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# taz.de -- Zeitschrift „Westend“ zu Gewalt: Familie – der gefährlichste…
> Die Zeitschrift „Westend“ widmet sich aktuell dem Thema „Verschwiegene
> Gewalt“. Wie funktioniert Gewalt und in welchen Kontexten?
Bild: Erst seit 1997 sind sexuelle Nötigung und Vergewaltigung in der Ehe rech…
Die Zeitschrift Westend widmet sich aktuell dem Thema „Verschwiegene
Gewalt“. Den Schwerpunkt haben die beiden Soziologen Thomas Hoebel und
Eddie Hartmann koordiniert. Er umfasst fünf Beiträge über verschiedene
Aspekte der Forschung.
In der sozialwissenschaftlichen Gewaltforschung hat sich in den letzten
beiden Jahrzehnten ein Paradigmenwechsel vollzogen. Neben der Frage nach
dem „Warum“ von Gewalt stellt sich zunehmend jene nach dem „Wie“. Wie
funktioniert Gewalt und in welchen Kontexten? Es sind sich ergänzende
Fragestellungen. Die Einleitung betont, dass es um die Verbindung empirisch
sensibler und zugleich theoretisch ambitionierter Forschung aus einem
„multiperspektivischen Blickwinkel“ geht.
Gewaltvorstellungen bilden sich maßgeblich durch medial vermittelte Bilder
aus. Auch die Gewaltforschung beschäftigt sich vorwiegend mit öffentlich
sichtbaren und somit vor allem physischen Aspekten der Gewalt,
phänomenologisch gesehen mit deren Körperlichkeit und Schmerzhaftigkeit.
Dies verstellt oftmals den analytischen Blick auf die weniger sichtbaren
Kontexte von Gewalt und deren kommunikative Momente.
Soziale Verhältnisse bedürfen der Dekodierung. Hoebel und Hartmann
plädieren dafür, neben sichtbaren Handlungen, Körperhaltungen und
Zeigehaltungen die unsichtbare verbale Kommunikation in die Analyse von
Gewaltgeschehen einzubeziehen.
## Strukturelle Gewalt in der Familie
Wie zentral dieser Aspekt ist, zeigt Ferdinand Sutterlüty in seinem Essay
über „das strukturelle Gewaltpotenzial der Familie“. Erst seit 1997 sind
sexuelle Nötigung und Vergewaltigung in der Ehe und in eheähnlichen
Partnerschaften rechtlich mit Strafe bedroht. Der vorbehaltlose Schutz von
Kindern vor elterlicher Gewalt erfolgte sogar erst drei Jahre später,
obwohl empirisch belegt ist, dass 75 Prozent der Kinder in Familien
körperlicher Gewalt ausgesetzt sind und 38 Prozent „häufiger als selten
körperlich gezüchtigt“ werden.
In Paarbeziehungen unter Erwachsenen haben ein Viertel aller Frauen
zwischen 16 und 85 Jahren körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren und bei
14 Prozent unter ihnen liegt das noch kein Jahr zurück. Für die Gewalt von
Frauen gegen Männer gibt es nur Daten auf empirisch schwacher Grundlage und
Schätzungen, aber es handelt sich bei dieser Gewalt nicht um ein absolut
seltenes Phänomen, sondern eher um ein aus Scham verschwiegenes.
Das Gewaltpotenzial der Familie beruht nach Sutterlüty vor allem auf der
„asymmetrischen Machtkonstellation“, die kulturell und rechtlich tief
verwurzelt ist, sowie auf einer kommunikativ befeuerten Eskalationslogik
von engen und langjährigen Verbindungen. Sutterlütys Befunde sind ebenso
eindeutig wie bedrückend: „Keine andere gesellschaftliche Sphäre“ weist
„eine so starke Gewaltbelastung auf wie die Familie“. Sie ist „der
gefährlichste Ort“ – besonders für Frauen und Kinder.
## Kontroll- und Machtansprüche
Auch der Beitrag von Anne Kersten beschäftigt sich mit „Eigensinnigkeiten
häuslicher Gewalt“ und zeigt, wie stark Gewalthandlungen an
Geschlechtervorstellungen gekoppelt und mit männlichen Kontroll- und
Machtansprüchen verbunden sind, die Margrit Brückner trefflich als „Anrecht
auf zwei Körper“ beschrieben hat. Sabine Andresen berichtet über das
Sprechen und Schweigen über Gewalt sowie den Zusammenhang von Vertrauen und
Gewalt bei dem sehr aktuellen Problem der Aufarbeitung von sexueller Gewalt
gegen Kinder und Jugendliche.
Laura Wolters schließlich behandelt methodische Probleme bei der Analyse
von Gewalt und die Erklärungsmodi für Gewalt. Denn „mit jeder Erklärung von
Gewalt wird gleichzeitig eine Geschichte darüber erzählt, in welcher
Gesellschaft diese Gewalt stattfindet“. Damit verbunden sind immer auch
verbal verschwiegene Kausalannahmen und Verantwortungszuschreibungen, die
kritische Gewaltforschung reflexiv entschlüsseln muss.
30 Jun 2020
## AUTOREN
Rudolf Walther
## TAGS
Elterliche Gewalt
sozialforschung
Familie
Zeitschriften
Männergewalt
Literatur
Lesestück Recherche und Reportage
Gewalt
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