# taz.de -- Vortrag an der Freien Universität Berlin: Kontroverser Blick | |
> Legenden mit Quellen begegnen: An der FU Berlin wurde über den Historiker | |
> Benny Morris und den arabisch-israelischen Krieg 1948 referiert. | |
Bild: Feierlichkeiten zur Gründung des Staates Israel 1948 | |
Freitagnachmittag, Hörsaal A, Henry-Ford-Bau der Freien Universität Berlin, | |
der Saal ist gut gefüllt: Fällt die metallene Tür ins Schloss, drehen sich | |
die Köpfe hastig in Richtung Eingang. | |
Man erwartet Störer, propalästinensische Aktivisten, die in den vergangenen | |
Wochen durch aggressive Unterbrechungen von Lesungen, Performances oder | |
Diskussionsveranstaltungen Schlagzeilen gemacht haben. Doch die Störer | |
kommen nicht. Dabei geht es heute um die Staatsgründung Israels und den | |
arabisch-israelischen Krieg 1948. | |
Darüber hat der israelische Historiker Benny Morris 2008 das Buch „1948. A | |
History of the First Arab-Israeli War“ geschrieben. Im vergangenen Jahr | |
erschien die deutsche Übersetzung. Im Rahmen der Aktionswoche gegen | |
Antisemitismus hat die jüdische Studierendeninitiative Chaverim@FU zur | |
Buchvorstellung geladen. | |
Der Anlass? Die Eskalation antisemitischer Vorfälle an der Freien | |
Universität. Wie Dr. Alexander Libman, Moderator und FU-Professor, zu | |
Beginn der Veranstaltung erklärt, wurden die Aktionswochen von Lehrenden | |
und Studierenden gemeinsam ausgerufen, um zunehmendem Hass mit | |
wissenschaftlicher Aufklärung zu begegnen. | |
## Keine Heldengeschichte | |
Auf dem Podium: Dr. Nora Pester, Verlegerin der deutschen Übersetzung, Jörg | |
Rensmann vom Mideast Freedom Forum Berlin (MFFB) sowie Andreas Stahl von | |
der Gesellschaft für kritische Bildung, der die vorgestellte Monografie von | |
Benny Morris herausgegeben hat. Aufklärung, das heißt für die Podiumsgäste: | |
den Legenden über die israelische Staatsgründung eine Geschichte | |
entgegenhalten, die quellenbasiert und voller Widersprüche ist. „Keine | |
Heldengeschichte“, wie Pester sagt, dafür ein kontroverser Blick auf den | |
wohl bedeutendsten historischen Kontext des derzeit tobenden Kriegs | |
zwischen Israel und der Hamas. | |
Ob [1][Slavoj Žižek] oder [2][Judith Butler], historischer Kontext diente | |
nach dem 7. Oktober oftmals antizionistischen Entlastungsnarrativen, der | |
Verklärung von antisemitischem Terror oder der Schuldumkehr: Zionismus sei | |
eine rassistische Ideologie, der Staat Israel ein Kolonialprojekt und die | |
sogenannte Nakba, die Vertreibung von schätzungsweise 750.000 | |
Palästinensern infolge des arabisch-israelischen Krieges 1948, die | |
genozidale Ursünde Israels. Eine Genealogie des Bösen, die sich bis in die | |
Gegenwart des Kriegs in Gaza fortsetze. | |
Mit Benny Morris als Kronzeugen sollen diese Legenden auf dem Podium | |
entlarvt werden. Dafür liefert der Historiker gut 600 Seiten detaillierte | |
Beweisführung. Im Hörsaal wird sie knapp wiedergegeben: Es war die | |
arabisch-palästinensische Seite, die den UN-Teilungsplan und damit die | |
Zweistaatenlösung auf Grundlage demokratischer Verfassungen einhellig | |
ablehnte. | |
Grund war nicht das koloniale Siedeln von Jüdinnen und Juden, sondern das | |
politische Durchsetzungsvermögen antisemitischer Fraktionen auf der | |
zerstrittenen arabischen Seite – so wie die des Muftis von Jerusalem, | |
Mohammed Amin al-Husseini, Kriegsverbrecher und Hitler-Freund. Es habe aber | |
auch arabisch-palästinensische Akteure, Kommunalpolitiker und | |
einflussreiche Familien gegeben, die dem zionistischen Projekt wohlgesinnt | |
und dem „panarabischen Angriffskrieg“ – so Jörg Rensmann – ablehnend | |
gegenüberstanden. | |
## Kontroverser Aufklärer | |
Morris gehe es um „Faktizität gegen Narrativ“, so Rensmann. Das mache ihn | |
zum kontroversen Aufklärer, der gerade jetzt gefordert sei, aber durch | |
verklärende historische Narrative delegitimiert werden solle. | |
Beispielsweise mache Benny Morris keinen Hehl aus der Plünderung | |
arabisch-palästinensischer Dörfer durch den Vorläufer der israelischen | |
Armee, die Haganah. | |
Ebenso thematisiere er die vereinzelten Massaker und die massenweise | |
Vertreibung von Palästinensern – für Morris aber kein Genozid, sondern die | |
grauenhafte, aber notwendige Abwehr eines Völkermords an Juden. Dafür | |
verweise er auf den Grund des Kriegs und auf den gleichzeitig | |
stattfindenden Exodus von schätzungsweise 800.000 Jüdinnen und Juden, die | |
nach der Staatsgründung Israels mit Pogromen und Hetzkampagnen aus der | |
arabischen Welt vertrieben wurden. | |
Abschließend betont das Podium die Aktualität dieses Themas: Das | |
Palästinenserhilfswerk UNRWA geriet unlängst in die Kritik, da nachweislich | |
Mitarbeiter am Terrorakt vom 7. Oktober beteiligt waren. Morris beschreibt | |
die Gründung des UNRWA 1949 infolge des arabisch-israelischen Kriegs und | |
beleuchtet einen elementaren Fehlschluss: Der Flüchtlingsstatus werde | |
vererbt. Daraus ergibt sich die Gretchenfrage aller bisherigen | |
Verhandlungen über zwei Staaten, nämlich die zum Rückkehrrecht von sechs | |
Millionen palästinensischen Flüchtlingen ins Kernland Israel – es käme | |
einer Aufhebung jüdischer Souveränität gleich. | |
Auch das Elend in den südlibanesischen Flüchtlingscamps, die unter der | |
Leitung des UNRWA stehen und als Rekrutierungslager für die Hamas | |
gelten, liegt hier begründet. Indoktrination findet in UNRWA-geführten | |
Schulen auch mit Geschichtsbüchern statt. Büchern, die den antisemitischen | |
Hass auf Israel schüren. Diesen Büchern stellen die Veranstalter das von | |
Benny Morris entgegen: Historische Widersprüche statt geschichtspolitischer | |
Indoktrination – auch das mag ein Grund sein, weshalb die Aktivisten an | |
diesem Freitagnachmittag fernbleiben. | |
19 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jonathan Guggenberger | |
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