# taz.de -- Wahlen in Kamerun: Terence floh als Letzter | |
> Kameruns anglophoner Westen ist Kriegsgebiet, Hunderttausende sind auf | |
> der Flucht. Bei den Wahlen nützt das Präsident Biya. | |
Bild: Kriegsflüchtling Terence im Hof seiner Unterkunft in Douala | |
DOUALA taz | Der Schlachthof von Douala liegt knapp zehn Kilometer | |
außerhalb des Stadtzentrums. Die Luft ist schwül und drückend, die Straßen | |
sind schlammig und die Pfützen vom letzten Regenguss noch tief. In dem | |
Viertel wohnen viele Familien dicht gedrängt aufeinander. Und es werden | |
immer mehr. | |
Bis zu 300.000 Menschen aus Kameruns anglophonen Provinzen Südwest und | |
Nordwest sind [1][auf der Flucht] – im Nachbarland Nigeria, in Kameruns | |
Hauptstadt Yaoundé und auch in der Millionenstadt Douala, Kameruns | |
Wirtschaftsmetropole. | |
Vor zwei Wochen hat auch Terence alles zusammengepackt und seine | |
Heimatstadt Buea verlassen. Gemeinsam mit ein paar anderen jungen Leuten | |
teilt sich der 31-Jährige jetzt ein Zimmer zur Miete. Er hockt auf dem | |
Innenhof, den er sich mit drei weiteren Familien teilt, wäscht T-Shirts in | |
einer großen Plastikschüssel und hat Schweißperlen auf der Stirn. | |
Am 17. September kam Terence, der sein ganzes Leben im anglophonen Teil | |
Kameruns verbracht hat, nach Douala. Die Unsicherheit sei zu groß geworden. | |
„Ich war der Letzte, der noch auf dem Hof gelebt hat, das war viel zu | |
gefährlich.“ Wie andere Binnenflüchtlinge berichtet er von Schusswechseln | |
zwischen dem Militär und den sogenannten Amba-Boys – den Kämpfern der | |
„Ambazonian Fighters“, einer der Rebellengruppen, die für die | |
Unabhängigkeit der beiden anglophonen Provinzen Südwest und Nordwest unter | |
dem Namen „Ambazonien“ kämpfen. | |
Terence berichtet wie andere Augenzeugen auch, dass vor allem junge Männer | |
Gefahr laufen, von der Armee als „Amba-Boys“ verdächtigt und als | |
Terroristen bezeichnet zu werden. Sie werden dann verhaftet und | |
verschleppt. Für die Freilassung wird mitunter viel Geld verlangt. Manche | |
werden erschossen. | |
## Alter Konflikt neu aufgeflammt | |
Der Konflikt schwelt seit vielen Jahren und ist Erbe der Kolonialzeit. | |
Kamerun, einst deutsches Kolonialgebiet, wurde nach dem Ersten Weltkrieg in | |
ein größeres französisches und ein kleineres britisches Mandatsgebiet | |
geteilt. Nach Volksabstimmungen wurde zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit das | |
britische „Südkamerun“ zwischen Nigeria und Kamerun aufgeteilt – aber die | |
englischsprachigen Bewohner des zu Kamerun geschlagenen Gebiets fühlen sich | |
benachteiligt. | |
Separatisten riefen am 1. Oktober 2017 die [2][„Republik Ambazonien“] aus, | |
bei Unruhen gab es Dutzende Tote. [3][Seitdem ist die Region Kampfgebiet.] | |
Beide Seiten begehen Übergriffe; die Vertriebenen erwähnen in Gesprächen | |
meist nur die Angriffe und Demütigungen der Armee. | |
Auch Nta William Nche ist mit seiner Familie von Buea nach Douala gezogen. | |
Wie alle anderen quetschen sie sich in eine kleine Unterkunft. Auf die | |
Frage nach weiteren Vertriebenen ruft er sofort seinen Bruder in Yaoundé | |
an. | |
Jeder kennt Betroffene. Ihre Erlebnisse sind meist sehr ähnlich, die | |
Hoffnungslosigkeit auch. Es gibt keine Auffangeinrichtungen oder | |
Unterstützung. Nur Familien und Freunde helfen. | |
Nta William Nche ist Pastor der Presbyterianischen Kirche und einer der | |
wenigen, der mit seinem vollen Namen über die Krise spricht. „Ich sehe im | |
Moment kaum jemanden, der von der Krise profitiert.“ Allerdings habe der | |
Konflikt jungen Arbeitslosen einen Job gegeben. „Sie gehören mit einem Mal | |
einer Armee an. Sie verdienen etwas, vor allem erhalten sie Respekt: Andere | |
fürchten sie. Menschen, die in die Diaspora gegangen sind, sind richtig | |
bekannt geworden. Als sie noch in Bamenda waren, waren sie Namenlose.“ | |
Profiteure gibt es auch auf Regierungsseite. [4][Kameruns Präsident Paul | |
Biya] erklärte Ende 2017 den Separatisten den Krieg. Dafür erhalten die | |
Sicherheitskräfte mehr Geld, was die Korruption nähren kann. | |
Auch dürfte der 85-Jährige bei den Wahlen am Sonntag dank des Konfliktes | |
weniger Gegenstimmen bekommen: die anglophonen Regionen sind traditionell | |
Oppositionshochburgen, aber Binnenflüchtlinge können nicht zur Wahl gehen. | |
Es wollen in den beiden Provinzen auch die Separatisten die Wahlen | |
verhindern, um ihre Stärke unter Beweis zu stellen. Rund um die Wahlen gilt | |
dort nun Ausgangssperre. | |
## „Die Regierung hat angefangen“ | |
Terence ist all das leid. „Ich will keine Gewalt mehr erleben, sondern | |
einen Dialog.“ Den ersten Schritt, das ist ihm klar, muss die Regierung | |
machen. „Sie hat angefangen und den Krieg erklärt.“ | |
Wann das passiert, ob es überhaupt passiert – das weiß er nicht. Terence | |
zuckt mit den Schultern. „Wir haben keine Ahnung, wie es weitergeht und | |
wann wir wieder nach Hause können.“ | |
6 Oct 2018 | |
## LINKS | |
[1] /!5518263/ | |
[2] /!5454838/ | |
[3] /!5472403/ | |
[4] /!5108996/ | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
## TAGS | |
Kamerun | |
Ambazonien | |
Paul Biya | |
Kamerun | |
Boko Haram | |
Kamerun | |
Kamerun | |
Kamerun | |
Kamerun | |
Ambazonien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Entspannung in Kamerun: Oppositionsführer Kamto frei | |
Kameruns greiser Präsident Paul Biya lässt Oppositionsführer Maurice Kamto | |
und andere aus der Haft frei. Jubel in der Hauptstadt Yaoundé. | |
Konflikt um Unabhängigkeit: Fast 80 Schüler in Kamerun entführt | |
In Kameruns anglophonem Separatistengebiet hat es ein spektakuläres | |
Massenkidnapping gegeben. Verantwortlich sind vermutlich Rebellen. | |
Präsidentschaftswahl in Kamerun: Der Alte bleibt im Amt | |
Kameruns ewiger Präsident Paul Biya gewinnt eine Wahl, an der vor allem in | |
den oppositionellen Unruhegebieten kaum jemand teilgenommen hat. | |
Wahlen in Kamerun: Flucht nach vorn | |
Oppositionspolitiker Maurice Kamto erklärt sich früh zum Sieger über | |
Präsident Paul Biya. Bei anderen stößt das eher unangenehm auf. | |
Krise in Kamerun: Am Rande des Abgrunds | |
Separatisten, Islamisten, ein unbewegliches Regime: Kamerun zittert. Im | |
Oktober will sich der 85-jährige Präsident wiederwählen lassen. | |
Konflikt im anglophonen Teil Kameruns: Kameruner flüchten nach Nigeria | |
Gewalt im Westen Kameruns treibt immer mehr Menschen in die Flucht nach | |
Nigeria. UNO und Regierung befürchten, dass die Gewalt übergreift. | |
Unabhängigkeitskampf in Kamerun: Willkommen in „Amba-Land“ | |
In Kamerun kämpft eine Bewegung für ein unabhängiges „Ambazonien“, die | |
Regierung schlägt hart zurück. Eine Reise zu den Sympathisanten des | |
Aufstands. |