# taz.de -- Vertreibung aus Sudan: Die größte Flüchtlingskrise der Welt | |
> Kein Krieg vertreibt heute mehr Menschen als der im Sudan. Die Kämpfe | |
> eskalieren, ein Ende ist nicht in Sicht. Die humanitäre Not ist | |
> grenzenlos. | |
Bild: Mehr als neun Millionen Menschen sind innerhalb des Sudans und in den ang… | |
Nach Jahrzehnten der Diktatur stürzten die Menschen in Sudan 2019 Omar | |
al-Bashir. Die Hoffnungen auf eine friedliche, demokratische Zukunft des | |
Landes waren groß. Heute ist davon kaum etwas geblieben. Der Krieg tobt | |
seit bald 18 Monaten, ohne dass ein Ende in Sicht wäre. An mehreren Fronten | |
kämpfen die staatlichen sudanesischen Streitkräfte (SAF) und gegen die | |
Milizionäre der Rapid Support Forces (RSF) unter dem Warlord Hemedti. | |
Die SAF kontrollieren heute Ostsudan, die RSF und ihre Verbündeten den | |
größten Teil des Westens. Über 20.000 Zivilist:innen wurden getötet, | |
Millionen leiden unter Vertreibung, Hunger und Krankheiten. Die | |
internationale Gemeinschaft schweigt. | |
„Wir wurden alleingelassen, niemand kümmerte sich um uns“, sagt die | |
Sudanesin Amani der taz am Telefon. Sie war Ende September zu Fuß aus El | |
Fasher, der größten Stadt der westsudanesischen Kriegsprovinz Darfur, | |
entkommen. Dort liefern sich beide Seiten erbitterte Kämpfe. „El Fasher ist | |
zerstört. Der wahllose Luft- und Artilleriebeschuss durch beide | |
Kriegsparteien trifft jeden Zentimeter der Stadt, überall gibt es Tote und | |
Verletzte, und alle Krankenhäuser sind geschlossen“, sagt Amani. | |
„Hunger, Durst und Krankheiten fordern täglich Menschenleben. Es gibt keine | |
Hilfe außer selbst organisierten Bemühungen, die nicht für alle ausreichen. | |
Ich konnte nicht bleiben und bin geflohen“, sagt Amani. Täglich sterben | |
Menschen an Hunger, und viele essen Müll oder Heuschrecken. Die wenigen | |
Hilfskonvois, die versuchen, die Lager zu erreichen, werden oft geplündert, | |
berichtet sie. | |
Der Krieg brachte den Hunger. Sudan zählt heute zu den vier Ländern der | |
Welt mit der höchsten Rate an schwerer akuter Unterernährung. Von Juni bis | |
September 2024 waren 25,6 Millionen Menschen von einer „schweren | |
Nahrungsmittelkrise“ betroffen. Rund 755.000 Menschen litten unter | |
„katastrophaler Ernährungsunsicherheit“. 8,5 Millionen Menschen sahen sich | |
nach UN-Angaben mit einer „akuten Ernährungsnotlage“ konfrontiert, die | |
meisten von ihnen in den überfüllten Flüchtlingslagern. | |
Die Tragödie verschärft sich durch die Ausbreitung von Epidemien wie | |
Cholera, Malaria, Denguefieber und Masern. Vom 22. Juli bis zum 29. | |
September 2024 wurden über 17.600 Cholerafälle und 546 Todesfälle gemeldet, | |
wobei Tausende wahrscheinlich nicht erfasst wurden. Das Gesundheitssystem | |
steht vor einer beispiellosen Krise. Die WHO schätzt, dass 70 bis 80 | |
Prozent der Einrichtungen in Konfliktgebieten kaum noch funktionsfähig oder | |
geschlossen sind. | |
## Millionen auf der Flucht | |
11,3 Millionen Sudanes:innen sind heute auf der Flucht. Die Hälfte von | |
ihnen sind Kinder, viele von ihnen wurden mehrfach vertrieben. Rund 8,3 | |
Millionen Menschen wurden nach dem Ausbruch des laufenden Krieges im April | |
2023 vertrieben. 8,1 Millionen Menschen leben heute als Binnenvertriebene | |
im Land. Knapp 2,3 Millionen Menschen haben unter oft extrem schwierigen | |
Bedingungen Zuflucht im Nachbarland gesucht. | |
Im Tschad etwa leben etwa 650.000 Flüchtlinge in Lagern entlang der | |
sudanesischen Grenze und leiden unter Hunger und unzureichender Hilfe. In | |
Ägypten sehen sich etwa 1,2 Millionen Sudanes:innen | |
Abschiebungskampagnen und einer zunehmend rassistischen Rhetorik | |
ausgesetzt. | |
Der Konflikt hat eine internationale Dimension. Amani El Taweel, eine | |
ägyptische Sudanexpertin, sagte der taz, dass die jüngsten | |
Militäroperationen der Armee „nach der Lieferung neuer Waffen und Drohnen“ | |
erfolgten. Die Erfolge der SAF könnten auf „externe Unterstützung“ | |
zurückzuführen sein. Russland hatte kürzlich angekündigt, der SAF Waffen im | |
Austausch für einen Marinestützpunkt am Roten Meer zu liefern. | |
Es war ein Wendepunkt in der Haltung Moskaus – bis dahin hatte der Kreml | |
die RSF-Miliz durch die Wagner-Gruppe unterstützt. Zudem bekommen die SAF | |
Drohnen aus dem Iran. Der RSF-Führer Hemedti wirft Ägypten vor, die SAF mit | |
Luftschlägen zu unterstützen. Die RSF werden ihrerseits von den Vereinigten | |
Arabischen Emiraten unterstützt, die sie über Tschad und die | |
Zentralafrikanische Republik mit Waffen, Munition und Drohnen versorgen. | |
Die Analystin El Taweel hält eine militärische Lösung des Konflikts für | |
„sehr schwierig“. Die Armee versuche, das Kräfteverhältnis zu ihren Gunst… | |
zu verschieben, um sich eine bessere Verhandlungsposition zu verschaffen. | |
Doch die RSF kontrollierten weiter den größten Teil Darfurs. Am 5. Juni | |
griffen die RSF das Dorf Wad El Noura im Bundesstaat Al-Jazirah an, über | |
100 Zivilist:innen wurden getötet. | |
Es war die höchste Zahl an zivilen Todesopfern innerhalb weniger Stunden | |
seit Beginn des Krieges. Der Angriff ist nach Einschätzung einer | |
UN-Erkundungsmission nur eine von vielen Gräueltaten, die von beiden | |
Konfliktparteien begangen werden. Die Expert:innen beklagen Angriffe auf | |
Zivilisten, Schulen und Krankenhäuser, Vergewaltigungen, die Rekrutierung | |
von Kindersoldaten. „Die Menschen in Sudan haben eine unvorstellbare | |
Tragödie erlitten“, sagt die UN-Expertin Joy Ngozi Ezeilo. | |
29 Oct 2024 | |
## AUTOREN | |
Karim Assaad | |
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