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# taz.de -- Wenn der Gast eine Pizza bestellt: Bitte ganz viel Prozent auf To-go
> 7 Prozent Mehrwertsteuer auf Speisen wird das Gastronomiesterben nicht
> stoppen. Die Geringschätzung von Gastlichkeit hält keine Subvention auf.
Bild: Geht immer, besonders zu niedrigen Prozenten: Pizza
Vor ein paar Wochen klingelte es, obwohl die Gasthaustür weit offen stand.
Ich wartete ein bisschen, aber trotzdem: Der Klingler wollte nicht
freiwillig ins Haus kommen. Am Hund konnte es nicht liegen, der war weit
weg hinten im Garten. Ich schaute neugierig aus dem Haus. Mit gehörigem
Sicherheitsabstand stand auf dem Gehweg ein Pizzabote, den großen Karton
auf dem Arm und schaute mich entschuldigend an: „Haben Sie Pizza
bestellt?“, fragte er.
Ich schaute meine Schürze hinunter und sagte: „Nein.“ „Vielleicht einer …
Gäste?“, setzte er nach. „Vielleicht“, sagte ich, drehte mich um und
brüllte so, wie es sich für einen Wirt eigentlich nicht gehört, ins
Treppenhaus: „Pizza ist da!“ Ich kannte den Verdächtigen, an diesem
Nachmittag hatte erst ein Gast eingecheckt. Und der tauchte kurze Zeit
später verärgert auf. Vorwurfsvoll sagte er zum Mann vom Lieferdienst: „Ich
hatte doch darum gebeten, dass Sie anrufen, wenn Sie da sind.“ Ich kam mir
langsam vor, als wäre ich nicht in die Übergabe einer labberigen Pizza
geplatzt, sondern von ein paar Gramm Haschisch. Wenigstens
Schuldbewusstsein ist noch da, dachte ich, aber nicht mehr viel.
Ich muss ein bisschen ausholen, um zu erklären, wie diese Geschichte mit
der Debatte um die Mehrwertsteuer in der Gastronomie zusammenpasst. Zu
Zeiten der Pandemie sind die bis dahin üblichen 19 Prozent auf 7 Prozent
gesenkt worden, um die Branche, die von den Coronamaßnahmen besonders
betroffen war, zu unterstützen. Schon im vorigen Jahr ist die
Steuererleichterung, die nur für Speisen, aber nicht für Getränke gilt, um
ein weiteres Jahr verlängert worden, wegen des Krieges, der Inflation, der
hohen Energiekosten, des Mindestlohns. Und die Lobbyverbände machen wieder
mobil. 7 Prozent für immer, am besten auch auf Getränke, sonst besiegele
die Regierung das Gastrosterben endgültig.
Klar, ich nehme die 7 Prozent gerne mit, aber ich finde – als Bürger – all
diese Mehrwertsteuerdiskussionen im Hotel- und Gaststättenbereich
inzwischen nur noch nervig. Ständig kommt irgendjemand um die Ecke und
fordert eine Ermäßigung oder eine Erhöhung. Angefangen hat das alles 2009,
als auf Initiative der FDP die Mehrwertsteuer auf Übernachtungen im Hotel
von 19 auf 7 Prozent gesenkt wurde. Weil die Partei kurz vorher eine
Großspende einer Hotelkette erhalten hatte, auch [1][Mövenpick-Steuer]
genannt. Was es seitdem nicht alles an Vorschlägen gibt: Steuer auf Fleisch
hoch, für Kantinen runter, auf Zucker hoch, für Obst und Gemüse runter.
Oder für Lebensmittel ganz weg. Aber wer glaubt schon, dass Markus Söder
das ernst meint?
## Alles außer Hundefutter
Wenn ich vor meiner Buchhaltung sitze, ärgern mich die unterschiedlichen
Mehrwertsteuersätze nur: Getränke 19 Prozent, Lebensmittel 7 Prozent, Waren
aus der Drogerie 19 Prozent, außer Hundefutter, da zahlt man nur 7. Die
Gründe für die unterschiedliche Besteuerung sind allenfalls historisch. Ich
muss auf meinen Hotelrechnungen unterschiedliche Sätze aufführen.
Übernachtung und Speisen 7, Getränke 19 Prozent. Alles will eigens verbucht
werden. Was das an Zeit kostet, kann mir keine Steuersatzermäßigung der
Welt ersetzen.
Im Übrigen ist die hohe Umsatzsteuer nicht am Gastronomiesterben schuld,
der niedrigere Satz wird den Umbruch der Branche nicht aufhalten, nur
bremsen. Das entnehme ich aus den [2][Zahlen des Hotel- und
Gaststättenverbandes], die als Argumente gedacht sind, mit der geringeren
Mehrwertsteuer weiterzumachen. In den vergangenen vier Jahren habe es
historische Einbrüche gegeben, zuletzt ein Umsatzminus von über 12 Prozent.
36.000 Betriebe hätten aufgegeben, 16 Prozent aller Hotels und Gaststätten.
Nur: In der Zeit war der Steuersatz schon ermäßigt, teilweise auf 5
Prozent. Die Zahl der Insolvenzen dagegen ist, gegenüber den Zeiten von vor
Corona, verblüffend niedrig. Eine Pleitewelle gab es nie. All das spricht
für mich dafür, dass viele Gastronomen die Coronazeit genutzt haben, Bilanz
zu ziehen und einem Geschäftskonzept, das schon vorher nicht rentabel
gewesen ist, den Stecker zu ziehen. Ob die Mehrwertsteuerlast bei solch
grundsätzlichen Erwägungen ausschlaggebend war? Das bezweifle ich.
Ob mit 7 oder 19 Prozent, die grundlegenden Probleme bestehen fort: Es
fehlt Personal, die Mieten werden – vor allem in den städtischen Bereichen
– inzwischen auch für Gastronomen untragbar, und die behördlichen Auflagen
sind ungleich höher, wenn man eine Vollgastronomie führt und Leute an
Tischen Platz finden sollen. Das führt zu dem großen Umbruch in der
Branche, der inzwischen vom Imbiss- und To-go-Geschäft geprägt ist. Da
braucht es nicht so viel Personal, man arbeitet auf kleinsten Raum, die
Menschen essen zu Hause oder auf der Parkbank. Sie sind es manchmal nicht
mehr anders gewohnt, wie ich im weiteren Gespräch mit meinem Pizza
bestellenden Gast erfahren sollte. Der Mann wollte sich nicht in den
Gastraum setzen.
Und wissen Sie was? Die Politik unterstützt das. Für Essen zum Mitnehmen
und Lieferdienste gelten seit eh und je die 7 Prozent. Das wird auch ab
2024 so bleiben. Also wenn schon an der Mehrwersteuer geschraubt wird, dann
bitte, Herr Lindner, vereinheitlichen Sie die Sätze und machen Sie, wenn
ich ins Pizzaliefergeschäft einsteige, dass ich auch 19 Prozent auf die
Margherita nehmen muss, wie jeder andere Gastronom auch.
14 Aug 2023
## LINKS
[1] /FDP-will-nicht-mehr-Moevenpick-Partei-sein/!413156/
[2] http://www.btw.de/der-btw/die-mitglieder/deutscher-hotel-und-gaststaettenve…
## AUTOREN
Jörn Kabisch
## TAGS
taz Talk
Gastronomie
Mehrwertsteuer
Insolvenz
Kolumne Der Wirt
Mehrwertsteuer
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Flucht
wochentaz
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