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# taz.de -- Wohnungspolitik in Potsdam: Eine Ruine als Symbol
> Potsdam wächst, Mieten steigen. Das heizt den Streit um die
> Stadtentwicklung an. Soll die Stadt eigene Grundstücke weiterhin teuer
> verkaufen?
Bild: Wir derzeit abgerissen: die einstige Fachhochschule, eine der letzten öf…
Auf den ersten Blick wirkt der Gegenstand der Debatte unscheinbar: Das
Terassenrestaurant Minsk am Potsdamer Brauhausberg steht seit Jahren leer
und ist verfallen. Für Diskussionen in der Stadt sorgt nun ein Antrag auf
Abriss: Zwar wurde die Entscheidung auf Juni vertagt. Doch alle Beteiligten
wissen: Es geht hier um mehr als ein altes Haus, das vielleicht denkmalwert
wäre. Es geht um die Ausrichtung der Potsdamer Boden- und Baupolitik.
Während Berlin bereits wieder Grundstücke zurückkauft, werden in Potsdam
weiterhin städtische Flächen privatisiert. Zwar existiert seit 2015 ein
wohnungspolitisches Konzept, das unter anderem langfristige Bezahlbarkeit
und projektbezogene Vergabe von Grundstücken fördern soll. Doch „dem fühlt
sich niemand verpflichtet“, erklärt Holger Zschoge.
Zschoge ist in Potsdam für sein zivilgesellschaftliches Engagement bekannt:
Im vergangenen Jahr erarbeitete er mit der Bürgerinitiative „Stadtmitte für
Alle“ ein Kaufangebot für die Fachhochschule am Alten Markt, um den
ostmodernen Bau als „Haus der Stadtgesellschaft“ zu erhalten. Nachdem die
Stadtverordnetenversammlung ein Bürgerbegehren gegen die Privatisierung des
Grundstücks als „rechtlich unzulässig“ abgelehnt hatte, war dieses Angebot
ein letzter Versuch, für ein „Recht auf Stadt“ in der Potsdamer Mitte
einzutreten. Er scheiterte: Die Fachhochschule soll bis Herbst verschwunden
sein.
Immerhin: In den nun geplanten Neubauten soll ein großer Anteil der
Wohnungen im Preis unter dem dortigen Mietspiegel liegen; die Hälfte des
Quartiers wird von Genossenschaften gebaut. Das wertet die Initiative als
Teilerfolg. Der Verkauf der Grundstücke konnte allerdings nicht gestoppt
werden. Angesichts der hier entstehenden Eigentums- und Verwaltungsmodelle
bleibt die Frage: Werden die Wohnungen auch langfristig bezahlbar bleiben?
Holger Zschoge berät auch Hausgruppen, die sich für eine Selbstorganisation
nach dem Prinzip des Mietshäusersyndikats interessieren. Die Geschichte des
Vereins „Mieteschön“ am Brauhausberg zeigt allerdings, wie schwer es solche
Initiativen in Potsdam haben: Eigentümerin der dortigen Häuser ist mit der
ProPotsdam ein stadteigener Unternehmensverbund, der seit 2006 auch die
Wohnungsbestände der ehemals gemeinnützigen Wohn- und Baugesellschaft
Gewoba innehat. Trotz eines fast dreijährigen Dialogverfahrens wurden die
Sanierung und Anbringung teurer Balkone gegen den Willen der Mieter
durchgesetzt und Verhandlungen mit dem Mietshäusersyndikat abgelehnt.
Für Zschoge ist klar, dass die ProPotsdam ihren Immobilienbestand aufwerten
will und dabei bereits die zukünftige Entwicklung am heutigen Standort des
Minsk einkalkuliert: Die Neubauten dort würden den Mietspiegel am
Brauhausberg deutlich anheben, wenn die Stadt die Flächen, wie geplant, an
den meistbietenden Investor verkauft.
Während zum Thema Fachhochschule noch relative Einigkeit in der
Stadtverordnetenversammlung herrschte, ist die Stimmung im Fall Minsk
gespalten. Dank des Standorts am Brauhausberg steht dessen Erhalt in keinem
Konflikt zur kompromisslos umgesetzten barocken Stadtrekonstruktion. Sogar
die Bürgerinitiative Mitteschön erkennt die baukulturellen Qualitäten des
Minsk an. Die Grünen, die für das Engagement gegen die Privatisierung des
Grundstücks der Fachhochschule noch wenig Verständnis zeigten, fordern für
den Brauhausberg nun zumindest eine verpflichtende Begrenzung der Mieten
auf maximal 12 Euro pro Quadratmeter.
Auch Lutz Boede von der Wähler*inneninitiative „Die Andere“ will das
Vergabeverfahren noch einmal neu angehen: Es müsse sich nach den
Bedürfnissen der Stadtgesellschaft richten, hochpreisiger Wohnungsbau dürfe
nicht die soziale Infrastruktur verdrängen, sagt er.
Was ist damit gemeint? Die vielfältige Potsdamer Stadtgesellschaft braucht
vielfältige Orte, die den Dialog fördern zwischen Arm und Reich, Jung und
Alt, ehemals Ost und West; die für alle zugänglich sind, nicht nur
räumlich, sondern auch kulturell. Auch weil die meisten öffentlichen Bauten
aus DDR-Zeiten bereits verschwunden sind, nehmen viele Potsdamer das Minsk
als identitätsbildend wahr: In den Siebzigerjahren von Architekten um
Karl-Heinz Birkholz entworfen und von Künstlern aus dem weißrussischen
Minsk individuell ausgestattet, ist das Terassenrestaurant nach langem
Leerstand heruntergekommen.
Matthias Finken, Fraktionschef der CDU, schreibt auf Facebook: „Wie sollen
die Potsdamer im ländlichen Raum“ die Forderung nach dem Erhalt des Minsk
„verstehen“? Seine Argumentation: Während dringend in Schulen und Kitas
investiert werden müsse, drohe die Stadt mit dem Verkauf der Grundstücke am
Brauhausberg auf Einnahmen von bis zu 27 Millionen Euro zu verzichten.
Umgekehrt hatte er das Vorhaben der Stadt befürwortet, das private Hotel
Mercure zu kaufen, um den DDR-Bau zugunsten einer „Wiese des Volkes“
abreißen zu können. Vor zwei Jahren war außerdem das Angebot, im Minsk eine
Kita einzurichten, angeblich wegen „mangelnden Bedarfs“ abgelehnt worden.
## Investoren sollen’s richten
CDU und auch die SPD, die den Oberbürgermeister stellt, scheinen überzeugt
zu sein, dass die „ländlichen“ Potsdamer immer noch glauben, der Verkauf
städtischer Grundstücke an meistbietende Investoren würde die Probleme der
wachsenden Stadt lösen, während bezahlbarer Wohnraum und soziale
Infrastruktur knapp werden.
Zwei Bieter wollen das Minsk erhalten. Doch deren Konzepte sind keine
Alternativen, weil sie aufgrund der Vorgaben der Ausschreibung keine
öffentliche Nutzung des Minsk vorschlagen können. Neben einem Investor hat
auch die Initiative „(re)vive Minsk“ ein Gebot abgegeben, um auf die
Bedeutung des Minsk als öffentlicher Ort hinzuweisen.
Am Brauhausberg ist die Frage nach dem Erhalt eines DDR-Baus wieder mit der
Frage nach dem Recht auf Stadt verbunden: Mit einer öffentlichen Nutzung
des Minsk könnte soziale Infrastruktur geschaffen und zugleich
baukulturelle Vielfalt erhalten werden. Eine gemeinwohlorientierte
Neukonzeption der Ausschreibung könnte die bisherige Privatisierungspolitik
ablösen, sodass sich der Erhalt mit der Schaffung langfristig bezahlbaren
Wohnraums kombinieren ließe.
4 May 2018
## AUTOREN
Dina Dorothea Falbe
## TAGS
Stadtentwicklung
Potsdam
Abriss
Wohnungspolitik
Gentrifizierung
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