Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Verwenden statt wegschmeißen: Aus alt mach Brot
> Ganz hinten im Regel liegen Zutaten, die ewig auf ihren Einsatz warten.
> Bei unserer Autorin kommen die nicht in den Müll – sondern in den
> Backofen.
Bild: Löst bei unserer Autorin geradezu Proust´sche Erinnerungsmomente aus: I…
Manchmal werden auf dieser Seite Ideen vorgestellt, wie aus [1][Müll]
wieder etwas Neues gemacht wird. „Schöner Müll“ heißt das Motto. Nur: Was
ist Müll? Und zählen Nahrungsmittel dazu, wo doch [2][jedem Kind gepredigt
wird, dass Essen nicht weggeschmissen werden soll?] Kinder dürfen das
nicht, Erwachsene schon. 313 Kilo Nahrungsmittel landen in Deutschland laut
einer WWF-Studie von 2015 im Müll – und zwar pro Sekunde.
Und Sie? Und ich? Und wir?
Bei uns stand neulich das Projekt „Küchenschrank aufräumen“ an. Das kommt
hin und wieder vor und fördert einiges zutage, darunter eine Menge
Nahrungsmittel, die einst gekauft wurden, um gesünder zu leben. Um die
Verdauung zu fördern, das Blut zu reinigen, die Schönheit zu stärken, die
Zähne und Haare strahlend zu erhalten, den Cholesterinspiegel zu senken,
ach und immer so weiter: Flohsamen, Leinsaat, Sesamkörner, Chia- und
Hanfsamen, Buchweizenmehl, Macapulver, you name it.
Vieles wird beim Küchenschrankputz zutage gefördert, das irgendwie pulvrig
und getreidig ist oder sonst wie für getreideartig gehalten wird, denn,
klar, die Reste der glutenfreien Ernähungsphase werden dabei auch wieder
ausgegraben, und nicht zu vergessen der Smoothiewahn. Viele Packungen sind
noch gar nicht geöffnet.
Und wie geht die Geschichte weiter? Bei uns nimmt sie in der Regel
folgenden Verlauf: Sind keine Lebensmittelmotten zu erkennen, werden die
Sachen zurückgestellt. Bis zum nächsten Mal.
## Brot mit Backpulver?
Unter „Müll“ werden, so steht es in einem Juristenforum im Internet,
„bewegliche Güter“ verstanden, „die der Besitzer nicht mehr benötigt und
deren er sich deswegen entledigt“. Schöner Müll ist, wenn man die Güter
nicht wegwirft, sondern etwas Neues daraus macht. Da fügte es sich, dass
mir ein Rezept für irisches Brot in die Hände fiel:
275 Gramm Mehl, 75 Gramm Haferflocken, 1,5 Teelöffel Salz, 1 Päckchen
Backpulver, 200 Milliliter Milch, 200 Milliliter Joghurt, 1 halber
Teelöffel Cumin. Alles vermischen, in eine Kastenform füllen und 50 Minuten
bei 220 Grad backen.
Brot mit Backpulver? Wahrscheinlich hätte ich die Nase gerümpft und das
Rezept weggeworfen. Aber ich war vor Jahrzehnten einmal Au-pair in Irland
und da hatte die Landlady ebenfalls mit baking soda gebacken. Kein Brot im
Haus? Schnell was zusammengerührt. So ging das. Deshalb habe ich das Rezept
ausprobiert.
Das erste Brot schmeckte, wenig überraschend, nach Backpulver, brachte aber
auch Irlandfeeling zurück. Die andere Landlady, die aus der ersten Familie,
in der ich war, kam mir in den Sinn. Einmal nähte sie Vorhänge, dabei warf
sie, es war Winter, den teuren Stoff versehentlich über einen Radiator, mit
dem sie sich die Füße wärmte und sengte so Brandlöcher hinein. Es war ein
herzzerreißendes Drama. Mit dem Kopf lag sie auf dem Tisch und schluchzte.
Ich mochte sie nicht so, aber in dem Augenblick tat sie mir leid.
## Der vermeintliche Müll schmeckt bombastisch
Und ich erinnerte mich, wie in der zweiten Familie plötzlich Pferde in den
Hof gejagt wurden, die den frischen Asphalt zerstörten. Der Landlord hatte
den Hof kurz zuvor teeren lassen, ohne Rechnung, auf Handschlag, sich dann
aber nicht an die Abmachungen gehalten. Ich lag gerade mit der jüngsten
Tochter im Garten als die Pferde kamen und es war nicht lustig. Heute indes
ist die Szene als Erinnerung stark. Deshalb vielleicht gab ich dem Brot
eine zweite Chance. Mal gucken, was noch kommt.
Aber dieses Mal experimentierte ich. Ach, so ein wenig glutenfreies
Maismehl kann nicht schaden, dachte ich. Und Flohsamen mit Sesam zu den
Haferflocken ebenso wenig. Einen Löffel Mondamin – längst abgelaufen, aber
mottenfrei – rührte ich dazu und etwas Gomasio, das noch nicht ranzig roch.
Es stellte sich heraus: Es schadet wirklich nicht. Und mit etwas mehr Cumin
wird auch der Backpulvergeruch gedimmt.
Beim dritten Versuch kamen noch Sonnenblumen- und Hirsemehl rein. Statt
Cumin wurde mit Kardamom abgeschmeckt. Ah, und eine Prise
Brennnesselblätter hat den Geschmack ebenfalls nicht verdorben. So kämpfe
ich mich sogar an die Kräutertees ran, die ein jahrelanges Dasein im
Teefach fristeten.
Das Spektrum der Zutaten wurde sukzessive erweitert, die Schrankhüter
systematisch verwendet. Das Brot schmeckte jedes Mal fantastischer.
Mittlerweile muss ich mindestens zweimal in der Woche backen. Am besten ist
das Brot, wenn es frisch aus dem Ofen kommt; ist es nicht mehr ganz frisch,
schmeckt’s getoastet, obwohl Toaster verbannt werden sollten. (Aber wohin?
Auf den Müll?)
## Alles muss weg
Unsere Schrankhüter sind inzwischen verschwunden. Selbst die angefangenen
Packungen aus der Frühstücksbreiphase sind leer, wie auch das Glas Melasse,
das mal zum Sonderpreis gekauft wurde, wegen des abgelaufenen
Mindesthaltbarkeitsdatums. Ein Esslöffel davon in der Milchjoghurtmischung
aufgelöst neutralisiert den Backpulvergeruch, außerdem hilft es, das Brot
locker zu machen. Und super: Schabzigerklee, den hatte ich vor Jahren von
einer Freundin geschenkt bekommen. Der gibt dem Brot richtigen Pep.
Gestern habe ich wieder gebacken. Die doppelte Menge, um Gas zu sparen.
Eine Hälfte wird eingefroren. Habe ich ausprobiert, es ist auch aufgetaut
gut essbar.
Das Brot, das am Ende entstand, schmeckte mir phänomenal. Nur eine Frage
habe ich: Ist das jetzt „Schöner Müll“?
18 Aug 2019
## LINKS
[1] /Teure-Stadtreinigung-in-Deutschland/!5614765
[2] /Kampf-gegen-Verschwendung/!5610811
## AUTOREN
Waltraud Schwab
## TAGS
Lebensmittelrettung
Brot
Essen
Landwirtschaft
Landwirtschaft
## ARTIKEL ZUM THEMA
Innovationen beim Essen: Mit Essen die Welt verändern
Die Start-up-Kultur hat die Küchen erreicht, zusammen mit der
Digitalisierung stellt sie die Essensbranche auf den Kopf.
Landtagswahlen in Brandenburg: Bitte mehr Bio in Brandenburg
Der Ökolandbau in Brandenburg braucht neue Impulse, sagt Agrarminister Jörg
Vogelsänger im Wahlkampf. Eine Pressefahrt zu Öko-Musterhöfen in der Mark.
Brandenburger Tomaten in Berlin: Reif und fruchtig
Den Geschmack schärfen mit Tomaten, als Werbung für kleinbäuerische
Vielfalt: In Friedenau wird zu einer Verkostung der Paradiesäpfel geladen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.