# taz.de -- Überschwemmungen in Libyen: Neues Wir-Gefühl nach der Flut | |
> In Libyen zeigt sich angesichts der Katastrophe ein neues | |
> Zusammengehörigkeitsgefühl. Im ganzen Land helfen Menschen den | |
> Betroffenen. | |
Bild: Zerstörte Stadt: Darna nach der Flut (Aufnahme vom 21. September) | |
Tunis/Tripolis taz | Zwei Wochen nachdem das [1][Regentief Daniel] Dutzende | |
Dörfer und Städte der ostlibyschen Kyrenaika-Provinz verwüstet hat, suchen | |
freiwillige Helfer weiter nach Opfern. 4.300 Tote wurden bisher geborgen, | |
über 11.000 Menschen werden weiterhin vermisst. | |
In der Hafenstadt Darna, die zu einem Viertel zerstört wurde, gebe es zu | |
wenig schweres Räumgerät und zu wenig Erfahrung mit dem Betrieb von | |
Flüchtlingslagern, berichtet Laila al-Mustari, eine der vielen Studentinnen | |
der Stadt. Sie hat sich wie mehrere Tausend Bürger als Freiwillige bei der | |
Hilfsorganisation Roter Halbmond und bei Bürgerinitiativen gemeldet. | |
„Es gibt für die Überlebenden mittlerweile genügend Lebensmittel, Wasser | |
und Medikamente“, sagt sie der taz am Telefon. Aber selbst viele Familien | |
aus den weniger stark betroffenen Gebieten könnten wegen Einsturzgefahr | |
nicht in ihre Häuser zurückkehren. | |
Um die Suche nach Familienangehörigen zu unterstützen, gleichen Freiwillige | |
in einer Sporthalle ausgehängte Fotos von Vermissten mit den Bildern der | |
Toten ab. „Die psychischen Folgen der Katastrophe sind verheerend“, sagt | |
die 25-jährige al-Mustari. „Wir benötigen hier dringend Experten, die sich | |
mit den Folgen von Trauma und Schock auskennen.“ | |
## Ermittlungen wegen Korruption | |
Nach dem Abzug der meisten internationalen Suchtrupps hat die in Ostlibyen | |
herrschende Armee von Chalifa Haftar die Innenstadt abgeriegelt. Nach | |
Protesten mehrerer hundert Bewohner gegen die Korruption der | |
Stadtverwaltung hatten internationale und libysche Journalisten zunächst | |
die Stadt verlassen müssen. Nachdem sie von der Armee und vom Parlament | |
eine Genehmigung erhalten haben, sind nun wieder vereinzelte Journalisten | |
in Begleitung von Polizisten in der Stadt. | |
Der aus Tripolis angereiste 45-jährige Reporter Mutaz Mati ist nach | |
Besuchen von Darna und den vom tagelangen Hochwasser betroffenen Städten | |
Susa und al-Baida überrascht: „Fotos vermitteln nur einen minimalen | |
Eindruck von dem Ausmaß der Tragödie“, berichtet Mati bei einem Treffen in | |
Tripolis. „Teile von Darna sind wie nach einer Explosion einer Atombombe | |
wie pulverisiert. Die gesamte Infrastruktur der betroffenen Städte ist | |
beschädigt.“ | |
Nur wenige Libyer glauben, dass die in Ost- und Westlibyen Regierenden und | |
die lokalen Behörden den Wiederaufbau oder die erwartete internationale | |
Hilfe uneigennützig organisieren werden. Die [2][Staatsanwaltschaft in | |
Tripolis ließ Anfang der Woche den ehemaligen Bürgermeister von Darna und | |
weitere Beamte inhaftieren, insgesamt 16 Personen wurden] wegen des | |
Kollapses zweier oberhalb von Darna gelegener Dämme angeklagt. | |
Die Ergebnisse der von Staatsanwalt Al-Siddiq al-Sur geführten Ermittlungen | |
wegen Korruption und mangelnder Wartung der Dämme könnten auch die | |
Machthaber in Bedrängnis bringen. So war der verhaftete ehemalige | |
Bürgermeister von Darna, Abdel Munim al-Ghaithi, ein Neffe des mächtigen | |
Parlamentspräsidenten Aguila Saleh. Er war von ihm eigenmächtig eingesetzt | |
worden. | |
Mit einer Gruppe Psychologen gen Osten | |
„Auch weil die Katastrophe die Vetternwirtschaft der politischen Elite | |
aufdeckt, hat sie unter den Bürgern eine nie dagewesene Solidarität | |
ausgelöst“, sagt Journalist Mati. „Aus dem ganzen Land treffen Spenden in | |
Darna ein. Libyer aus dem Osten haben sich bei mir für den vor vier Jahren | |
gestarteten Angriff auf Tripolis entschuldigt.“ Haftar hatte damals | |
versucht, mit seinen Truppen die Hauptstadt einzunehmen, scheiterte aber. | |
Die ideologischen Konflikte der letzten Jahre rückten angesichts des | |
Ausmaßes des Unglücks kurzfristig beiseite, bestätigt auch die Aktivistin | |
Amal al-Hadsch aus Tripolis. In einer „Regatta“ genannten Siedlung der | |
Hauptstadt hat sie Dutzende obdachlose Familien aus Darna untergebracht. | |
Ihr „Netzwerk libyscher Frauen“ schickte mithilfe von Aktivistinnen im | |
ganzen Land mehrere Konvois voller Spenden an die Flutopfer. | |
Nun hat sie sich mit einer Gruppe von Psychologen nach Ostlibyen | |
aufgemacht. „Das Mitgefühl vieler ganz normaler Bürger erinnert mich an | |
den Aufstand von 2011“, sagt sie und warnt: „Zumindest unser Frauennetzwerk | |
hat unsere Naivität von damals abgelegt. Wir werden uns das momentane | |
Zusammengehörigkeitsgefühl nicht noch einmal von Islamisten, korrupten | |
Politikern oder Autokraten nehmen lassen.“ | |
28 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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