# taz.de -- Weltweite Folgen der Corona-Krise: Einmal ums Eck bitte | |
> Die Corona-Pandemie verändert weltweit das Leben. Wir haben | |
> Korrespondenten gebeten, um ihren Häuserblock zu gehen und ihre Eindrücke | |
> zu schildern. | |
Bild: Schlechte Nachrichten: Straßenverkäufer in Kigali, der Hauptstadt von R… | |
## Peking: Geschlossene Siedlungen und offene Restaurants | |
Schon beim ersten Schritt ins Freie grüßt die Pekinger Frühlingssonne von | |
einem smogfreien, strahlend blauen Himmel. Im Vorhof der eingezäunten | |
Wohnsiedlung reden zwei Männer ausgelassen miteinander auf einer Parkbank. | |
Junge Frauen in Yoga-Hosen und Schlbberpullis führen überzüchtete | |
Mini-Hunde spazieren. | |
Ist in [1][Chinas] 20-Millionen-Metropole wieder ganz normaler Alltag | |
eingekehrt? | |
Nicht wirklich. Das zeigt der Gang zum Pförtnerhäuschen, an dem zwei | |
Wachmänner in schwarzer Uniform und eine in pink gekleidete Frau vom | |
freiwilligen Nachbarschaftskomitee stehen. Sie kontrollieren rund um die | |
Uhr, dass sich keine fremde Person Zugang zur Wohnsiedlung verschafft. Ob | |
Verwandte, die eigene Freundin oder der Techniker: Niemand, der nicht hier | |
wohnt, darf derzeit auf das Gelände. | |
Auch nicht die zwei Lieferanten, die gerade auf dem Bürgersteig dutzende | |
Pakete aufeinander schichten. Gut betuchte Pekinger benutzen derzeit | |
exzessiv ihre Shopping-Apps, um nicht mehr das Wohngelände verlassen zu | |
müssen: von Lunch-Boxen über Großeinkäufe bis hin zum morgendlichen | |
Starbucks-Café. | |
150 Meter weiter befindet sich der nächstgelegene Supermarkt, der wie schon | |
zum Höhepunkt der Krise auch heute regulär geöffnet hat. Am Eingang wartet | |
ein Angestellter, der jedem Kunden die Körpertemperatur misst und Name | |
sowie Handynummer notiert. | |
Eine Ecke weiter erreiche ich die Hauptstraße, auf der seit Montag fast | |
schon wieder Berufsverkehr zu herrschen scheint. Vornehmlich ältere Leute | |
sind auf den Bürgersteigen unterwegs, um Besorgungen zu erledigen. Die | |
meisten tragen nach wie vor Masken, wenn auch mittlerweile auffällig viele | |
ihren Gesichtsschutz unter's Kinn geschoben haben – quasi ein | |
heruntergenommenes Visier, das jederzeit wieder hochgefahren werden kann. | |
Ohne Gesichtsmaske erhält ohnehin niemand Zutritt in geschlossene Räume. | |
Etwa in die Restaurants, die sich in der nächsten Eckstraße zu einem guten | |
Dutzend aneinanderreihen. Herrliche Gerüche spiegeln die regionale Vielfalt | |
der chinesischen Küche wieder: angefangen mit kalten Liangpi-Nudeln aus | |
Xi'an über gegrillte Lammspieße der Xinjiang-Region hin zum Restaurant für | |
Sichuan Hotpot. Gut gefüllt sind sind die Läden noch nicht, ohnehin müssen | |
die Betreiber die Hälfte ihrer Sitzplätze sperren. Doch noch vor wenigen | |
Tagen war noch die komplette Geschäftsstraße geschlossen. Fabian | |
Kretschmer, Peking | |
In Peking bestehen keine Ausgangssperren und weitestgehende | |
Bewegungsfreiheit, solange man die Stadtgrenzen nicht verlässt. | |
In China bisher mit Corona infizierte und registrierte Personen: 81.171. | |
Tote: 3.277 | |
## Wien: Keine Gesichtsmasken, aber gut gefüllte Regale | |
Im Haus herrscht Totenstille. Der Schulhof ist verlassen. Keine | |
Zwölfjährigen, die laut schreiend dem Fußball hinterher jagen, keine | |
Mädchen, die sich im Hochsprung versuchen, kein Turnlehrer, der den | |
60-Meter-Lauf mit seiner Stoppuhr überwacht. | |
Aus der Maria Lourdes Kirche nebenan ist hin und wieder Orgelmusik zu | |
vernehmen, doch der Chor der Gläubigen bleibt aus. Vor dem Eingang zum | |
Pfarrhof, wo sonst Dienstags Flüchtlinge und andere Bedürftige anstehen, um | |
Lebensmittelspenden entgegenzunehmen, hängt ein Schild: die Warenausgabe | |
sei bis auf Weiteres suspendiert. Ein für den 17. März angekündigter | |
Vortrag über „Biblische Frauen im Alten Testament“ ist auf den 28. April | |
verschoben. | |
Die Ruckergasse zählt zu den wichtigen Durchzugsstraßen des Bezirks. Sie | |
ist kaum noch befahren. Statistiken sprechen von fünf Prozent des üblichen | |
Verkehrsaufkommens. Die Busstation, wo der 7A und der 15A halten, ist | |
verlassen. Im Bus, der pünktlich daherkommt, sitzen nicht mehr als drei | |
Fahrgäste – in gehörigem Abstand voneinander. Die wenigen Fußgänger, die | |
das Trottoir bevölkern, sind allein und eiligen Schrittes unterwegs. Wohl | |
auch der klirrenden Kälte geschuldet, mit der sich der Frühling einstellt. | |
Mundschutz trägt so gut wie niemand. Selbst die Kassiererinnen im | |
Supermarkt verzichten auf Atemschutz. Sie tragen aber Gummihandschuhe und | |
bitten um bargeldlose Zahlung. Die Panikkäufe sind vorbei, die Regale | |
gefüllt. Nur Klopapier und Seife sind immer schnell ausverkauft. Manche | |
halten sich an die Aufforderung, für die ganze Woche einzukaufen, andere, | |
vor allem ältere Leute, nehmen den Einkauf als willkommenen Vorwand, um das | |
Haus zu verlassen. Mit einer Flasche Wein und ein paar Süßigkeiten kämpfen | |
sie gegen die Einsamkeit an. | |
Der kleine Park mit Spielplatz und Sandkiste ist durch ein Vorhängeschloss | |
versperrt. Für alle, die noch nichts begriffen haben, sind Schaukel und | |
Kletterturm zusätzlich mit Plastikbändern als No-go-Gebiete markiert. Die | |
Tageszeitungen in der Trafik warten mit den neuesten Pandemie-Schlagzeilen | |
auf: „Corona-Party: FPÖ-Politiker feierte mit!“ Ralf Leonhard, Wien | |
In [2][Österreich] sind Lokale, Geschäfte und Schulen geschlossen. Es | |
bestehen Ausgehbeschränkungen. | |
[3][Infizierte Personen: 4.791, Tote: 25.] | |
## Canberra: Viel Platz und die Angst vor Chinesen | |
Dick ist wütend. Zum ersten Mal in den 23 Jahren, die ich meinen Nachbarn | |
kenne, zeigt dieser Urtyp des stoischen australischen Mannes Emotionen. Ich | |
treffe ihn unten beim Zaun – aus sicherer „sozialer Entfernung“ natürlic… | |
Dick und ich – wir haben ein Riesenglück. Wir wohnen im australischen | |
„Busch“, auf großen bewaldeten Grundstücken, nördlich der Hauptstadt | |
Canberra. Kängurus gibt es viele, Menschen keine. Außer eben Dick und seine | |
Frau Tina (Namen geändert). Aber die wohnen 400 Meter weit weg. So weit | |
springt kein Virus. | |
Erst vor ein paar Wochen hatte ich diese Isolation noch verflucht. Damals, | |
als gigantische Waldbrände drohten, unser Paradies in Schutt und Asche zu | |
legen. Der Himmel war Rot vom Inferno hinter dem Horizont, als Dick und ich | |
uns in seiner Garage zu einem Bier trafen. Während ich zuvor in zunehmender | |
Panik Testament und Lebensversicherung in den feuerfesten Tresor gelegt | |
hatte, schaute Dick im Fernsehen ein Rugbyspiel. Der Mann war so „cool“ wie | |
sein Bier. | |
Heute glüht er vor Wut. Es ist aber nicht die Regierung, die ihn in Rage | |
bringt, weil die sich trotz eskalierender Corona-Krise weigert, das Leben | |
in Australien auf Eis zu legen. Es ist auch nicht die höhnische Empfehlung | |
von Premier Scott Morrison an 20.000 von den Fluglinien gefeuerte Menschen, | |
sie könnten sich einen Job im Einzelhandel suchen. Nein, es sind die | |
Panikkäufe, die Dick wütend machen. „Kein Klopapier, kein Fleisch“, wette… | |
er nach dem Besuch im Einkaufszentrum. Als sich Tina zu uns stellt, geht’s | |
richtig los. „Die Asiaten sind Schuld. Sie fahren in Bussen an und räumen | |
alles leer. Dann exportieren sie das Essen nach China.“ | |
Das Gerücht von den „plündernden Chinesen“ (ja, Chinesen, denn „die seh… | |
alle gleich aus“) hält sich in Australien so hartnäckig wie ein | |
SARS-CoV-2-Virus an einem Bierglas. Doch weder das Boulevard-Radio, das bei | |
Millionen Australiern in der Küche plärrt, noch die Hetz-Blätter aus dem | |
Hause Murdoch haben bisher einen Beweis für die „gelben Horden“ gebracht. | |
Fremdenhass als Ablenkung von politischer Inkompetenz hat eine lange | |
Tradition in Australien. Zuletzt bei den Buschfeuern. Konservative | |
Kommentatoren machten da „wahrscheinlich islamistische Terroristen“ für die | |
Feuer verantwortlich. | |
Nachbarin Tina glaubt bis heute an diese Mär. | |
Wieder zu Hause. Im Fernsehen wiederholt ein Arzt die Warnung vieler seiner | |
Kollegen. „In 14 Tagen erleben wir hier, was Italien heute erlebt, wenn wir | |
das Land nicht sofort stilllegen“. | |
Zeit, nochmals Testament und Lebensversicherung zu prüfen. Und Zeit für ein | |
Bier. Urs Wälterlin, Canberra | |
Im australischen Bundesstaat New South Wales sind alle nicht essenziellen | |
Geschäfte geschlossen. Schulen bleiben geöffnet. | |
[4][Infizierte Personen: 2.136, Tote: 8.] | |
## New York: Vogelzwitschern und die große Pleitewelle | |
Statt der Musik aus Ghettoblastern, statt des Lärms von Motoren, die | |
stundenlang im Parkmodus laufen, und statt Gesprächsfetzen, die in Telefone | |
hineingeschrieen werden, höre ich einen Vogel zwitschern, der auf dem | |
obersten Ast des Baums vor meinem Fenster sitzt. Kein Flugzeug dröhnt durch | |
den strahlend blauen Himmel über Harlem. | |
Eine Straße weiter, wo ich öfter Capuccino getrunken habe, hängt jetzt das | |
Schild „closed“ in Schaufenster. Das Café war noch in der Anlaufphase. Die | |
Betreiber hatten es wochenlang renoviert. Angesichts eines möglicherweise | |
monatelangem Stillstands haben sie aufgegeben. Auch der Salon, wo ich mir | |
im Sommer die Fussnägel lackieren lasse, ist geschlossen. Aber in seinem | |
Schaufenster steht, dass er wieder eröffnet, so bald die Krise vorbei ist. | |
An den Türen der drei Kirchen, an denen ich vorbei gehe, hängt der Hinweis: | |
Bis auf Weiteres geschlossen. Nur die Armenspeisung funktioniert noch. Das | |
Essen wird am Eingang ausgeteilt. Niemand kommt mehr in den | |
Gemeinschaftsraum der Kirchen. | |
Auf dem Malcolm X Boulevard habe ich das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. | |
Normalerweise sind an Frühlingstagen wie diesem die Terassen der Cafés | |
rappelvoll. Jetzt sind die breiten Bürgersteige fast menschenleer. Die | |
wenigen Passanten begrüßen sich gegenseitig, aber sie gehen sich aus dem | |
Weg. Im Eingang des Kleider-Discountladens hat ein Obdachloser einen | |
Schlafplatz eingerichtet. | |
Vor dem Drogeriemarkt verkauft ein fliegender Händler die Produkte, die im | |
Inneren der Geschäfte schon seit Wochen ausverkauft sind. Masken und vor | |
allem Hand-Desinfektionsmittel und Latex-Handschuhe. Vor dem Supermarkt | |
stehen Absperrgitter. Zwei Männer in Uniform lassen nur jeweils fünf | |
Personen herein. Ich stelle mich nicht in die Warteschlange. Sie ist zu | |
lang und die Wartenden stehen zu dicht gedrängt. Dorothea Hahn, New York | |
Seit Sonntag gilt in [5][New York] eine Ausgangbeschränkung. Nur | |
„unverzichtbare Beschäftigte“ dürfen die Straßen betreten. | |
[6][Infizierte Personen: 46.168, Tote: 582.] | |
## Småland: Der kranke Nachbar und die Klopapierfabrik | |
„Hej, Birgitta, Husten“? Die Nachbarin vom Haus gegenüber, die gerade zwei | |
Mülltüten in die grüne Tonne wirft, schaut mich erst fragend an. Dann | |
versteht sie: „Ach so. Nein, alles Bestens. Hier sind wir doch sicher! Zu | |
uns kommt kein Virus rein.“ Und nach einer nachdenklichen Pause fährt sie | |
fort: „Åke hätten wir nicht rauslassen dürfen.“ | |
Die Sache mit Åke hat uns einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Der älteste | |
Bewohner unseres 16-Häuser-Dorfs im südschwedischen Småland wurde kurz nach | |
Weihnachten operiert und sollte sich danach in einer Pflegeeinrichtung | |
erholen. Kurz. Aus kurz wurde lang und länger. Letzte Woche meldete die | |
Lokalzeitung erste Corona-Verdachtsfälle unter dem Personal der | |
Einrichtung. Am Samstag dann eine vorläufige Entwarnung: die bisherigen | |
Tests sind negativ. Aber Åke hört sich gar nicht gut an am Telefon. Alles | |
ist jetzt hermetisch abgeriegelt. Keine Besuche möglich. Åke hatte gehofft | |
Ostern wieder zu Hause zu sein. Das wird wohl nichts werden. | |
„Verdammter Mist“, wirft Birgitta den Deckel der Mülltonne zu. „Hör mal, | |
ich will morgen früh in die Stadt fahren und diese Rentnerstunde testen. | |
Brauchst du was?“ Ein Supermarkt hat vor ein paar Tagen eine neue Regelung | |
eingeführt. Eine zusätzliche Stunde Öffnungszeit, von 7 bis 8 Uhr, ist für | |
„Risikopersonen“, speziell 70-plus, reserviert worden. | |
„Nein, danke. Ich brauche nichts.“ – „Kein Klopapier?“, lästert Birg… | |
„Hast du gemerkt, der Güterzug ist jetzt bestimmt doppelt so lang.“ Ja, das | |
stimmt. In der Papierfabrik im nächsten Ort wird Toilettenpapier | |
produziert. Derzeit fährt man wegen der explodierten Nachfrage | |
Sonderschichten. | |
Die ersten Kraniche sind da, Vögel bauen in aller Eile ihre Nester fertig, | |
Schneeglöckchen, Krokusse und Leberblümchen blühen. Die Ableger für neue | |
Stachelbeersträucher sind prima angegangen und trotz mancher derber | |
Frostnächte wollen Forsythien und Rhabarber nicht mehr länger warten. | |
Frühling! Reinhard Wolff, Småland/Schweden | |
In Schweden sind Versammlung mit mehr als 500 Menschen untersagt. Höhere | |
Gymnasialklassen machen Fernunterricht. | |
[7][Infizierte: 2.059, Tote: 33] | |
## Moskau: Die leere U-Bahn und die starken Männer | |
Reisende schossen im Minutentakt aus den Schwingtüren, Fischschwärmen | |
gleich. Sie bogen um die Ecke, ohne den Schwarm zu verlassen. | |
In den vergangenen Tagen ist es anders geworden. Langsamer, ruhiger und | |
überschaubarer geht es an der Metrostation Leninskij Prospekt zu. Noch | |
immer gibt es Reisende, sie folgen jedoch einem anderen Takt und lassen | |
sich von der Masse nicht mehr mitziehen.Nur noch ein Drittel der früheren | |
Passagiere nutzt zurzeit die Metro. | |
Ich bilde mir ein, die dünn besetzten Züge würden nicht mehr so viel Lärm | |
machen. Vorher erschütterte jeder Zug die Fundamente der Häuser. Jetzt | |
wirkt die Verkehrsader wie entschleunigt. | |
Die Bäckerin klagt darüber, dass sie nur noch knapp ein Drittel von den | |
warmen Piroggen absetzt. Wie soll das weitergehen, fragt sie. | |
Die Berufsschule, die für das Gastgewerbe ausbildet, ist geschlossen. Die | |
Schülerinnen und Schüler sorgten immer für einen lebendigen Geräuschpegel. | |
Bis mindestens Mitte April wurden auch sie ausgesperrt. | |
Die Schornsteine des Heizkraftwerks glänzen in der Sonne, sie stoßen Dampf | |
aus wie eh und je. In der Seitenstraße stellt die Apotheke die letzten | |
Lieferungen in ungeöffneten Kartons ins Schaufenster: Infusionsbestecke aus | |
Berlin sei es, ist dem Aufdruck zu entnehmen. „Noch etwas | |
Desinfektionsmittel?“, ruft die Apothekerin, die eine neue Lieferung | |
erhalten hat. | |
Die Apotheke bietet auch Schutzmasken an, knappe Ware auch in Russland. | |
Inzwischen tragen einige Moskauer schon die bläulichen Gesichtsmasken. Man | |
fällt damit jedoch auf. | |
Viele Passanten machen sich lustig. Angsthase? Feigling? Bist Du etwas | |
Besseres als wir? Verraten die Blicke. Vor allem Männer reagieren so. Die | |
Warnung zum Nachbarn Abstand zu halten hat sich bei der niedrigen | |
Infektionsquote in Moskau noch nicht durchsetzen können. | |
In der Poliklinik um die Ecke werden die Patienten schon am Eingang | |
sortiert. Mit Maske und Fieberpistole verbreitet die Krankenschwester gute | |
Stimmung. Klaus-Helge Donath, Moskau | |
In [8][Moskau] sind Schulen, Theater und Sporteinrichtungen geschlossen. | |
Für alle Menschen über 65 Jahren ist häusliche Isolation angeordnet. | |
[9][Infizierte: 495, Tote: 1] | |
## Kigali: Geschlossene Märkte und leere Geldautomaten | |
Nicht einmal eine Stunde nachdem Ruanda am Samstagabend eine Ausgangssperre | |
verhängt hat, strömen im mittelständischen Wohnbezirk Remera in der | |
Hauptstadt Kigali die Menschen noch ein letztes Mal auf die Straßen. Vor | |
den Supermärkten, die nur eine Stunde später schließen sollten, stauen sich | |
die Autos. Familienväter schieben Einkaufswagen zwischen den Regalen | |
entlang, ein seltsamer Anblick, da Einkäufe in der Regel von Frauen | |
erledigt werden. Die Männer laden Milch und Saft sowie Dosenkonserven ein – | |
haltbare Produkte, die sonst in Afrika eigentlich nicht sehr gefragt sind, | |
weil es auf den Märkten alles frisch und billiger ist. Doch genau diese | |
Märkte sind nun geschlossen, ebenso Bäckereien und Metzger. Die Folge: | |
Tiefkühltruhen mit den gefrorenen Hähnchen und Fischfilets werden emsig | |
leer geräumt, an der Brottheke liegt nur noch ein vertrocknetes Baguette. | |
Unterschwellige Panik macht sich breit. Dies merkt man vor allem vor den | |
Bankautomaten, wo sich in Afrika eigentlich nur selten Warteschlangen | |
bilden. An diesem Abend stehen dort die Menschen bis auf die Straße. Die | |
meisten Automaten spucken bereits nach wenigen Kunden kein Geld mehr aus: | |
leergeräumt. Viele Leute fluchen, hasten zu den Autos, um ihr Glück bei der | |
nächsten Bank zu suchen. Die Agenten der Telekommunikationsfirmen, die | |
mobile Geldtransfers via Handy anbieten, tummeln sich zu Dutzenden neben | |
den Bankautomaten. Die Regierung hat die Leute aufgefordert, auf | |
Bargeldzahlungen zu verzichten, um die Ansteckung durch Geldscheine zu | |
vermeiden. So kommt es, dass die meisten Menschen die Bargeld-Bündel bei | |
den Mobile-Money-Agenten wieder einzahlen. Doch auch da werden die Reserven | |
knapp: Ein junger Agent mit der gelben Weste eines Telekom-Konzerns zeigt | |
auf eine Umhängetasche voller Scheine. So viel Cash habe er noch nie | |
gesehen, strahlt er. Sein virtueller Kredit auf seinem Handy sei jedoch | |
aufgebraucht, er könne keine Überweisungen mehr tätigen. Simone | |
Schlindwein, Kigali | |
In Ruanda besteht eine Ausgangssperre, die Grenzen und der Flughafen sind | |
geschlossen. | |
[10][Infizierte: 36, Tote: 0] | |
## Bochum: Ein Spaziergang auf der Partymeile | |
Das Virus springt mich schon im Hausflur an. Gleich drei Zettel hat die | |
Hausverwaltung aufgehängt: Der Heizungsableser, der sonst jedes Frühjahr | |
die digitalen, kryptisch blinkenden Messgeräte an den Heizkörpern anschaut | |
und mit dem ich immer ein nettes Schwätzchen halte, kommt nicht. Ich soll | |
die Werte per Mail schicken, schreibt der Vermieter – und bittet in rot: | |
Wegen der „aktuellen gesundheitlichen Situation“ solle ich doch bitte sein | |
„Büro nicht aufsuchen“. | |
Im Bochumer Stadtteil Ehrenfeld dann gähnende Leere. Auf der Straße ist | |
kaum ein Mensch zu sehen. Das am Sonntagnachmittag verkündete Kontaktverbot | |
funktioniert: Kommt mir doch mal jemand entgegen, weichen wir uns im weiten | |
Bogen aus. Komisch, wie schnell ich mich an die Ansteckungsgefahr gewöhnt | |
habe – und andere schon fast unterbewusst als virale Gefahr betrachte. | |
Der Spielplatz hinter dem Bochumer Schauspielhaus ist mit rot-weißem | |
Flatterband abgesperrt. Am Vordereingang des Theaters ein riesiger, | |
beleuchteter „Hinweis wegen Coronavirus“: Auf Beschluss der Stadt „keine | |
Veranstaltungen bis 19.04.2020“, steht da schon seit einer Woche, und: | |
„Bleiben Sie gesund!“ Warum ausgerechnet der 19. April, denke ich wie jedes | |
Mal, wenn ich vorbeigekommen bin – obwohl ich natürlich weiß, dass das Ende | |
der Schulferien das Hoffnungsdatum markieren soll, nach dem die Infektionen | |
mit SARS-CoV-2 ihren Höhepunkt überschritten haben könnten. | |
Völlig leer ist die Partymeile des Ruhrgebiets, das Bermudadreieck. Hier, | |
wo sonst bei schönem Wetter Tausende draußen sitzen, kommen mir genau zwei | |
Menschen entgegen. Verlassen und dunkel liegen Szenekneipen wie | |
„Freibeuter“, „Mandragora“ oder „Zacher“ vor mir. An ihren Türen | |
informieren manche langatmig über „die Situation“, andere setzen auf ein | |
cooles „We're closed“. | |
Essen zum Mitnehmen bieten nur noch das vietnamesische „Hatoky“, das „Taj | |
Mahal“ und der „Pizzaman“. Der bittet per Aushang darum, auf jeden Fall | |
telefonisch zu bestellen und den Laden nicht zu betreten. Auf dem Rückweg | |
bekomme ich trotzdem gute Laune: Menschen, die ich nicht kenne, winken vom | |
Balkon, ich winke zurück. Vielleicht stärkt das Virus Zusammenhalt und | |
Solidarität? | |
Punkt 21 Uhr werden wir dennoch zusammenkommen. Denn seit letzter Woche | |
legen manche Nachbar*innen jeden Abend Grönemeyers Liebeserklärung an | |
Bochum auf, singen laut mit. Sie applaudieren, reden, halten Kontakt, | |
muntern sich auf. Auch ich werde gleich die „4630 Bochum“ auf den | |
Plattenteller legen. Und heute Abend den Verstärker laut aufdrehen. Andreas | |
Wyputta, Bochum | |
In Bochum besteht das bundesweit gültige Kontaktverbot für mehr als zwei | |
Menschen. Nur Lebensmittelgeschäfte, Apotheken sowie Drogerien, Bau- und | |
Gartenmärkte sind geöffnet. | |
[11][Infizierte: 30.150, Tote: 130] | |
25 Mar 2020 | |
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[1] /Corona-in-China/!5668754/ | |
[2] /Wien-in-Zeiten-der-Corona-Krise/!5672113/ | |
[3] https://www.worldometers.info/coronavirus/ | |
[4] https://www.worldometers.info/coronavirus/ | |
[5] /Corona-in-den-USA/!5673184/ | |
[6] https://www.worldometers.info/coronavirus/ | |
[7] https://www.worldometers.info/coronavirus/ | |
[8] /Corona-in-der-Ex-Sowjetunion/!5672999/ | |
[9] https://www.worldometers.info/coronavirus/ | |
[10] https://www.worldometers.info/coronavirus/ | |
[11] https://www.worldometers.info/coronavirus/ | |
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