# taz.de -- Wahlbeobachter über Russland: „Putin hat keine Konkurrenz“ | |
> Andrei Busin meint, dass Putin gar keine Wahlfälschung nötig hat. Seine | |
> Konkurrenten sind entweder unerfahren, farblos oder eigentlich | |
> Verbündete. | |
Bild: Wen wählen? Mangels Konkurrenz fällt vielen in Russland die Wahl leicht | |
taz: Herr Buzin, bei den russischen Wahlen in den Jahren 2011/12 hat | |
„Golos“ atemberaubende Dokumentaraufnahmen gemacht: Schwarz maskierte | |
Eindringlinge stopften vor den Augen verschreckter WählerInnen mit Gewalt | |
Packen von Stimmzetteln in die Urnen. Die waren – entgegen dem russischen | |
Gesetz – aus undurchsichtigem Material, so dass man nicht sehen konnte, ob | |
nicht eh schon welche drin lagen. Wird sich das wiederholen? | |
Andrei Buzin: Heute entsprechen die Wahlurnen dem Gesetz. In ihrer | |
überwältigenden Mehrheit sind sie halb durchsichtig. Man kann sehen, was | |
darin liegt. | |
Hat Wladimir Putin keine Fälschungen mehr nötig? | |
Er hat ja [1][keine richtigen Konkurrenten]. | |
Spielen Sie damit auf die Möglichkeiten der verschiedenen Kandidatinnen und | |
Kandidaten in den Medien an? | |
Unter dem Vorwand, die Bevölkerung zu informieren, agitieren die | |
Massenkommunikationsmittel zugunsten bestimmter Kandidaten oder einer | |
bestimmten Partei. Oft wirkt es sich schon als Agitation für einen | |
bestimmten Kandidaten aus, wenn TV und Zeitungen über ihn ein wenig positiv | |
berichten. Denn die Massenkommunikationsmittel, allen voran die TV-Kanäle, | |
gehören bei uns entweder ganz dem Staat oder sie stehen sehr stark unter | |
seinem Einfluss. Deshalb hat während dieses ganzen Wahlkampfs so eine Art | |
massierter Angriff auf den Wähler stattgefunden. | |
Werden denn auch Wahlbeobachterinnen und Wahlbeobachter unter Druck | |
gesetzt? | |
Das kommt vor. Es hängt sehr stark davon ab, ob eine Wahlkommission vorhat, | |
die Resultate zu fälschen oder nicht. Wenn sie dies in irgend einer Weise | |
beabsichtigt und merkt, dass es sich bei einem Wahlbeobachter um einen | |
zurechnungsfähigen Menschen handelt, dann kann sie die Polizei rufen und | |
ihn verhaften lassen. Unlängst wurden Wahlbeobachter bei lokalen Wahlen im | |
Großbezirk Woronesch in Polizeireviere eingeliefert, um sie am Beobachten | |
zu hindern. | |
Und dann beobachtete dort niemand den Wahlvorgang und die Auszählung der | |
Stimmen? | |
Nein. Sowieso gibt es bei uns in der Mehrheit unserer 96.500 Wahlbezirke | |
keine richtigen Beobachter, sie verteilen sich sehr unregelmäßig über die | |
Regionen. | |
Auf der Krim gibt es ja gar keine WahlbeobachterInnen. Und wie steht es | |
damit in Tschetschenien? | |
Ich kenne dort keine. Unseren Informationen zufolge herrscht dort eine für | |
sie ziemlich gefährliche Situation. | |
Hat es sonst irgendwo physische Angriffe auf Wahlbeobachter gegeben? | |
Im Jahre 2015 wurde zum Beispiel bei uns im Großraum Moskau einem | |
Wahlbeobachter die Milz kaputt geprügelt. | |
Auch Wahlgesetze sind geändert worden. | |
Ja und im Großen und Ganzen so, dass die administrative Ressource die | |
Wahlen noch stärker beeinflussen kann. | |
Könnten Sie diesen Begriff erklären? In Russland geistert er bei Wahlen | |
immer herum. | |
Ihren LeserInnen kann man ihn nicht erklären und unseren braucht man ihn | |
nicht zu erklären. Das bedeutet: Die Machthaber benutzen bestimmte, ihnen | |
eigentlich von der Gesellschaft zur Verfügung gestellte Ressourcen in einer | |
auch in unserem Lande verbotenen Weise, um ein bestimmtes Wahlergebnis zu | |
erzielen. Also um den Wählern klarzumachen, wie sie nolens volens wählen | |
sollen. Hier kann man von der Rechtsschutzreserve reden, zum Beispiel beim | |
Einsatz der Polizei. Von einer Finanzreserve, um beispielsweise Prämien an | |
Agitatoren zu zahlen. Dazu zählt auch das Auftreten hoher | |
Verwaltungsbeamter in den Wahlbezirken. | |
Russische Freunde berichten, dass Lehrer und Schuldirektoren ihre | |
Schülerinnen und Schüler fragen, ob ihre Eltern wählen gehen. | |
Das hören auch wir öfters. | |
Müssen die auch fragen, wen die Eltern wählen? | |
So weit kommt es nicht. Die Eltern werden nur manchmal gebeten, doch im | |
Schulgebäude ihrer Kinder zu wählen, denn dort kann man besser auf sie | |
einwirken. | |
Welche Rolle spielen die russischen Parteien? | |
Das sind den Regierenden willkommene Gruppierungen von Leuten, welche | |
Parteien imitieren, ähnlich wie es in der DDR war. | |
Warum kandidiert Putin für keine Partei, sondern nur als Person? | |
Weil die Menschen in Russland Parteien wenig trauen. | |
Jetzt wird in den russischen Medien viel Aufhebens um die zu erwartende | |
Wahlbeteiligung gemacht. | |
Die kann man ja als Legitimationsquelle für den Gewählten betrachten. Aber | |
der als Kandidat abgewiesene Alexei Nawalny hat nun seine potenziellen | |
Wählerinnen und Wähler dazu aufgerufen, den Urnen fern zu bleiben. Das hat | |
die Regierenden mächtig erschreckt. | |
Nawalny wäre der stärkste Kandidat nach Putin für das Präsidentenamt | |
gewesen. Können Sie ein paar Worte zu den beiden übrig gebliebenen | |
Oppositionellen im Rennen sagen? | |
Hier nur meine ganz persönliche Meinung: Xenia Sobotschak ist eine | |
unerfahrene Spielerin auf dem Feld der Politik. Ich könnte mir vorstellen, | |
dass man ihr gegenüber im Präsidialamt angedeutet hat, man habe nichts | |
gegen ihre Kandidatur – um wenigstens den Anschein einer Konkurrenz bei den | |
Wahlen zu wahren. Oder aber es war der Wunsch von ihr und ihrem | |
Freundeskreis, auf diese Weise am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. | |
Sie hat kein richtiges politisches Programm, ist aber wegen ihrer | |
ehemaligen Tätigkeit als Fernsehmoderatorin weithin bekannt. Grigori | |
Jawlinski hingegen hat ein ausgefeiltes politisches Programm, | |
liberaldemokratisch im westlichen Sinne. Er ist aber weniger charismatisch | |
als Nawalny oder Putin und viele Wähler haben gar keine richtige | |
Vorstellung von ihm. | |
Wie viele Stimmen werden Ihrer Meinung nach Xenia Sobtschak und Grigori | |
Jawlinski erhalten? | |
Je so ein bis zwei Prozent. | |
Man kann diese Wahlen also nicht als Wahlen bezeichnen? | |
Bezeichnen kann man sie so schon. In der DDR und in der Sowjetunion hat man | |
früher ja auch von „Wahlen“ gesprochen. Es sind nur keine Wahlen in dem | |
Sinne, in dem man im heutigen Deutschland und in Europa von Wahlen spricht. | |
Sie bilden das politische Spektrum des Landes nicht ab. | |
Was sind sie dann? | |
Vielleicht ein Referendum über das Vertrauen zu den Regierenden im Moment. | |
Vielleicht eine große soziologische Umfrage, die zeigen könnte, welche | |
Wirkung die Massenmedien auf die Menschen in Russland ausüben. | |
Dann hätten sie also für Wladimir Putin und uns etwa den gleichen Wert: als | |
Erkenntnisquelle? | |
Ja, diese Untersuchung ist für die gesamte Welt gleich wertvoll. | |
17 Mar 2018 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Kerneck | |
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