| # taz.de -- WissenschaftlerInnen vor der Wahl: Teures Wahlkampfthema Uni | |
| > Befristete Verträge und Stundenlöhne von 3 Euro – im Wahlkampf spielen | |
| > die Arbeitsbedingungen an der Uni keine Rolle. Bisher. | |
| Bild: An deutschen Unis herrscht das Befristungsunwesen | |
| Im Bundestagswahlkampf fühlen sich die wissenschaftlichen und | |
| künstlerischen Mitarbeiter an Hochschulen von den Parteien im Stich | |
| gelassen. „Wissenschaftspolitik kommt im Wahlkampf kaum vor, während sich | |
| offenbar alle einig sind, dass wir in einer Wissenschaftsgesellschaft | |
| leben“, sagt Mathias Kuhnt, einer der Sprecher des Netzwerks für Gute | |
| Wissenschaftliche Arbeit. | |
| [1][Das Netzwerk, NGAwiss], hat sich im Januar diesen Jahres als erster | |
| bundesweiter Zusammenschluss der Beschäftigten im sogenannten Mittelbau | |
| gegründet. Knapp 400.000 Menschen sind in diesem Bereich den Hochschulen | |
| beschäftigt, sie arbeiten zu über 90 Prozent auf befristeten Stellen, mit | |
| Verträgen, die zum Teil nur über wenige Monate laufen. Die Mitarbeiter sind | |
| so gezwungen sich immer wieder neu zu bewerben und stehen untereinander in | |
| ständiger Konkurrenz. | |
| Besonders prekär ist die Situation der rund 100.000 Lehrbeauftragten, die | |
| semesterweise für Einzelveranstaltungen gebucht werden. An der TU Dresden | |
| erhält eine Lehrbeauftragte beispielsweise 15,20 Euro für eine 45minütige | |
| Semesterwochenstunde. Dieser Stundenlohn ist jedoch ohne Vor- und | |
| Nachbereitungszeit und ohne Sozialversicherungsbeiträge gerechnet. Der | |
| reale Stundenlohn betrage unter 3 Euro. Die Verhältnisse im überwiegend | |
| staatlich finanzierten Hochschulsektor erinnerten an frühkapitalistische | |
| Verhältnisse, meint Kuhnt. | |
| „Es geht nicht allein ums Geld, wir brauchen grundlegende | |
| Strukturreformen“, fordern daher die Gründer des Netzwerkes. Am Donnerstag | |
| präsentierten sie ihre Vorschläge in der Berliner Bundespressekonferenz. | |
| Würden diese umgesetzt, käme das in der Tat einer Revolution im | |
| Hochschulwesen gleich. | |
| ## Illegale Praxen | |
| So fordern die Netzwerker das Lehrstuhlprinzip abzuschaffen. | |
| Wissenschaftliche Mitarbeiter sollten nicht von den in nach | |
| Feudalherrenmanier agierenden Professoren eingestellt werden, sondern sich | |
| an demokratisch organisierten Departments bewerben. Die Habilitationsphase, | |
| die sich an die Promotion anschließt und bisher als Voraussetzung für eine | |
| Professur gilt, sollte wie international üblich gestrichen werden. Das | |
| Sonderarbeitsrecht für den Hochschulbereich, das | |
| Wissenschaftszeitvertragsgesetz, will NGAWiss ersatzlos abschaffen, und so | |
| die Hochschulen als Arbeitgeber ihrer Privilegien berauben. | |
| In den Wahlprogrammen der Parteien finden sich solche Forderungen kaum. Am | |
| besten schneidet im Programm-Check des Netzwerks die Linkspartei ab – sie | |
| fordert mittelfristig ebenfalls eine Abschaffung der Lehrstühle. Die | |
| anderen Parteien von Grünen bis CDU wollen dagegen nicht in die | |
| Hochschulautonomie eingreifen.Einigen können sich alle Parteien, bis auf | |
| die CDU, darauf, dass die Grundfinanzierung der Hochschulen verbessert | |
| werden muss. | |
| ## Teure Ideen | |
| Aus der fixen Grundfinanzierung sollen die Unis ihre ständigen Aufgaben, | |
| wie etwa die Lehre bestreiten, während die sogenannten Drittmittel on Top | |
| für Forschungsprojekte eingeworben werden. Allerdings hat die | |
| Grundfinanzierung nicht mit den steigenden Studierendenzahlen Schritt | |
| gehalten, so dass die Hochschulen einen steigenden Anteil ihres Budgets aus | |
| den befristet eingeworbenen Drittmitteln bestreiten. Laut Kuhnt führt das | |
| zu illegalen Praxen: „Da werden Drittmittel abgezweigt, um die Lehre zu | |
| finanzieren.“ | |
| Dauerstellen für Daueraufgaben fordern auch Vertreter der Gewerkschaften | |
| verdi und GEW, welche die Forderungen der Netzwerker am Donnerstag | |
| flankierten. Sie wollen, dass der Bund sich stärker in die Hochschulpolitik | |
| einmischt. Das ist bisher überwiegend Aufgabe der Länder. Die GEW hat den | |
| Bund aufgefordert [2][50.000 unbefristete Dauerstellen] zu finanzieren. | |
| Klingt gut. Der Haken: das kostet etwa 50 Milliarden Euro. Kein Wunder, | |
| dass die Parteien zögern, auch im Forderungskatalog der NGAWiss finden sich | |
| keine Zahlen. | |
| 4 Sep 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://mittelbau.net/ | |
| [2] https://www.gew.de/wissenschaft/wittenberger-erklaerung/ | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Lehmann | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Wissenschaft | |
| Befristung | |
| Hochschule | |
| Wissenschaft | |
| Wissenschaft | |
| Universität | |
| Briefwahl | |
| Die Linke | |
| Wissenschaft | |
| Wissenschaft | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Perspektivlose Jobs an Hochschulen: Albtraumjob Wissenschaftler | |
| Das wissenschaftliche Personal an Hochschulen ist meist nur befristet | |
| beschäftigt. Eine Gesetzesnovellierung änderte daran wenig. | |
| Prekäre Bedingungen an Hochschulen: Auf dem Weg zum „Entfristungspakt“ | |
| 9 von 10 wissenschaftlichen MitarbeiterInnen an Hochschulen arbeiten | |
| befristet. Nun schließen sich Dozierende und Gewerkschaften zusammen. | |
| Drittmittelprojekte an Universitäten: Wirtschaft ist weniger spendabel | |
| Erstmals seit 20 Jahren gibt die deutsche Wirtschaft weniger Geld für | |
| Drittmittelprojekte an Hochschulen aus. Was bedeutet das für die Unis? | |
| Kommentar Wahlentscheidung: Retrospektives Wählen | |
| Wähler sollten weniger auf Slogans und mehr auf die Bilanz der Parteien | |
| achten. Wahlwerbung und Wahlomat helfen nur bedingt. | |
| Zeitverträge an Hochschulen: Jede vierte Verwaltungsstelle befristet | |
| Zeitverträge sind Standard für DoktorandInnen. Doch Unis und Institute | |
| haben das Sonderarbeitsrecht auch auf ihre Verwaltungen ausgeweitet. | |
| Zeitverträge in der Wissenschaft: Keine Ultrakurzbefristungen mehr | |
| Union und SPD sind sich einig: Zeitverträge für Wissenschaftler sollen so | |
| lange laufen, wie diese für die Promotion oder ihr Projekt brauchen. | |
| Pakt für wissenschaftlichen Nachwuchs: SPD will Juniorprofs verdoppeln | |
| Die Große Koalition will den wissenschaftlichen Nachwuchs fördern. Die SPD | |
| schlägt mehr Juniorprofessuren und mehr unbefristete Stellen im Mittelbau | |
| vor. |