wasserstoff“, der mit
erneuerbarer Energie erzeugt wird, entsteht blauer Wasserstoff aus Erdgas,
wobei das CO2 abgeschieden und dauerhaft unterirdisch gelagert wird.
Dieses [3][CCS-(Carbon-Capture-and-Storage-)]Verfahren ist umstritten. Zum
einen ist es energieaufwendig und teuer. Zum anderen erfordert es, auf
Tausende von Jahren hinaus dichte Speicherstätten zu finden, die überwacht
werden müssen und für die eine Haftung gewährleistet werden muss.
„CCS ist Greenwashing“, warnt Knof. Werde es zugelassen, drohe es die
Energieproduktion aus fossilen Brennstoffen – wie Erdgas – zu verlängern,
weil diese ja dann als klimaneutral gelabelt werden könnten. Der Umstieg
auf grünen Wasserstoff aus erneuerbarer Energie werde gebremst – ein Fest
für die fossilen Energiekonzerne.
## Grüne wollen „unvermeidbare Emissionen“ definieren
Nun versuchen die schleswig-holsteinischen Grünen, ein solches Greenwashing
explizit zu vermeiden. Der schwarz-grüne Koalitionsvertrag sieht vor,
Schleswig-Holstein bis 2040 zum ersten klimaneutralen Industrieland zu
entwickeln, heißt es in dem Papier. Allerdings würden selbst bei einer sehr
schnellen und starken Verringerung des Treibhausgasausstoßes etwa fünf
Prozent Emissionen übrig bleiben, die aus heutiger Sicht nicht vermieden
werden können, etwa in der Zementindustrie oder der Müllverbrennung.
„Diese unvermeidbaren Restemissionen müssen durch CO2-Senken ausgeglichen
werden“, schreiben die Grünen. Dabei sei in erster Linie an natürliche
CO2-Speicher zu denken wie Wälder, Moore und Seegraswiesen. „Eine mögliche
zusätzliche Option“ sei aber auch CCS. „[4][Fast jede Studie bezieht CCS
ein, um die Klimaziele zu erreichen“, sagte der Grünen-Fraktionschef Lasse
Petersdotter im taz-Interview].
In ihrem Papier fordern die Fraktion und der Minister eine
rechtsverbindliche Definition für „unvermeidbare Emissionen“. Damit könne
verhindert werden, „dass die Nutzung fossiler Energieträger wie z. B.
Erdgas/LNG verlängert wird, um vermeintlich ‚CO2-neutrales‘ Erdgas oder
[5][‚CO2-neutralen‘ blauen Wasserstoff] zu produzieren“.
Knof hält das für blauäugig. Um das CO2 von dort, wo es anfällt, zu den
Speichern zu transportieren, sei ein Pipelinenetz notwendig. Dieses
wiederum werde sich nur rentieren, wenn es für große Mengen CO2 aus der
Erzeugung blauen Wasserstoffs geöffnet werde.
## Kritiker wirft Grünen Blauäugigkeit vor
Steffi Ober, Teamleiterin Ökonomie und Forschungspolitik beim
Naturschutzbund (Nabu), widerspricht. Sie glaubt, dass schon das CO2 aus
unvermeidbaren Emissionen ein Pipelinenetz rechtfertigen würde. Das Netz
dürfe aber nicht zu groß dimensioniert werden, um keine falschen Anreize zu
setzen.
[6][Die EU-Kommission plant jedenfalls ein CO2-Transportnetz über den
ganzen Kontinent], um CO2 von den Quellen zu den Speicherstätten,
insbesondere unter die Nordsee zu pumpen. Dieses Netz soll Emittenten
diskriminierungsfreien Zugang gewähren. In den Augen Knofs lädt eine solche
Infrastruktur dazu ein, CCS im großen Stil und eben nicht nur in
unvermeidbaren Restfällen zur Dekarbonisierung zu nutzen. „Wir kriegen die
nie wieder weg“, warnt er.
## CCS kann Versäumnisse nicht kaschieren
Demgegenüber vertritt der Nabu eine resigniert-pragmatische Haltung. Einer
[7][Studie des Umweltbundesamtes (UBA)] zufolge würden natürliche Senken
reichen, um Deutschland klimaneutral zu machen – sofern drastische
CO2-Minderungsmaßnahmen umgesetzt würden. „Genau dieser
[8][Suffizienz-Ansatz lässt sich jedoch nicht beobachten“, stellt der Nabu
fest]. An CCS für Restmengen führe deshalb kein Weg vorbei, um eine
Erderwärmung von mehr als 1,5 Grad zu verhindern.
Die mit CCS verbundenen Hoffnungen könnten klimapolitische Versäumnisse
nicht kaschieren, stellte das UBA fest und warnt: „Es besteht Gefahr, dass
das Potenzial von CCS erheblich überschätzt, Alternativen vernachlässigt
und dadurch die generationsübergreifenden Herausforderungen im Klimaschutz
unterschätzt werden.“
24 Jan 2024
## LINKS
[1] /CO2-Verpressung-unter-dem-Meer/!5909292
[2] /Umweltverein-darf-nicht-klagen/!5938992
[3] /Kampf-gegen-die-Klimakrise/!5969415
[4] /Gruenen-Fraktionschef-ueber-gruene-Politik/!5984399
[5] https://www.enbw.com/unternehmen/eco-journal/wasserstoff-farben.html
[6] https://climate.ec.europa.eu/eu-action/carbon-capture-use-and-storage/imple…
[7] https://www.umweltbundesamt.de/rescue/kurzfassung
[8] https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/forschungspolitik/32419.html
## AUTOREN
Gernot Knödler
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