# taz.de -- Wirtschaftliche Lage in Afghanistan: „Die Situation ist verzweife… | |
> Wegen der Devisenknappheit haben die Taliban die Verwendung ausländischer | |
> Währungen verboten. Das könnte der Wirtschaft stark schaden. | |
Bild: Kontenbesitzer in Afghanistan kommen nur an Teile ihres Ersparten | |
BERLIN taz | Die Taliban haben am Dienstag die Verwendung aller | |
ausländischen Währungen verboten. „Das Islamische Emirat instruiert alle | |
Bürger, die Ladenbesitzer, Händler, Business-Leute und die allgemeine | |
Öffentlichkeit, von jetzt an alle Transaktionen in Afghani durchzuführen, | |
und strikt den Gebrauch ausländischer Währungen zu vermeiden“, verkündete | |
Talibansprecher Sabihullah Mudschahed in einer online verbreiteten | |
Erklärung. | |
Als Begründung führte er an, “[1][die ökonomische Situation] und das | |
nationale Interesse des Landes“ machten diese Maßnahme nötig. Jeder, der | |
ihr zuwiderhandle, müsse einer Bestrafung entgegensehen. | |
Die neuen Machthaber in Afghanistan reagieren damit auf die | |
Devisenknappheit im Land, deren Auslöser De-facto-Sanktionen sind. Die | |
US-Regierung, Weltbank, Internationaler Währungsfonds sowie europäische | |
Zentralbanken froren nach der Machtübernahme der Taliban die afghanischen | |
Auslandsguthaben ein, die sich auf neun Milliarden US-Dollar belaufen | |
sollen. | |
Eine halbe Milliarde Dollar sollen laut Taliban auch in Deutschland bei der | |
Commerz- und der Bundesbank liegen. Beide Geldinstitute kommentierten einen | |
entsprechenden Reuters-Bericht nicht. Die Taliban versuchen gegenwärtig, | |
die eingefrorenen Beträge frei zu bekommen. Dem steht aber die ausbleibende | |
diplomatische Anerkennung im Wege. | |
Regierungen von Geberländern, darunter die deutsche, stellten | |
Entwicklungszahlungen ein, aus denen oft auch Gehälter für Angestellte der | |
Regierung und von Nichtregierungsorganisationen bestritten wurden, und | |
beschränken sich auf humanitäre Nothilfe. Vor den Banken bilden sich | |
seither lange Schlangen. Kontenbesitzer kommen nur an Teile ihres | |
Ersparten, umgerechnet 200 Dollar pro Woche und nicht mehr als ein Fünftel | |
ihrer Guthaben. Das wurde am Mittwoch auf umgerechnet 400 Dollar erhöht. | |
Importeure lebenswichtiger Waren müssen bürokratisch umständlich | |
Einfuhrbestätigungen vorlegen, um bezahlen zu können. Ausgezahlt wurde | |
zuletzt ohnehin nur in der Landeswährung Afghani. Das Taliban-Dekret macht | |
das nun offiziell. | |
## Reserven noch bis Jahresende | |
Das Verbot soll offenbar vor allem die noch im Land vorhandenen | |
Dollarreserven für lebensnotwendige Zahlungen schonen. Schah Mehrabi, ein | |
Mitglied des Verwaltungsrates der afghanischen Nationalbank, erklärte | |
vorige Woche, die Reserven reichten noch bis Jahresende und die | |
Steuereinnahmen beliefen sich wegen der [2][Wirtschaftskrise] auf nur | |
umgerechnet 4,4 Millionen US-Dollar pro Tag. Die Situation sei | |
„verzweifelt“, so Mehrabi. Laut UN-Welternährungsprogramm „marschieren 2… | |
Millionen Afghanen in den Hunger“, fast doppelt so viele wie vor zwei | |
Monaten. | |
[3][Dazu tragen auch die anhaltende Dürre sowie Ernteverlust] durch die | |
Kämpfe bis August bei. Unter anderem droht ein Kollaps der | |
Energieversorgung, weil die Taliban Schulden von 90 Millionen US-Dollar bei | |
den Lieferanten Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan nicht bezahlen | |
können. 70 Prozent des Strombedarfs kommen aus dem Ausland. | |
Zur Zeit wird darüber verhandelt. Turkmenistans Außenminister Raschid | |
Meredow besuchte am Wochenende Kabul. Dabei ging es auch um den Weiterbau | |
der Erdgasleitung TAPI in Richtung des indischen Subkontinents, für den die | |
Taliban Sicherheitsgarantien gaben. Regierungen bisheriger Geberländer | |
sowie viele Nichtregierungsorganisationen wickelten bislang viele ihrer | |
Transaktionen in US-Dollar oder Euro ab. | |
Unklar ist, ob die Taliban das Dekret auch umsetzen können. Sie dürften | |
kaum Zugriff auf alle Sektoren der diversifizierten afghanischen Wirtschaft | |
mit ihrem ausgedehnten privaten Handelssektor haben. Zudem kamen daher | |
bisher wichtige politische Unterstützung sowie Steuereinnahmen. Man könnte | |
also, wenn es tatsächlich zu Zwangsmaßnahmen kommt, wichtige Verbündete | |
vergraulen, die Wirtschaft noch stärker ins Wanken bringen und die | |
Inflation anheizen. | |
Der Afghani hatte unmittelbar nach der [4][Taliban-Machtübernahme] im | |
August fünf Prozent seines Wertes verloren und seither fast noch einmal so | |
viel. Heute muss man fast 104 Afghani für einen Euro zahlen; Mitte August | |
waren es noch 94. Wer nur Dollar auf dem Konto hat, verliert durch die | |
Afghani-Auszahlung zehn Prozent seiner Guthaben. Die Preise für | |
Lebensmittel, Brennstoffe und Benzin sind bereits gestiegen, laut EU | |
teilweise um über 50 Prozent. Um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, | |
veranstalteten die Taliban am Montag eine Handwerksmesse, an der auch | |
Frauen als Ausstellerinnen teilnehmen konnten. | |
Unklar ist, ob das Taliban-Dekret sich auch auf die pakistanische Rupie | |
erstreckt. Sie ist in vielen Gebieten des Landes die inoffizielle | |
Parallelwährung und Pakistan der politische Hauptförderer der Taliban. | |
Anfang Oktober hatten private afghanische Geldwechsler darauf aufmerksam | |
gemacht, dass „pakistanische Investoren“ in Afghanistan große Dollarmengen | |
aufkauften und über die Grenze in ihr eigenes Land brächten. Sollte auch | |
der Gebrauch der pakistanischen Rupie eingeschränkt werden, könnten die | |
Taliban Spannungen mit Pakistan riskieren. | |
3 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Ruttig | |
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