| # taz.de -- Wege aus der Krise in Libyen: Neuer Anlauf, alte Herausforderungen | |
| > In Libyen wollen die rivalisierenden Lager eine Regierung bilden und | |
| > Wahlen abhalten. Im Hintergrund bauen Moskau und Ankara ihren Einfluss | |
| > aus. | |
| Bild: Zu Gast bei der Arabischen Liga: Vertreter der libyschen Konfliktparteien… | |
| Tunis taz | Die rivalisierenden Lager in Libyen starten einen erneuten | |
| Anlauf, um die Pattsituation im Land zu lösen. Bei einem Treffen in Kairo | |
| haben sich Vertreter beider Seiten auf die Schaffung einer | |
| Übergangsregierung geeinigt, die – wie schon 2021 – landesweite Wahlen | |
| vorbereiten soll. Das Land ist gespalten zwischen der international | |
| anerkannten Regierung in der Hauptstadt Tripolis und dem Lager des Generals | |
| Chalifa Haftar im Osten des Landes. | |
| Das Treffen in Kairo fand am Sonntag unter der Schirmherrschaft der | |
| Arabischen Liga (AL) statt, die sich offenbar stärker um einen politischen | |
| Prozess in dem Bürgerkriegsland kümmern will. Vertreter des sogenannten | |
| Staatsrats in der Hauptstadt Tripolis in Westlibyen sowie des mittlerweile | |
| mit abgelaufenem Mandat tagenden Parlaments in Ostlibyen betonten, bald | |
| Kandidat:innen für die Position eines Chefs der Übergangsregierung zu | |
| benennen. | |
| Doch schon die Abwesenheit des Chefs der Regierung in Tripolis, Abdul Hamid | |
| Dabaiba, und seines in Ostlibyen regierenden Konkurrenten, Osama Hammad, | |
| lassen Zweifel aufkommen, ob die Krise mit der Ankündigung einer | |
| Einheitsregierung beigelegt werden kann. Auch Chalifa Haftar war in Kairo | |
| nicht anwesend. | |
| Auf den ersten Blick ist [1][der seit 2020 geltende Waffenstillstand | |
| zwischen Haftars in Ostlibyen dominierender Armee und den mit der | |
| Tripolis-Regierung verbündeten Milizen stabil]. Das militärische | |
| Gleichgewicht droht jedoch in Richtung Haftar zu kippen. Zwar stärkt ein | |
| zwischen Dabaiba und der Türkei geschlossener Beistandspakt Tripolis den | |
| Rücken. Doch im Frühjahr will Moskau mit der Stationierung einer bis zu | |
| 20.000 Mann starken Söldnerarmee südlich von Bengasi seinen Machtbereich | |
| ausweiten. | |
| Bereits letzte Woche hat Haftar im zentrallibyschen Sirte eine neue | |
| Kommandozentrale eröffnet. Er kontrolliert mit Unterstützung russischer | |
| Militärexperten nun auch den gesamten Süden Libyens und damit auch die | |
| wichtigsten Migrationsrouten nach Europa. | |
| Doch nicht nur vor einer Expansion des russischen Machtbereichs warnen | |
| westliche Diplomat*innen ihre libyschen Gesprächspartner. Auch der | |
| zunehmende wirtschaftliche Einfluss der Türkei in dem Land macht ihnen | |
| Sorgen. Mittlerweile läuft ein Großteil des Warenimports in das | |
| erdölreichste Land des Kontinents über türkische Häfen. Die Devisenimporte | |
| aus Libyen stützen die türkische Zentralbank. | |
| Wenig Unterstützung für Wahlen | |
| Während westliche Staaten in den letzten Jahren die Zivilgesellschaft | |
| unterstützt haben und auf einen politischen Prozess pochten, setzten die | |
| Türkei und Russland ihre Interessen durch Allianzen mit militärischen | |
| Kräften vor Ort durch. „Doch besonders Italien, Frankreich und die USA | |
| haben insgeheim auch mit Milizen paktiert“, kritisiert der politische | |
| Analyst Mohammed Eljahr. „Um Migration einzudämmen oder den Ölexport zu | |
| stabilisieren.“ | |
| Spätestens seit dem Gazakrieg würden Europäer und Amerikaner mit ihrer | |
| Forderung nach Neuwahlen und Demokratie in der Bevölkerung zunehmend auf | |
| taube Ohren stoßen, sagt Eljahr. „Viele Libyer machen zudem gerade die | |
| westlichen Doppelstandards nach dem Sturz Gaddafis für die anhaltende Macht | |
| der Milizen im Land verantwortlich“, sagt er. | |
| Wegen der angespannten sozialen Lage im Land steigt derzeit auch in der | |
| libyschen Mittelschicht der Unmut. Steigende Lebensmittelpreise und der von | |
| der Regierung in Tripolis angekündigte Abbau von Subventionen für Benzin | |
| und Lebensmittel haben zu ersten Straßenprotesten geführt. So hinterlässt | |
| die Absichtserklärung von Kairo viele Fragezeichen. | |
| Die Beilegung des seit mehr als einem Jahrzehnt andauernden Machtkampfes | |
| zwischen Ost- und Westlibyen, Revolutionären und ehemaligen Regimeanhängern | |
| [2][war bereits im Dezember 2021 gescheitert], weil einflussreiche | |
| Milizenkommandeure den Prozess nicht unterstützten. | |
| Geplante Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, die von der UNO und der EU | |
| unterstützt wurden, wurden wenige Stunden vor Öffnung der Wahllokale | |
| abgesagt. Nachdem sowohl Haftar und Dabaiba als auch Muammar al-Gaddafis | |
| Sohn Saif al-Islam ihre Kandidatur für das Präsidialamt erklärten, drohten | |
| die mit ihnen verfeindeten Milizen mit der Stürmung der Wahllokale. | |
| Dabaiba hatte als Übergangsregierungschef damals nur den Auftrag, Neuwahlen | |
| den Weg zu ebnen. „Doch indem er entgegen seinem Versprechen selbst antrat, | |
| torpedierte er die Abstimmung“, kritisiert die Aktivistin Fairuz Naas, | |
| „damit blieb er bis heute ohne Mandat an der Macht.“ Naas und andere | |
| libysche Menschenrechtsaktivisten kritisieren, dass die EU die Wahlen zwar | |
| eingefordert hatte, aber nicht einmal bereit war, mit eigenen | |
| Wahlbeobachtern die Durchführung zu überwachen. | |
| Eine Ankündigung der US-Regierung zeigt indes, wie besorgt man über den | |
| zunehmenden russischen Einfluss in Libyen ist. Trotz Sicherheitsbedenken | |
| wollen die USA ihre Botschaft in Tripolis wieder eröffnen, zehn Jahre | |
| nachdem diese fluchtartig verlassen wurde. Der russische Botschafter in | |
| Libyen hat bereits die Politiker, die sich am Wochenende in Kairo trafen, | |
| von einer Reise nach Moskau überzeugt. | |
| 13 Mar 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Mirco Keilberth | |
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