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# taz.de -- Wohnprojekte in der Schweiz: Neustart für die zersplitterte Stadt
> Wohnen und arbeiten nach dem Gedanken der Gemeinwirtschaft – in der
> Schweiz hat sich eine neue Genossenschaftsbewegung entwickelt.
Bild: Der Hof der Kalkbreite, unter den Bäumen die Trams.
BERLIN taz | Was hat die Schweiz, was viele andere nicht haben? Sie hat
wirklich existierende, große Wohnprojekte nach dem Gedanken der Commons,
der Gemeinwirtschaft. Sie sind sozial durchmischt, weil sie preiswert
gebaut sind und dabei viel umweltfreundlicher als der Durchschnitt. Und das
trotz – oder vielmehr gerade wegen – einer Lage mitten in der Stadt.
Ein erstes Pilotprojekt wurde schon 2001 bezogen, das Kraftwerk 1 in
Zürich-West. Es hat sich in Zürich, aber auch in Luzern und Genf, eine neue
Genossenschaftsbewegung entwickelt. Bauprojekte für gemeinschaftliches
Wohnen werden fertig, das größte heißt [1][„Mehr als Wohnen“]. Auf einem
alten Industriegelände werden dafür in Zürich-Nord gerade 185 Millionen
Franken verbaut für die 450 Wohnungen von 1.100 Menschen, dazu tausende
Quadratmeter für Einzelhandel und produzierendes Gewerbe. Der Einzug ist ab
Herbst 2014 geplant.
Es geht um die Wiederbelebung der Stadtquartiere: wohnen, arbeiten,
begegnen – eng zusammen. Darum, die „Explosion der modernen Städte“ ab e…
den 60er Jahren in Gewerbegebiete, Einkaufszentren, Kulturstätten und
verstreute Schlafquartiere rückgängig zu machen, wie es in einer Broschüre
des Vereins [2][Neustart Schweiz] heißt. Dieser Verein und Genossenschaften
wie [3][NeNa1] (von Neuer Nachbarschaft 1) sind Anlaufpunkte für
Interessenten an dieser neuen Wohnform.
Ein wenig theoretisch-praktischer Überbau ist schon nötig, damit die
Gemeinwirtschaft auch funktioniert: „Bei einem gemischt genutzten Projekt
ist es essentiell, nicht einfach loszubauen. Sondern schon ab der ersten
Planung die später am Wohnen Interessierten einzubeziehen“, sagt Res
Keller. Er ist Geschäftsführer der Genossenschaft Kalkbreite in Zürich. 230
künftige Bewohner und 25 Gewerbebetriebe ziehen ab April in den Neubau an
der [4][Kalkbreitestraße], die Planung läuft seit 2007.
Die Form der Genossenschaft erlaubt, das Ganze abzusichern vor
unerwünschten Bestimmern. Es gilt: ein Bewohner, eine Stimme. Eine weitere
wichtige Rolle spielte auch, dass in Zürich schon 20 Prozent der Wohnungen
von Genossenschaften gebaut sind. Das ist eine traditionelle Zürcher Form
der Förderung von Wohnraum für die nicht so gut Verdienenden in der reichen
Stadt.
„Die Genossenschaften haben meist am jeweiligen Stadtrand gebaut, und meist
nur Wohnungen“, sagt Keller. Da war schon lange kein Gedanke mehr an eine
selbstbestimmte Gemeinwirtschaft.
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Die künftigen Bewohner der Kalkbreite legten zu Beginn der Planung die
Projektziele und den Nutzungsmix fest. Sie schufen ein System von Gremien
mit Ehrenamtlichen und Profis für die Verwaltung und das Soziale, für die
Technik und für die Entscheidung, wer von den vielen Bewerbern schließlich
einziehen soll.
Die Kalkbreite war ein über 6.000 Quadratmeter großer Abstellplatz für
Straßenbahnen. Die sind nun umbaut von einem ringförmigen gelben Gebäude
mit vielen Fenstern. Die Straßenbahnen parken unter einem 2.500
Quadratmeter großen Betondach, auf dem sich ein Hof samt Bäumen, Gärten und
Bänken befindet, der auch für Nichtmieter zugänglich ist. Es gibt Wohnungen
für die unterschiedlichsten Lebensformen: Wohngemeinschaften, Single-,
Paar- und Familienhaushalte. Je acht bis zwölf Einpersonenwohnungen bilden
ein Cluster, also eine Traube, mit gemeinschaftlicher Infrastruktur.
Alle Bewohner nutzen möglichst viele Räume und Technik gemeinsam. „Nicht
jeder Einzelne braucht für sich exklusiv Gästezimmer, Waschmaschine oder
ein großes Wohnzimmer für die Feiern im Jahr, diese Dinge werden geteilt“,
erklärt Fred Frohofer. Frohofer ist im Vorstand der Vereins Neustart
Schweiz. Und er zieht in die Kalkbreite.
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Das Teilen von Räumen spart viel Platz: Wird derzeit in Zürich im Schnitt
bei Neubauten pro Kopf eine Wohnfläche von 50 Quadratmetern verbaut, sind
es in der Kalkbreite nur knapp 35, rechnet Res Keller vor. Das ermöglicht
für Zürich günstige Mieten von etwa 2.000 Franken monatlich für eine
100-Quadratmeter-Wohnung.
20 Wohnungen mit insgesamt über 50 Bewohnern haben sich zu einem
„Großhaushalt“ zusammen getan und leisten sich eine professionelle
Küchenlandschaft mit eigenen Köchen. Es gibt mietbare Räume für Feiern oder
für Seminare der Gewerbetreibenden. Alles wird über ein elektronisches
Reservierungssystem gesteuert.
In den unteren beiden Etagen des sechsgeschossigen Komplexes mieten sich
Gewerbetreibende ein, darunter Greenpeace Schweiz, ein Kino, ein Restaurant
und ein Laden der 20 Kilometer entfernten Bauerngemeinschaft Bachsermärt,
die den Großhaushalt mit Getreide und Milchprodukten versorgt.
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Die 35 Quadratmeter Wohnfläche pro Person entsprechen dem Flächenverbrauch
der 50er Jahre – allerdings mit mehr Komfort und höheren Umweltstandards.
Auch der Energieverbrauch ist potentiell wieder so niedrig wie vor 50
Jahren, also etwa ein Drittel des heutigen in Mitteleuropa. Eine
Solaranlage auf dem Dach deckt 20 Prozent des Stromverbrauchs, eine
Wärmepumpe im Keller den gesamten Wärmebedarf.
Niedriger Umweltverbrauch heißt auch, dass es keine Autos gibt. Das stellte
sich als prominenteste Schwierigkeit bei der Genehmigung heraus. „Im
Stadtrat ging es nicht etwa darum, ob wir das Projekt mit seinen 60
Millionen Franken stemmen können, sondern ständig war ein Thema, dass wir
keine Parkplätze wollen und autofrei bei der Kalkbreite verpflichtend war“,
erinnert sich Geschäftsführer Keller. „Dabei haben 75 Prozent der in der
Gegend wohnenden Zürcher sowieso kein Auto.“
Link zum Umweltkonzept einer 2.000-Watt-Gesellschaft, also einer
Konsumweise, die etwa ein Drittel bis ein Viertel des ökologischen
Fußabdrucks des derzeitigen Durchschnittseuropäers hinterlässt:
[5][www.2000watt.ch]
Über ein ähnliches Projekt wird auch in Deutschland nachgedacht, es ist
allerdings noch lange nicht im Bau: [6][halle-im-wandel.de]
24 Feb 2014
## LINKS
[1] http://www.mehralswohnen.ch/home.html
[2] http://neustartschweiz.ch/
[3] http://nena1.ch/
[4] http://kalkbreite.net/
[5] http://www.2000watt.ch/
[6] http://halle-im-wandel.de/
## AUTOREN
Reiner Metzger
## TAGS
Stadtentwicklung
Wohngemeinschaft
Mietwohnung
Schweiß
Autoverkehr
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