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# taz.de -- Flutkatastrophe in Libyen: Wahrheit und Wut nach der Flut
> Nach der Flutkatastrophe demonstrieren Anwohner in Darna. Indes wird
> immer deutlicher, dass vor der Gefahr eines Dammbruchs gewarnt wurde.
Bild: Protest vor der Sahaba-Moschee in Darna am Montag
Tunis taz | Während internationale Suchtrupps und Freiwillige der
Hilfsorganisation Libyscher Halbmond in den Trümmern der Hafenstadt Darna
weiter nach Überlebenden suchen, verwandelt sich die Apathie der
Überlebenden in Wut. Am Montagnachmittag protestierten in der Stadt mehrere
hundert Bürger gegen das in Ostlibyen tagende Parlament und dessen
Vorsitzenden Aguila Saleh.
Die seit 2016 ohne Mandat tagenden Parlamentarier haben bisher weder einen
Notfallplan vorgelegt noch öffentliche Solidarität mit den Opfern der
[1][Flutkatastrophe vom 11. September] gezeigt. Saleh hatte vergangene
Woche sogar kategorisch jede Möglichkeit menschlichen Versagens
ausgeschlossen. Im selben Atemzug forderte der 79-Jährige die Zentralbank
auf, den zukünftigen Wiederaufbaufond auf die Konten den Parlaments zu
überweisen.
Seitdem geht ein Sturm der Entrüstung durch das Land. Denn die Indizien
mehren sich, dass die 2012 bezahlte Wartung und Verstärkung der [2][beiden
Dämme oberhalb Darnas, die am Sonntag brachen], nie durchgeführt wurde.
Zudem hatten die Behörden laut Aussagen von Menschen vor Ort zufolge
offenbar Stunden vor der Flutwelle abgesetzte Warnungen von Anwohnern
ignoriert.
Nachdem am Samstag [3][so viel Regen wie normalerweise in einem Jahr
gefallen war], verließen die Bewohner der Dörfer rund um den Stausee
panikartig ihre Häuser. Sie teilten den Behörden in Darna mit, dass sie
wegen der immensen Niederschlagsmenge mit einem bevorstehenden Kollaps der
Dämme rechnen.
Doch wegen des tobenden Sturmtiefs und einer angeblich zuvor erlassenen
Anweisung, die Häuser nicht zu verlassen, blieben die meisten Einwohner zu
Hause. Sie rechneten mit einem erhöhten Meeresspiegel, aber nicht mit einer
von den Bergen kommenden, 12 Meter hohen Flutwelle. Dabei belegt eine in
den letzten Tagen aufgetauchte Studie der Anti-Korruptionsbehörde in
Tripolis, dass die Gefahr, die vom Stausee „Wadi Darna“ ausging, schon
länger bekannt war.
„Verräter müssen hängen“
In sozialen Medien ist mittlerweile eine Bewegung entstanden, die der
Korruption, dem Diebstahl öffentlicher Gelder und dem Machtmissbrauch der
Politiker ein Ende setzen will. Parolen wie „Das Volk will, dass das
Parlament fällt“, „Aguila ist der Feind Gottes“ oder „Diebe und Verrä…
müssen hängen“ wurden von der Menge in Darna am Montag skandiert.
Ein Sprecher mehrerer zivilgesellschaftlicher Organisationen verlas vor der
Gemeindeverwaltung eine Erklärung, in der „eine rasche Untersuchung und
rechtliche Schritte gegen die Verantwortlichen für die Katastrophe“
gefordert wurde. Die in Darna traditionell stark vertretene
Zivilgesellschaft fordert zudem die Präsenz der Vereinten Nationen in der
Stadt, um den Wiederaufbau und Entschädigungszahlungen für die Betroffenen
zu überwachen.
Schon lange kursieren bisher unbewiesene Vorwürfe, dass der am Wochenende
entlassene Bürgermeister Abdulmoneim al-Ghaithi Haushaltsgelder auf seine
Privatkonten umgeleitet habe. Am Montagabend brannten die Protestler dann
das Privathaus al-Gaithis nieder. Der in Ostlibyen regierende
Premierminister Osama Hamad entließ am Dienstag dann auch den Stadtrat von
Darna.
„Die Entlassungen und die von der Regierung in Tripolis angekündigte
Untersuchung der Verantwortlichen wird zu keinem Resultat führen“, gibt die
Aktivistin Lobna Almustari die Meinung vieler in der Stadt wieder. Viele
der Demonstranten waren Angehörige von Flutopfern. Tausende Häuser waren am
11. September, teilweise mitsamt ihren Bewohnern, unter Schlamm begraben
oder gänzlich ins Mittelmeer gespült worden.
Warnungen gab es viele
Experten hatten seit Jahren vor der strukturellen Integrität der
Zwillingsdämme in Darna gewarnt, bestätigt mittlerweile auch die libysche
Staatsanwaltschaft in Tripolis. Die Bedenken bestehen seit 1986, als die
Dämme nach einem heftigen Sturm schwer beschädigt wurden. Aber auch schon
zuvor, im Jahr 1959, waren mehrere Hundert Menschen bei einer
Flutkatastrophe gestorben. Jugoslawische Ingenieure konstruierten in den
späten 1970er Jahren die Staudämme oberhalb von Darna neu.
Der libysche Generalstaatsanwalt Al-Siddiq al-Sour erklärte am Montag, dass
eine 1998 von der libyschen Regierung beauftragte Studie die Risse und
Spalten in den Dammstrukturen aufzeigte. 2007 wurde die türkische Firma
Arsel Construction Company mit der Instandhaltung der beiden Dämme und dem
Bau eines dritten Dammes beauftragt.
Laut der Website des Unternehmens wurden die Arbeiten im November 2012
abgeschlossen, doch Satellitenfotos zufolge und laut Aktivisten in Darna
wurde der geplante dritte Sicherheits-Damm nie gebaut. Nach der Flut vom
vorvergangenen Sonntag ist die Webseite von Arsel nicht mehr abrufbar.
Ein Bericht der staatlichen technischen Prüfbehörde in Tripolis besagt,
dass 2012 und 2013 rund zwei Millionen US-Dollar für die Instandhaltung der
Zwillingsdämme überwiesen wurden. Der Bericht aus dem Jahr 2021 besagt,
dass die beiden existierenden Dämme sogar nie gewartet wurden.
„Die landesweite Solidaritätswelle mit Darna könnte sich schon bald gegen
die politische Elite wenden“, sagt einer Protestierenden in Darna der taz
am Telefon. Wie ernst die Behörden die Wut nehmen, zeigt ein Ultimatum an
nach Darna gereiste libysche und internationale Journalisten. Diese sollen
die Stadt bis Dienstagmittag verlassen, berichtete der TV-Sender al-Hadath
am Dienstag.
19 Sep 2023
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## AUTOREN
Mirco Keilberth
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