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# taz.de -- Wissenschaft im Einkausfzentrum: Mall anders gedacht
> In einer Berliner Shopping Mall sollen sich Universität und Gesellschaft
> ganz nah kommen. Bisher lassen die Konsument:innen eher auf sich
> warten.
Bild: Wo sonst geshoppt wird, soll jetzt Wissen ausgetauscht werden
Zwischen Klamottenläden und Fastfood-Restaurants im Erdgeschoss der „Wilma
Shoppen“-Mall in Charlottenburg läuft laute Musik: In einem der Ladenlokale
flimmert ein Auftritt von Michael Jackson über eine dort aufgestellte
Leinwand. Jackson performt seinen „Earth Song“. Davor sitzen einige
studentisch aussehende Personen in Liegestühlen und schauen sich das
Spektakel an.
Sie alle sind Besucher*innen der [1][„Mall Anders“], einem sogenannten
temporären Lernlabor. Es ist ein Experiment von Angehörigen der Berliner
Unis TU, FU und HU und der Charité. Der Ansatz: einen Ort zu schaffen, der
Wissenschaft und Gesellschaft zusammenbringt.
Der Song ist vorbei, und Thorsten Philipp, Politologe der TU und
Mitorganisator des Projekts, tritt vor die Leinwand. „Michael Jacksons
Umweltlied von 1995 ist ein gutes Beispiel für Popmusik als politische
Kommunikation“, erklärt er in einem etwa zehnminütigen Input zu Pop und
Umweltbewegung. Dabei verschweigt er nicht, dass Jackson später vor allem
mit negativen Schlagzeilen auffiel.
Studierende und weitere Angehörige der Berliner Unis haben eine leer
stehende Ladenfläche angemietet und für ihr Vorhaben aufwendig umgebaut.
Seit Anfang Dezember und für drei Monate bespielen sie nun die „Mall
Anders“, einen Ort der Begegnung von Universität und Stadtgesellschaft
mitten in einem Einkaufscenter.
## Direkter Dialog zwischen Uni und Stadtgesellschaft
Die universitären Veranstaltungen sind für alle zugänglich, und ein
gegenseitiger Austausch und Lernprozess ist gewünscht. Also raus aus dem
Elfenbeinturm und ab auf die Straße beziehungsweise in die Shoppingmall –
das ist die Idee.
„Anders als im geschützten Raum unserer Universitäten geht es hier darum,
in den direkten Dialog mit der Stadtgesellschaft zu treten“, sagt Thorsten
Philipp. Die „Mall Anders“ richte sich an alle und vor allem auch an
Nicht-Universitätsangehörige.
Sein kurz gehaltener und gut verständlicher Minivortrag über den „Earth
Song“ von Michael Jackson als Beitrag zur Klimabewegung veranschaulicht
das. Auch wenn das große externe Publikum an diesem Tag ausbleibt.
Die Initiator:innen des Projekts wollen sich mit „drängenden Fragen der
Zukunft“ beschäftigen, heißt es auf ihrer Website. Schwerpunkte sind
Nachhaltigkeit, Digitalität und aktuelle Themen, die den Berliner:innen
unter den Fingern brennen, wie etwa die Stadtentwicklung und steigende
Mieten.
## Alles umsonst?
Am Tresen in dem Laden steht ein Schild mit der Aufschrift „Alles umsonst“.
Das kann man doppeldeutig verstehen. „Wir sind in dieser Shoppingmall der
einzige Ort, der die Besucher:innen nichts kostet. Alle anderen Flächen
sind kommerzialisiert und unterliegen der Konsumlogik“, sagt Thorsten
Philipp. „Aber natürlich kann es auch sein, dass wir am Ende feststellen,
dass alles hier umsonst war“, fügt er lachend hinzu.
Bisher lässt der große Andrang bei der „Mall Anders“ auf sich warten. Für
alle Beteiligten ist diese neue Form der Kommunikation nicht einfach. „Wir
sind normalerweise nur auf dem Unicampus oder in wissenschaftlichen
Einrichtungen tätig und müssen die kommunikativen Spielregeln einer
Einkaufsmall erst lernen“, sagt der Politologe.
Ein Schaufenster unterscheide sich nun mal etwas von einem Hörsaal. Während
in der Uni gern mal gefachsimpelt wird, geht es in der Mall darum, Menschen
mit Eyecatchern in die Läden zu locken. Der Spagat zwischen Universität und
Einkaufscenter könnte also kaum größer sein.
Die „Mall Anders“ ist in ein leer stehendes Geschäft eingezogen. Der
Vormieter, ein Krimskramsladen, hatte im Dezember vergangenen Jahres
Konkurs angemeldet. Der Besitzer hat sein Geschäft samt Einrichtung und
Produkten aufgegeben. Der Lagerraum quillt noch über von allem möglichen
Tinnef.
## Das Einkaufszentrum der Zukunft
Auch dies stellte die Uni-Angehörigen vor Fragen: Wie zukunftsfähig sind
Einkaufszentren? Immer häufiger stehen Geschäfte wegen mangelnder
Besucher:innen leer. Die Pandemie hat dabei die Verlagerung in den
Onlinehandel noch verstärkt. Die frei werdenden Flächen müssen genutzt
werden. Warum nicht mit einem Ort zum Austauschen, Co-worken und Lernen?
Die Idealvorstellung der „Mall Anders“ ist: Passanten kommen (spontan) rein
und erfahren beispielsweise etwas über die Stadtentwicklung in ihrem
Viertel und können eigene Ideen einbringen. Sie können aber auch einfach in
den herumstehenden Liegestühlen abhängen oder universitären Veranstaltungen
lauschen, die sonst nur hinter verschlossenen Türen stattfinden. Die
behandelten Themen sind zukunftsorientiert und gehen – so jedenfalls die
Idee der Macher:innen – alle etwas an.
Noch ist das eher ein akademischer Wunschtraum – doch immerhin besteht die
Chance, dass sich hier verschiedene Lebenswelten näherkommen.
15 Dec 2021
## LINKS
[1] https://mall-anders.berlin/
## AUTOREN
Josua Gerner
## TAGS
Shoppingmalls
Berlin-Charlottenburg
Universität
Lesestück Recherche und Reportage
Studierende
Reisen in Europa
Berlin-Lichtenberg
Kolumne Nachsitzen
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