| # taz.de -- Literaturzeitschrift „Feuerstuhl“: Anarchistische Grundierung | |
| > Die dritte Ausgabe der antiautoritären Zeitschrift dreht sich um James | |
| > Joyce. Unter anderem geht es um die Substanz der Spötter im „Ulysses“. | |
| Bild: Der irische Autor James Joyce, 15. Mai 1931 | |
| Egon Günther ist Anarchist. Und er ist Maler und Lyriker, er arbeitet mit | |
| Naturstein, baut Trockenmauern und liebt Stuck. Er ist 1953 in München | |
| geboren und lebt jetzt in Oberbayern. Dort hat er einen „Heimatroman“ | |
| verfasst: In „Bayerische Enziane“ geht es nicht um lustige | |
| Heimatgeschichten, sondern um die Zeit der Räterepublik, des Faschismus und | |
| der Nachkriegszeit. Günthers nicht mehr ganz so neues Projekt ist das | |
| Magazin Feuerstuhl. Das gibt es seit 2015. Soeben ist die dritte Ausgabe | |
| erschienen. | |
| [1][Feuerstuhl] sei eine entschieden antiautoritäre Zeitschrift, ein | |
| befeuerndes Scheit Holz, benannt nach einer mexikanischen Geschichte aus | |
| dem Roman „Regierung“ des geheimnisvollen B. Traven, erklärt Günther: „… | |
| bringt Prosaminiaturen, Zeichnungen, Zoten, Skizzen, surrealistische | |
| Billets, Fotografien, Palimpseste, Polaroids, Poeme, Aphorismen, | |
| Apophtegmata, anarchistische Essays, magische Mantras, nomadische | |
| Manifeste, kaleidoskopartige Ein- und Aussichten, territoriale Erkundungen | |
| & radikale Abschweifungen und hat sogar gelegentlich einen roten oder | |
| schwarzen Faden.“ | |
| Dieser Faden bei der dritten Ausgabe „für Spötter und Feuervögel“ ist der | |
| irische Schriftsteller [2][James Joyce], der selbst ein großer Spötter war. | |
| Das Magazin fängt nach dem Joyce-Gedicht „Dooleysprudenz“ denn auch mit | |
| einem Essay von Detlef Thiel an: „Die Substanz der Spötter im Ulysses“. | |
| Günther schreibt im Vorwort: „In dieser Ausgabe des Feuerstuhls dreht sich | |
| vieles darum, dass die literarischen Pflastertreter Joyce/Bloom/Dedalus | |
| ihren Gang durch den chaotischen Weltalltag wieder aufnehmen, bloß dass | |
| dabei noch schärfer geachtet wird auf die anarchistische Grundierung des | |
| Ganzen...“ | |
| ## Anarchistische Philosophien treffen auf gewaltfreie Ideen | |
| Joyce hat sich selbst zwar nie als Anarchist bezeichnet, sondern als | |
| „sozialistischen Künstler“, wie er 1905 in einem Brief an seinen Bruder | |
| Stanislaus Joyce schrieb. Tudor Balinisteanu meint in seinem Buch „Religion | |
| and Aesthetic Experience in Joyce and Yeats“ aber, dass Joyce als liberaler | |
| Ironiker durchaus mit anarchistischen Philosophien übereinstimme – | |
| allerdings mit den gewaltfreien Ideen von Benjamin Tucker, den Joyce | |
| bewunderte. Neben Tuckers Büchern ließ Joyce in Triest auch Schriften von | |
| Kropotki, Bakunin und Proudhon zurück. | |
| Günther hatte am Anfang festgelegt, dass der Feuerstuhl in strikt | |
| wechselnder Herausgeberschaft fortgeführt werden solle. Diesmal ist | |
| Jürgen Schneider als Herausgeber mit an Bord, und dafür ist er mehr als | |
| qualifiziert. | |
| Der Galerist, Übersetzer und Künstler hat 1990 den Dubliner Verlag | |
| LiterÉire mitgegründet, er hat zwei Jahre lang in Irland gelebt, und er hat | |
| irische Schriftsteller ins Deutsche übersetzt – darunter Seán McGuffin, | |
| Seamus Heaney, Anne Enright. Er hat ein „Irisches Kochbuch“ und nicht | |
| zuletzt „James Joyce in Wiesbaden“veröffentlicht, eine kleine Schrift über | |
| Joyce’ Besuch bei einem dortigen Augenspezialisten. | |
| ## Mit Gedichten von John Giorno, Nanni Balestrini und Steve Dalachinsky | |
| Neben Joyce sind in diesem überaus unterhaltsamen Feuerstuhl auch kürzlich | |
| Verstorbene wie John Giorno, Nanni Balestrini und Steve Dalachinsky mit | |
| Gedichten vertreten – und Tuli Kupferberg, der Mitbegründer der legendären | |
| Fugs, dessen Todestag sich demnächst zum zehnten Mal jährt. | |
| Egon Günther sagte, dass die Werke der oft zu früh verstorbenen Dichter | |
| Funken der Inspiration und der Hoffnung hinterlassen, wie auch B. Travens | |
| Ausführungen über den Feuerstuhl: der Amtssitz, auf dem bei einem | |
| indianischen Volk der Häuptling Platz nimmt. Seine Untergebenen machen ihm | |
| deutlich: Hier sitze er nicht zum Ausruhen, sondern um für das Volk zu | |
| arbeiten. | |
| 7 Jul 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.feuerstuhl.org/ | |
| [2] /Die-Wahrheit/!5600458 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Sotscheck | |
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