# taz.de -- Wowereits Outing vor 20 Jahren: Gut so – bis heute! | |
> Aus Sorge, im Wahlkampf würde seine Homosexualität zum Thema, sagte | |
> Wowereit seinen berühmten Satz. Es war ein Signal zum Aufbruch, auch für | |
> Berlin. | |
Bild: Hier wird ersichtlich: Der Satz war auch eine Anspielung auf das damalige… | |
BERLIN taz | Was Klaus Wowereit an diesem 10. Juni 2001 verkündet, hielten | |
nicht wenige Beobachter*innen für einen politischen Suizid erster | |
Güte. Homosexualität war trotz Hunderttausender Menschen auf dem und am CSD | |
längst noch kein Thema für Castingshows im Privat-TV. Und wer von der | |
Hetero-Norm abwich und als Politiker*in gewählt werden wollte, | |
thematisierte dies möglichst nicht. | |
Wowereit macht das Gegenteil: „Ich bin schwul – und das ist auch gut so“, | |
erklärt er in seiner Rede auf dem Sonderparteitag der Berliner SPD. Der | |
zweite Teil dieses Satzes wurde, angepasst auf alle möglichen Dinge, bald | |
sprichwörtlich. Der erste Teil verschaffte Wowereit seinen Platz in den | |
Geschichtsbüchern. | |
Der damals 47-Jährige outete sich in einer besonderen Situation: Kurz zuvor | |
hatte die SPD die große Koalition unter dem CDU-Bürgermeister Eberhard | |
Diepgen wegen des Berliner Bankenskandals platzen lassen; in wenigen Tagen | |
sollte Wowereit – so der Plan – von SPD, Grünen und Linken zu Diepgens | |
Nachfolger gewählt werden. | |
Auf dem SPD-Parteitag am 10. Juni stand die offizielle Kür Wowereits zum | |
Spitzenkandidaten an. Für seinen Satz erhielt der bisherige | |
SPD-Fraktionschef donnernden Applaus; er wurde gewählt und damit auf einen | |
Schlag zudem weltbekannt. Die taz schrieb damals: „Bis Sonntag kurz vor | |
fünf Uhr nachmittags war der Mann ein No-Name-Produkt. Selbst in Berlin | |
kannte man Klaus Wowereit nur in der politischen Elite.“ Schneller hatte | |
sich bisher kaum ein Kandidat für ein politisches Amt bekannt gemacht. | |
## Aus dem Bauch heraus | |
„Es kam aus dem Bauch“, verriet Wowereit im Herbst [1][im taz-Gespräch mit | |
Eberhard Diepgen]. „Die Wortwahl war spontan.“ Aber es habe eine | |
Vorgeschichte gegeben, so Wowereit weiter. Nachdem er sich bereits im | |
SPD-Landesvorstand geoutet hatte, hätten ihm alle abgeraten, das auch auf | |
dem Parteitag zu tun. „Es wussten zwar viele Journalisten, aber es war kein | |
öffentliches Thema. Mir war aber klar, dass es das im Wahlkampf werden | |
würde.“ | |
Gegen die im Korruptionssumpf versunkene CDU gewann der SPD-Spitzenkandidat | |
die Neuwahlen im Oktober klar. Erstmals seit 30 Jahren wurden die | |
Sozialdemokraten mit fast 30 Prozent stärkste Kraft. Und Wowereit setzte | |
weiter auf Risiko: Er bildete mit der PDS, heute Linkspartei, eine | |
Koalition: auch das ein Tabubruch. | |
## Dann kam „Arm, aber sexy“ | |
Wowereit regierte Berlin bis 2011 in einer rot-roten Koalition. Es waren | |
Zeiten des Aufbruchs. Die Stadt, gebeutelt von hoher Arbeitslosigkeit und | |
klammen Kassen, musste dramatisch sparen. Doch so lange die Mieten und | |
damit das Leben noch billig waren, galt immerhin das zweite Wowereitsche | |
Sprichwort, das es in die Geschichtsbücher geschafft hat: „Arm, aber sexy“, | |
sei Berlin, so der Regierende 2003. | |
Dieser Slogan lockte viele Menschen aus aller Welt an die Spree. Doch die | |
grundlegende Botschaft war Wowereits erster Spruch gewesen: Eine Stadt, in | |
der ein offen schwuler Politiker souverän Bürgermeister werden konnte, | |
konnte nicht schlecht sein. „In der öffentlichen Wahrnehmung war der Satz | |
damit verbunden, dass Berlin sich öffnet, attraktiver wird, | |
internationaler. Für die Anziehungskraft Berlins war der Satz wichtig“, | |
gestand Amtsvorgänger Diepgen im taz-Gespräch ein. | |
Der heutige Kultursenator und Linksparteipolitiker Klaus Lederer, ebenfalls | |
seit vielen Jahren offen schwul lebend, würdigt seinen Namensvetter. Es sei | |
heute kaum noch vorstellbar, was Wowereits Satz vor 20 Jahren ausgelöst | |
habe. „Er sorgte dafür, dass Verklemmtes, Verschämtes, Verstecktes in der | |
Mehrheitsgesellschaft aufgebrochen wurde und das öffentliche Klima sich | |
änderte.“ Dennoch gebe es heute noch immer täglich Übergriffe, erlebte | |
Ausgrenzung und Diskriminierung. | |
Ab 2011 verließ Wowereit allerdings der politische Mut und das Gespür für | |
die drängenden Probleme der Stadt. Er ging erneut eine Koalition mit der | |
noch nicht wieder regierungsbereiten CDU ein. Nach mehreren abgesagten | |
Eröffnungen des Flughafens BER trat er Ende 2014 ab. Heute mache er | |
„nichts“, wie er gegenüber der taz bekannte. Seine Sätze aber, die bleibe… | |
9 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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