| # taz.de -- Soziale Kälte: Herzensprojekt in der Konfliktzone | |
| > Mitarbeiter eines Obdachlosenprojektes legen sich mit der | |
| > Heilig-Kreuz-Passions-Gemeinde an. Kirche will sparen und antwortet mit | |
| > Hausverbot. | |
| Bild: Auch die barmherzige Kirche kann frostig sein | |
| Die Heilig-Kreuz-Passions-Gemeinde in Kreuzberg will eines ihrer | |
| Vorzeigeprojekte loswerden. Seit einem halben Jahr haben sich der Pfarrer | |
| der Gemeinde und die Mitarbeiter eines Obdachlosenprojekts in einem | |
| Konflikt entzweit, der immer weiter eskalierte. Der Pfarrer verteilte | |
| schließlich Abmahnungen, Hausverbote und eine Kündigung. Nun will er das | |
| Wohnheimprojekt einem anderen kirchlichen Träger übergeben. „Die | |
| Gemeindeleitung behandelte verdiente Mitarbeiter so, wie man Hunde vom Hof | |
| jagt“, sagt Anwalt Benedikt Hopmann, der die Mitarbeiter des Wohnheims | |
| berät. | |
| Seit 16 Jahren gibt es das Wohnheim Nostitzstraße. Der Sozialarbeiter | |
| Werner Neske hat es als letzte Heimat für alte und kranke Obdachlose | |
| gegründet. In Pfarrer Joachim Ritzkowsky fand er 1998 einen pragmatischen | |
| Partner und im Gemeindehaus in der Nostitzstraße einen geeigneten Ort. | |
| Inzwischen werden im Wohnheim knapp 50 ehemals obdachlose Männer von einem | |
| Team aus neun Festangestellten sowie Ehrenamtlichen betreut. Ein | |
| Herzensprojekt, mit dem sich Gemeinde und Politiker schmückten. | |
| 2003 ließ sich Pfarrer Ritzkowsky im Gemeinschaftsgrab, Seite an Seite mit | |
| Obdachlosen begraben. Mit dem 2002 eingesetzten Neuen, Peter Storck, habe | |
| es schon bald Auseinandersetzungen gegeben, berichten Mitarbeiter: Um | |
| Gelder, die die Kirche 2004 aus dem Projekt entnommen und nicht | |
| zurückgezahlt haben soll und um eine Gebäudesanierung im Jahr 2009, die | |
| nicht den Vorstellungen des Projektteams entsprach. Als die Gemeindeleitung | |
| im Sommer 2013 ohne Ankündigung Arbeitszeiten und Gehälter der | |
| Wohnheimmitarbeiter um 25 Prozent kürzte, kam es zum offenen Konflikt. | |
| Leiter Werner Neske stellte sich vor seine Mitarbeiter und hat mit Benedikt | |
| Hopmann einen prominenten Arbeitsrechtsanwalt für sich gewonnen, der schon | |
| der Kassiererin Emmely zu ihrem Recht verhalf. Die Gehaltskürzungen wurden | |
| zwar zurückgenommen, der Konflikt aber eskalierte weiter. | |
| Im September 2013 erhielt der Leiter des Projekts drei Abmahnungen, unter | |
| anderem weil er behauptet hatte, dass die Gemeindeleitung das Projekt | |
| ausgenommen habe „wie eine Gans“. Neske habe damit auf öffentliche Gelder | |
| angespielt, die eigentlich für die Obdachlosenhilfe vorgesehen waren, aber | |
| von der Gemeinde zum Ausgleich des eigenen Jahresabschlusses verwendet | |
| worden seien, sagt sein Anwalt. Ein Bericht des kircheninternen | |
| Rechnungshofes aus dem Jahr 2006, der der taz vorliegt, bestätigt diesen | |
| Vorwurf zumindest für das Jahr 2004. Die Kirchenprüfer fordern darin die | |
| kurzfristige Rückführung von knapp 75.000 Euro an das Projekt. Das sei | |
| nicht passiert, berichten Mitarbeiter. | |
| Der Versuch der Gemeindeleitung, dem Gründer des Wohnprojektes schließlich | |
| fristlos zu kündigen, sei gescheitert, berichtet Hopmann. Im Projekt | |
| arbeitet Werner Neske – derzeit arbeitsunfähig – trotzdem nicht mehr. Im | |
| Dezember beendete die Gemeinde auch die Zusammenarbeit mit Neskes | |
| Stellvertreter sowie mit dem Buchhalter des Projektes: Beide erhielten | |
| Hausverbot. Wegen „andauernden und schwerwiegenden Dienstvergehen“ und | |
| einem tätlichen Angriff, wie der Pfarrer in einer Mitteilung an die | |
| Mitarbeiter schreibt. Die Mitarbeiter verwehren sich gegen diese Vorwürfe, | |
| die nun zum Teil vor Gericht zu verhandeln sein werden. | |
| Pfarrer Storck setzte sich im Dezember zunächst selbst als neuen Leiter | |
| ein, vergangene Woche präsentierte er den künftigen Wohnheimleiter: Ulrich | |
| Davids. Davids war erst im Dezember 2013 als Jugendstadtrat in Mitte | |
| zurückgetreten. Die Projektmitarbeiter unterschrieben daraufhin geschlossen | |
| einen Brief an die Gemeindeleitung, in dem sie sich gegen die neue Leitung | |
| aussprachen und die Aufhebung der Hausverbote forderten. | |
| „Wir haben eine unterschiedliche Einschätzung der wirtschaftlichen | |
| Situation“, sagt Pfarrer Peter Storck auf Nachfrage der taz. Das Projekt | |
| sei seit einigen Jahren defizitär, die Gemeinde müsse das ausgleichen. | |
| Damit habe man auch frühere Entnahmen ausgeglichen. Er habe versucht, | |
| zusammen mit den Mitarbeitern eine Lösung zu finden, so Storck. „Man muss | |
| sagen, das ist missglückt“, sagt der Pfarrer. Die drastischen Maßnahmen | |
| gegen langjährige Mitarbeiter habe man ergreifen müssen, weil „massiv | |
| kirchliches Recht gebrochen wurde“. Die Mitarbeiter hätten ein falsches | |
| Selbstverständnis, wie autark sie arbeiten dürften – sie seien schließlich | |
| Angestellte der Gemeinde. Aufgrund des unüberbrückbaren Konflikts soll nun | |
| das Diakonische Werk Mitte neuer Träger des Wohnprojektes werden. Ulrich | |
| Davids, der neu eingesetzte Leiter, ist dort selbst im Vorstand. | |
| Genau vor diesem Trägerwechsel habe man Angst, berichten die Mitarbeiter. | |
| Die Erfahrungen mit dem Diakonischen Werk, das bisher nur Pflegeleistungen | |
| im Wohnheim erbringt, ließen befürchten, dass die Arbeit künftig auf eine | |
| Einstufung der Bewohner in hohe Pflegestufen ausgerichtet werde – damit | |
| ließe sich mehr Geld verdienen als mit dem Tagesgeld, das der Bezirk für | |
| die Obdachlosenhilfe gewährt. Das wäre aber auch das Ende des | |
| Beheimatungskonzeptes, mit dem Neske und seine Mitstreiter das Projekt vor | |
| 16 Jahren gestartet haben. Im Dezember haben Mitarbeiter und Unterstützer | |
| deshalb einen eigenen Verein gegründet, der Träger des Wohnheims werden | |
| könnte, berichtet Hopmann. | |
| Der Erfolg ist ungewiss. Schon innerhalb der nächsten drei Monate will | |
| Pfarrer Storck den Trägerwechsel zum Diakonischen Werk Mitte perfekt machen | |
| – entgegen dem Willen der Wohnheimmitarbeiter. Arbeitsrechtlich ließe sich | |
| dieser Konflikt nicht mehr lösen, sagt Anwalt Hopmann. „Dieses Projekt und | |
| seine Mitarbeiter brauchen mehr Unterstützung.“ | |
| 13 Jan 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Manuela Heim | |
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